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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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Erstaunt und froh so leichten Kaufes davon gekommen zu sein,
fuhr Hugo rasch nach dem Bahnhofe. Man läutete eben zum zwei¬
ten Male. Hugo sprang aus dem Wagen, nahm ein Billet und stieg
in den Waggon. Ein gellender Pfiff, und der Zug setzte sich lang¬
sam in Bewegung.


4. ,

Ich glaube ein scharfsichtiger Leser wird schon errathen haben,
daß der kühne Pascher, der unter dem Namen des schwarzen Jsaaks
aus Eisenstabe der Schrecken der Grenzjäger war, keine andere Person
als Esthers Vater war. Jene Geschäftsreise, die er, wie Esther Hu-
go'n erzählte, vorhatte, bestand in nichts Geringerem, als der gewag¬
ten Unternehmung, deren Vereitelung wir gesehen haben und die ihm
so schlecht bekommen war.

Jetzt saß Esther endlose lange Tage an dem Krankenlager ihres
Vaters, und nur zu einer bestimmten Stunde des Nachmittags über¬
ließ sie die Pflege desselben der alten treuen Magd, während sie zu
der bewußten Stelle im Parke eilte. Aber sie harrte stets vergebens:
Hugo kam nicht und schrieb auch nicht. Er war in Wien, und wie
sie es geahnt hatte, hatten die brausenden Wellen des großstädtischen
Lebens schon beinahe das Andenken an das arme Judenmädchen von
Eisenstabe verschlungen. Mit Estherö Vater ging es indessen immer
schlimmer und schlimmer. Vielleicht wäre er noch zu retten gewesen,
wenn er ärztliche Hülfe in Anspruch genommen hätte; aber die Furcht,
daß dadurch seine Verbrechen entdeckt werden könnten, hielt ihn davon
ab, und als Esther eines Abends aus dem Parke, wo sie wieder ver¬
geblich auf Hugo gewartet hatte, zurückkehrte, fand sie die alte Magd
laut jammernd neben dem Leichname ihres Vaters auf dem Boden knieen.
Nun stand Esther ganz allein und frei, aber auch Hülflos in der Welt.
Keinerlei," Rücksichten banden sie mehr. Sie schnürte, nachdem ihr Vater in
die kühle Erde gesenkt worden war, ihre wenigen Habseligkeiten in ein
Bündel zusammen und wanderte mit demselben der österreichischen Grenze zu.


In der Osterwoche des folgenden Jahres befand sich Hugo's
Onkel in Wien, und Ersterer hatte die größte Lust, diese Abwesenheit
desselben zu einem heimlichen Besuche auf der Fabrik zu benutzen.
Hatte er sie früher langweilig gefunden, so schien sie ihm jetzt, seitdem
es ihm verwehrt war, dieselbe zu betreten, entzückend. Die alte Haus¬
hälterin, das wußte er, hatte ihn zu lieb, um ihn zu verrathen^ und


Erstaunt und froh so leichten Kaufes davon gekommen zu sein,
fuhr Hugo rasch nach dem Bahnhofe. Man läutete eben zum zwei¬
ten Male. Hugo sprang aus dem Wagen, nahm ein Billet und stieg
in den Waggon. Ein gellender Pfiff, und der Zug setzte sich lang¬
sam in Bewegung.


4. ,

Ich glaube ein scharfsichtiger Leser wird schon errathen haben,
daß der kühne Pascher, der unter dem Namen des schwarzen Jsaaks
aus Eisenstabe der Schrecken der Grenzjäger war, keine andere Person
als Esthers Vater war. Jene Geschäftsreise, die er, wie Esther Hu-
go'n erzählte, vorhatte, bestand in nichts Geringerem, als der gewag¬
ten Unternehmung, deren Vereitelung wir gesehen haben und die ihm
so schlecht bekommen war.

Jetzt saß Esther endlose lange Tage an dem Krankenlager ihres
Vaters, und nur zu einer bestimmten Stunde des Nachmittags über¬
ließ sie die Pflege desselben der alten treuen Magd, während sie zu
der bewußten Stelle im Parke eilte. Aber sie harrte stets vergebens:
Hugo kam nicht und schrieb auch nicht. Er war in Wien, und wie
sie es geahnt hatte, hatten die brausenden Wellen des großstädtischen
Lebens schon beinahe das Andenken an das arme Judenmädchen von
Eisenstabe verschlungen. Mit Estherö Vater ging es indessen immer
schlimmer und schlimmer. Vielleicht wäre er noch zu retten gewesen,
wenn er ärztliche Hülfe in Anspruch genommen hätte; aber die Furcht,
daß dadurch seine Verbrechen entdeckt werden könnten, hielt ihn davon
ab, und als Esther eines Abends aus dem Parke, wo sie wieder ver¬
geblich auf Hugo gewartet hatte, zurückkehrte, fand sie die alte Magd
laut jammernd neben dem Leichname ihres Vaters auf dem Boden knieen.
Nun stand Esther ganz allein und frei, aber auch Hülflos in der Welt.
Keinerlei," Rücksichten banden sie mehr. Sie schnürte, nachdem ihr Vater in
die kühle Erde gesenkt worden war, ihre wenigen Habseligkeiten in ein
Bündel zusammen und wanderte mit demselben der österreichischen Grenze zu.


In der Osterwoche des folgenden Jahres befand sich Hugo's
Onkel in Wien, und Ersterer hatte die größte Lust, diese Abwesenheit
desselben zu einem heimlichen Besuche auf der Fabrik zu benutzen.
Hatte er sie früher langweilig gefunden, so schien sie ihm jetzt, seitdem
es ihm verwehrt war, dieselbe zu betreten, entzückend. Die alte Haus¬
hälterin, das wußte er, hatte ihn zu lieb, um ihn zu verrathen^ und


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[0525] Erstaunt und froh so leichten Kaufes davon gekommen zu sein, fuhr Hugo rasch nach dem Bahnhofe. Man läutete eben zum zwei¬ ten Male. Hugo sprang aus dem Wagen, nahm ein Billet und stieg in den Waggon. Ein gellender Pfiff, und der Zug setzte sich lang¬ sam in Bewegung. 4. , Ich glaube ein scharfsichtiger Leser wird schon errathen haben, daß der kühne Pascher, der unter dem Namen des schwarzen Jsaaks aus Eisenstabe der Schrecken der Grenzjäger war, keine andere Person als Esthers Vater war. Jene Geschäftsreise, die er, wie Esther Hu- go'n erzählte, vorhatte, bestand in nichts Geringerem, als der gewag¬ ten Unternehmung, deren Vereitelung wir gesehen haben und die ihm so schlecht bekommen war. Jetzt saß Esther endlose lange Tage an dem Krankenlager ihres Vaters, und nur zu einer bestimmten Stunde des Nachmittags über¬ ließ sie die Pflege desselben der alten treuen Magd, während sie zu der bewußten Stelle im Parke eilte. Aber sie harrte stets vergebens: Hugo kam nicht und schrieb auch nicht. Er war in Wien, und wie sie es geahnt hatte, hatten die brausenden Wellen des großstädtischen Lebens schon beinahe das Andenken an das arme Judenmädchen von Eisenstabe verschlungen. Mit Estherö Vater ging es indessen immer schlimmer und schlimmer. Vielleicht wäre er noch zu retten gewesen, wenn er ärztliche Hülfe in Anspruch genommen hätte; aber die Furcht, daß dadurch seine Verbrechen entdeckt werden könnten, hielt ihn davon ab, und als Esther eines Abends aus dem Parke, wo sie wieder ver¬ geblich auf Hugo gewartet hatte, zurückkehrte, fand sie die alte Magd laut jammernd neben dem Leichname ihres Vaters auf dem Boden knieen. Nun stand Esther ganz allein und frei, aber auch Hülflos in der Welt. Keinerlei," Rücksichten banden sie mehr. Sie schnürte, nachdem ihr Vater in die kühle Erde gesenkt worden war, ihre wenigen Habseligkeiten in ein Bündel zusammen und wanderte mit demselben der österreichischen Grenze zu. In der Osterwoche des folgenden Jahres befand sich Hugo's Onkel in Wien, und Ersterer hatte die größte Lust, diese Abwesenheit desselben zu einem heimlichen Besuche auf der Fabrik zu benutzen. Hatte er sie früher langweilig gefunden, so schien sie ihm jetzt, seitdem es ihm verwehrt war, dieselbe zu betreten, entzückend. Die alte Haus¬ hälterin, das wußte er, hatte ihn zu lieb, um ihn zu verrathen^ und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/525>, abgerufen am 23.07.2024.