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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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Die Verfolgung Friedrich List's im Jahre l82l.



Schwaben, das der deutschen Poesie ihren Schiller und Uhland
gegeben, das die Philosophie durch Hegel und Schelling umgewälzt
hat, sandte auch den nationalökonomischen Reformator, dessen trauriges
Ende überall so gerechte Theilnahme erregt und dem auch seine Feinde
nicht den schöpferischen Genius und das Verdienst, die Volkswirthschaft
den Deutschen näher gebracht zu haben, absprechen können. Hier in
Würtemberg ist man überzeugt, daß zu jener Melancholie, welche den
felsenfesten Charakter endlich übermannte und in die Katastrophe hin¬
riß, der erste Grund gelegt wurde durch die Schicksale, welche über
List in den Jahren 1821 bis 1823 ergingen und deren er stets nur
mit den bittersten Empfindungen gedachte. Da jene gegen List ver¬
fügte Verfolgung unverkennbar viele Aehnlichkeit hat mit gewissen
Vorgängen der neuern Zeit im übrigen Deutschland, so werden einige
Mittheilungen darüber am Platze sein.

List, von je ein unerschrockener Verfechter Dessen, was er für
Wahrheit erkannte, dabei ein fertiger Demokrat, wie sich das von dem
Sohne der alten tapfern Reichsstadt Neutlingen erwarten ließ, hatte,
durch Mißstimmungen veranlaßt, seine Professur in Tübingen nieder¬
gelegt und war in die Abgeordnetenkammer getreten. Damals wehte
in vielen Geistern noch die frische Luft von 1817, man glaubte und
strebte noch. Aufgefordert von den angesehensten Bürgern Reutlingens
und berufen durch seine umfassende Kenntniß des Staatshaushaltes,
verfaßte er eine Petition an die Ständekammer, worin folgende Stelle
vorkam: "Ein oberflächlicher Blick schon auf die Verhältnisse Würtembergs
muß den unbefangenen Beobachter überzeugen, daß die Gesetzgebung
und Verwaltung unsers Vaterlandes an Grundgebrechen leiden, welche
das Mark des Landes verzehren und die bürgerliche Freiheit vernichten.
Eine von dem Volk ausgeschiedene, über das ganze Land ausgegossene,


Grenztotm. lV. W
Die Verfolgung Friedrich List's im Jahre l82l.



Schwaben, das der deutschen Poesie ihren Schiller und Uhland
gegeben, das die Philosophie durch Hegel und Schelling umgewälzt
hat, sandte auch den nationalökonomischen Reformator, dessen trauriges
Ende überall so gerechte Theilnahme erregt und dem auch seine Feinde
nicht den schöpferischen Genius und das Verdienst, die Volkswirthschaft
den Deutschen näher gebracht zu haben, absprechen können. Hier in
Würtemberg ist man überzeugt, daß zu jener Melancholie, welche den
felsenfesten Charakter endlich übermannte und in die Katastrophe hin¬
riß, der erste Grund gelegt wurde durch die Schicksale, welche über
List in den Jahren 1821 bis 1823 ergingen und deren er stets nur
mit den bittersten Empfindungen gedachte. Da jene gegen List ver¬
fügte Verfolgung unverkennbar viele Aehnlichkeit hat mit gewissen
Vorgängen der neuern Zeit im übrigen Deutschland, so werden einige
Mittheilungen darüber am Platze sein.

List, von je ein unerschrockener Verfechter Dessen, was er für
Wahrheit erkannte, dabei ein fertiger Demokrat, wie sich das von dem
Sohne der alten tapfern Reichsstadt Neutlingen erwarten ließ, hatte,
durch Mißstimmungen veranlaßt, seine Professur in Tübingen nieder¬
gelegt und war in die Abgeordnetenkammer getreten. Damals wehte
in vielen Geistern noch die frische Luft von 1817, man glaubte und
strebte noch. Aufgefordert von den angesehensten Bürgern Reutlingens
und berufen durch seine umfassende Kenntniß des Staatshaushaltes,
verfaßte er eine Petition an die Ständekammer, worin folgende Stelle
vorkam: „Ein oberflächlicher Blick schon auf die Verhältnisse Würtembergs
muß den unbefangenen Beobachter überzeugen, daß die Gesetzgebung
und Verwaltung unsers Vaterlandes an Grundgebrechen leiden, welche
das Mark des Landes verzehren und die bürgerliche Freiheit vernichten.
Eine von dem Volk ausgeschiedene, über das ganze Land ausgegossene,


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[0453] Die Verfolgung Friedrich List's im Jahre l82l. Schwaben, das der deutschen Poesie ihren Schiller und Uhland gegeben, das die Philosophie durch Hegel und Schelling umgewälzt hat, sandte auch den nationalökonomischen Reformator, dessen trauriges Ende überall so gerechte Theilnahme erregt und dem auch seine Feinde nicht den schöpferischen Genius und das Verdienst, die Volkswirthschaft den Deutschen näher gebracht zu haben, absprechen können. Hier in Würtemberg ist man überzeugt, daß zu jener Melancholie, welche den felsenfesten Charakter endlich übermannte und in die Katastrophe hin¬ riß, der erste Grund gelegt wurde durch die Schicksale, welche über List in den Jahren 1821 bis 1823 ergingen und deren er stets nur mit den bittersten Empfindungen gedachte. Da jene gegen List ver¬ fügte Verfolgung unverkennbar viele Aehnlichkeit hat mit gewissen Vorgängen der neuern Zeit im übrigen Deutschland, so werden einige Mittheilungen darüber am Platze sein. List, von je ein unerschrockener Verfechter Dessen, was er für Wahrheit erkannte, dabei ein fertiger Demokrat, wie sich das von dem Sohne der alten tapfern Reichsstadt Neutlingen erwarten ließ, hatte, durch Mißstimmungen veranlaßt, seine Professur in Tübingen nieder¬ gelegt und war in die Abgeordnetenkammer getreten. Damals wehte in vielen Geistern noch die frische Luft von 1817, man glaubte und strebte noch. Aufgefordert von den angesehensten Bürgern Reutlingens und berufen durch seine umfassende Kenntniß des Staatshaushaltes, verfaßte er eine Petition an die Ständekammer, worin folgende Stelle vorkam: „Ein oberflächlicher Blick schon auf die Verhältnisse Würtembergs muß den unbefangenen Beobachter überzeugen, daß die Gesetzgebung und Verwaltung unsers Vaterlandes an Grundgebrechen leiden, welche das Mark des Landes verzehren und die bürgerliche Freiheit vernichten. Eine von dem Volk ausgeschiedene, über das ganze Land ausgegossene, Grenztotm. lV. W

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/453>, abgerufen am 23.07.2024.