Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.Notizen. Regierungs-Passionen. -- Der Zahnarzt und die Vergessenheit. -- Der Erste in der Uebersetzung. -- Volksmährchen von Bode. -- Was sie im Großherzogthum Hessen wollen, versteht ein einfaches -- Man kennt die Anekdote von jenem durchlauchtigen alten Herrn, Notizen. Regierungs-Passionen. — Der Zahnarzt und die Vergessenheit. — Der Erste in der Uebersetzung. — Volksmährchen von Bode. — Was sie im Großherzogthum Hessen wollen, versteht ein einfaches — Man kennt die Anekdote von jenem durchlauchtigen alten Herrn, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0451" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/184033"/> </div> </div> <div n="1"> <head> Notizen.</head><lb/> <note type="argument"> Regierungs-Passionen. — Der Zahnarzt und die Vergessenheit. — Der Erste<lb/> in der Uebersetzung. — Volksmährchen von Bode.</note><lb/> <p xml:id="ID_1308"> — Was sie im Großherzogthum Hessen wollen, versteht ein einfaches<lb/> Menschenkind nicht. Da ist ein Land, welches bisher zufrieden mit seiner<lb/> Negierung war, bis diese auf den Einfall kommt, es durchaus noch zu¬<lb/> friedener zu machen und ihm zu Weihnachten ein neues „verbessertes"<lb/> Gesetzbuch zu schenken. Vergebens schreien die Rheinhessen: Wir bitten<lb/> dringend, uns in unserer bisherigen Zufriedenheit zu lassen, da wir mit<lb/> ihr sehr zufrieden sind. Die Regierung behauptet, sie könne das nicht<lb/> zugeben, die jetzige Zufriedenheit sei eigentlich gar nicht begründet gewesen,<lb/> und es sei durchaus ihre Pflicht, Zufriedenere zu bilden, selbst wenn die<lb/> Zufriedenen darüber unzufrieden werden sollten. Und nun beginnt sie<lb/> das Land plötzlich dergestalt in die höchste Zufriedenheit hincinzuregieren, daß sie<lb/> in dem lustigen Rheinlande ihre Narrhallafeste einstellen und die ernst¬<lb/> haftesten Mienen annehmen. Ist das nicht wie Jemand, den man lachen<lb/> machen will und ihn so lange kitzelt, bis er zu keuchen anfängt? Das<lb/> Regieren scheint bei vielen Staatsmännern eine ererbte Passion, wie die<lb/> Jagd eine ist. Da es keine Wölfe und Bären mehr auszurotten gibt,<lb/> so jagt man, um nur in der Uebung zu bleiben, Spatzen und Kaninchen;<lb/> da es nichts zu gefetzgebern mehr gibt, so will man die „Mangel"<lb/> des <no<1e ^»polvon umsetzen. Vergebens schreit das Volk: Wir ertragen<lb/> gern die Kaninchen und die Spatzen des l^vllo ^sitpolvan, wenn uns<lb/> nur das Feld Nicht umgewühlt wird, das wir seit fünfzig Jahren besitzen.<lb/> Die Jagdpassion antwortet c^ioä non: Das Vertreiben der Spatzen ist<lb/> eine Hauptaufgabe einer pflichtbewußten Regierung und es ist mit einer<lb/> gänzlichen Umwühlung des Ackers gar nicht zu theuer erkauft. Was für<lb/> Saat aber aus diesen Furchen emporschießt, wird sie erst die -Zukunft<lb/> lehren.</p><lb/> <p xml:id="ID_1309" next="#ID_1310"> — Man kennt die Anekdote von jenem durchlauchtigen alten Herrn,<lb/> der mit zwei stehenden Witzen alle seine Gaste regalirte: I. Was würde<lb/> ich thun, wenn ich ein Zahnarzt wäre? — Ich würde der Zeit ihren<lb/> Zahn ausreißen! Hahccha! 2. Was würde ich thun, wenn ich schwimmen<lb/> könnte? — Ich würde mich ins Meer der Vergessenheit stürzen! Hahaha!<lb/> Man kennt auch die verblüffte Miene dieses alten Herrn, als ihm einst<lb/> ein Schalk, der schon früher von diesen zwei stehenden Witzen unter¬<lb/> richtet war, auf die erste Frage gleich die zweite Antwort gab: „Was<lb/> würde ich thun, wenn ich ein Zahnarzt wäre?" — „Sie würden<lb/> sich ins Meer der Vergessenheit stürzen!" — An diese Anekdote erin¬<lb/> nert die gegenwärtige Handlungsweise Frankreichs. Was würden Sie<lb/> thun, wenn Sie ein Zahnarzt wären? haben die Polen mit pochenden<lb/> Herzen durch fünfzehn Jahre gefragt. Was würden Sie thun, wenn<lb/> ein Zahn aus den Tractaten von 1815 wacklig und angefressen würde?<lb/> Und alljährlich ertönte die Protestation in der französischen Kammer mit<lb/> großen Worten zu Gunsten der polnischen Nation. Jetzt wo Kraken</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0451]
Notizen.
Regierungs-Passionen. — Der Zahnarzt und die Vergessenheit. — Der Erste
in der Uebersetzung. — Volksmährchen von Bode.
— Was sie im Großherzogthum Hessen wollen, versteht ein einfaches
Menschenkind nicht. Da ist ein Land, welches bisher zufrieden mit seiner
Negierung war, bis diese auf den Einfall kommt, es durchaus noch zu¬
friedener zu machen und ihm zu Weihnachten ein neues „verbessertes"
Gesetzbuch zu schenken. Vergebens schreien die Rheinhessen: Wir bitten
dringend, uns in unserer bisherigen Zufriedenheit zu lassen, da wir mit
ihr sehr zufrieden sind. Die Regierung behauptet, sie könne das nicht
zugeben, die jetzige Zufriedenheit sei eigentlich gar nicht begründet gewesen,
und es sei durchaus ihre Pflicht, Zufriedenere zu bilden, selbst wenn die
Zufriedenen darüber unzufrieden werden sollten. Und nun beginnt sie
das Land plötzlich dergestalt in die höchste Zufriedenheit hincinzuregieren, daß sie
in dem lustigen Rheinlande ihre Narrhallafeste einstellen und die ernst¬
haftesten Mienen annehmen. Ist das nicht wie Jemand, den man lachen
machen will und ihn so lange kitzelt, bis er zu keuchen anfängt? Das
Regieren scheint bei vielen Staatsmännern eine ererbte Passion, wie die
Jagd eine ist. Da es keine Wölfe und Bären mehr auszurotten gibt,
so jagt man, um nur in der Uebung zu bleiben, Spatzen und Kaninchen;
da es nichts zu gefetzgebern mehr gibt, so will man die „Mangel"
des <no<1e ^»polvon umsetzen. Vergebens schreit das Volk: Wir ertragen
gern die Kaninchen und die Spatzen des l^vllo ^sitpolvan, wenn uns
nur das Feld Nicht umgewühlt wird, das wir seit fünfzig Jahren besitzen.
Die Jagdpassion antwortet c^ioä non: Das Vertreiben der Spatzen ist
eine Hauptaufgabe einer pflichtbewußten Regierung und es ist mit einer
gänzlichen Umwühlung des Ackers gar nicht zu theuer erkauft. Was für
Saat aber aus diesen Furchen emporschießt, wird sie erst die -Zukunft
lehren.
— Man kennt die Anekdote von jenem durchlauchtigen alten Herrn,
der mit zwei stehenden Witzen alle seine Gaste regalirte: I. Was würde
ich thun, wenn ich ein Zahnarzt wäre? — Ich würde der Zeit ihren
Zahn ausreißen! Hahccha! 2. Was würde ich thun, wenn ich schwimmen
könnte? — Ich würde mich ins Meer der Vergessenheit stürzen! Hahaha!
Man kennt auch die verblüffte Miene dieses alten Herrn, als ihm einst
ein Schalk, der schon früher von diesen zwei stehenden Witzen unter¬
richtet war, auf die erste Frage gleich die zweite Antwort gab: „Was
würde ich thun, wenn ich ein Zahnarzt wäre?" — „Sie würden
sich ins Meer der Vergessenheit stürzen!" — An diese Anekdote erin¬
nert die gegenwärtige Handlungsweise Frankreichs. Was würden Sie
thun, wenn Sie ein Zahnarzt wären? haben die Polen mit pochenden
Herzen durch fünfzehn Jahre gefragt. Was würden Sie thun, wenn
ein Zahn aus den Tractaten von 1815 wacklig und angefressen würde?
Und alljährlich ertönte die Protestation in der französischen Kammer mit
großen Worten zu Gunsten der polnischen Nation. Jetzt wo Kraken
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