Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.T a g e b u c>i. i -Oesterreichs Stellung u, der Strakniler Frage. es>es> Krakau, der vielbestrafte und vielgeschonte Benjamin des Wiener So ist denn die flammende Polenfrage, die einst so viele Herzen T a g e b u c>i. i -Oesterreichs Stellung u, der Strakniler Frage. es>es> Krakau, der vielbestrafte und vielgeschonte Benjamin des Wiener So ist denn die flammende Polenfrage, die einst so viele Herzen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0354" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/183936"/> </div> </div> <div n="1"> <head> T a g e b u c>i.</head><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div n="2"> <head> i<lb/> -Oesterreichs Stellung u, der Strakniler Frage.</head><lb/> <p xml:id="ID_1073"> es>es> Krakau, der vielbestrafte und vielgeschonte Benjamin des Wiener<lb/> Congresses ist österreichisch geworden und die Diplomatie, die Journalistik,<lb/> die Börsenspekulanten und die Wirthshauspolitiker wären denn mit ihrem<lb/> Winrcrbedarf versehen. Auf dem Secirsteine liegt die edle polnische Leiche<lb/> und Aerzte und Wundärzte und Bader und Barbiergesellen stehen herum<lb/> und toben und lärmen und streiten miteinander, wem das Recht gehört<lb/> habe, dem letzten Concilium beizuwohnen, wem das Schröpfen und wem<lb/> das Aderlassen, wem die Wartung und wem die Leichenschau zugekommen<lb/> sei. Jeder zieht seinen Aunftbrief heraus und will sein Recht beweisen.<lb/> Jeder beschuldigt den Andern der Usurpation; um den Körper selbst aber<lb/> kümmert sich keiner dieser Aunftmenschen mehr! Und weil ihr denn nichts<lb/> als euere verknöcherten Privatinteressen dabei zu wahren sucht und weil<lb/> euch kein anderer Gedanke leitet als der «ueres Egoismus, so seid ihr<lb/> uns gleich, absolute oder liberale Gouvernements, Frankreich oder Ru߬<lb/> land, England oder Oesterreich, alle gehören in eine Schale und die Wage<lb/> der Humanität steht in starrem Gleichgewicht, weil Keiner mehr als der<lb/> Andere wiegt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1074" next="#ID_1075"> So ist denn die flammende Polenfrage, die einst so viele Herzen<lb/> entzündet, so viele Schwerter entblößt, zu so vielen unsterblichen Liedern<lb/> begeistert hat, zu einem gemeinen Buchstabenproceß zusammengeschrumpft<lb/> und der Buchstabe ist — für die absoluten Mächte! Hättet Ihr, Guizot<lb/> und Palmerston, an die Geschichte, an die Menschheit, an das ewige<lb/> Leben des Völkergeistes appellirt, so wäre die Begeisterung, der Zug der<lb/> Herzen für Euch gewesen; aber Ihr appellirt an den Buchstaben^ nun<lb/> denn — der Buchstabe ist gegen Euch! Setzt man die große Mensch-<lb/> heitspolitiß bei Seite und stellt man sich auf den Standpunkt der diplo-</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0354]
T a g e b u c>i.
i
-Oesterreichs Stellung u, der Strakniler Frage.
es>es> Krakau, der vielbestrafte und vielgeschonte Benjamin des Wiener
Congresses ist österreichisch geworden und die Diplomatie, die Journalistik,
die Börsenspekulanten und die Wirthshauspolitiker wären denn mit ihrem
Winrcrbedarf versehen. Auf dem Secirsteine liegt die edle polnische Leiche
und Aerzte und Wundärzte und Bader und Barbiergesellen stehen herum
und toben und lärmen und streiten miteinander, wem das Recht gehört
habe, dem letzten Concilium beizuwohnen, wem das Schröpfen und wem
das Aderlassen, wem die Wartung und wem die Leichenschau zugekommen
sei. Jeder zieht seinen Aunftbrief heraus und will sein Recht beweisen.
Jeder beschuldigt den Andern der Usurpation; um den Körper selbst aber
kümmert sich keiner dieser Aunftmenschen mehr! Und weil ihr denn nichts
als euere verknöcherten Privatinteressen dabei zu wahren sucht und weil
euch kein anderer Gedanke leitet als der «ueres Egoismus, so seid ihr
uns gleich, absolute oder liberale Gouvernements, Frankreich oder Ru߬
land, England oder Oesterreich, alle gehören in eine Schale und die Wage
der Humanität steht in starrem Gleichgewicht, weil Keiner mehr als der
Andere wiegt.
So ist denn die flammende Polenfrage, die einst so viele Herzen
entzündet, so viele Schwerter entblößt, zu so vielen unsterblichen Liedern
begeistert hat, zu einem gemeinen Buchstabenproceß zusammengeschrumpft
und der Buchstabe ist — für die absoluten Mächte! Hättet Ihr, Guizot
und Palmerston, an die Geschichte, an die Menschheit, an das ewige
Leben des Völkergeistes appellirt, so wäre die Begeisterung, der Zug der
Herzen für Euch gewesen; aber Ihr appellirt an den Buchstaben^ nun
denn — der Buchstabe ist gegen Euch! Setzt man die große Mensch-
heitspolitiß bei Seite und stellt man sich auf den Standpunkt der diplo-
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