Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.kann, so scheint mir doch eine solche für's Volk oder, nach den Ankündi¬ VI. Die österreichischen Schriftsteller im "Auslande." Der etwas auf die Spitze getriebene Vorwurf, der in unserer heu¬ kann, so scheint mir doch eine solche für's Volk oder, nach den Ankündi¬ VI. Die österreichischen Schriftsteller im „Auslande." Der etwas auf die Spitze getriebene Vorwurf, der in unserer heu¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0226" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/183808"/> <p xml:id="ID_621" prev="#ID_620"> kann, so scheint mir doch eine solche für's Volk oder, nach den Ankündi¬<lb/> gungen der Verlagshandlung und nach der Stärke der veranstalteten Aus¬<lb/> gabe, für möglichst viele Abonnenten bestimmte Arbeit kein so glücklicher<lb/> Gedanke zu sein. Man wird mir hierin gewiß gern beistimmen. Die<lb/> vor uns liegenden Bande umfassen die Geschichte der alten Welt und<lb/> geben unter Benutzung des ersten Theiles der Weltgeschichte, wenn auch<lb/> abgekürzt und zusammengezogen, die an dessen Stelle getretene Universal-<lb/> historische Uebersicht im Wesentlichen, und so viel als möglich wörtlich,<lb/> wieder. Wer nun die letztere kennt, wird mir zugeben müssen, daß sie<lb/> mit ihren geistvollen Darlegungen, z. B. der griechischen Cultur, Poesie,<lb/> Philosophie und Geschichtsschreibung allenfalls für den unterrichteten Kauf¬<lb/> mann, den studirten Geschäftsmann, aber vielleicht schon nicht für den<lb/> Volksschullehrer, geschweige für das Volk und die Jugend, welche doch<lb/> aus einer „Weltgeschichte für's Volk" ihre ersten Geschichtskenntnisse<lb/> schöpfen soll, zurecht gemacht werden könne. Dazu setzt sie viel zu viel<lb/> voraus und Alles, was zur Ausfüllung dieser Lücke bei dem vorliegenden<lb/> Werke wie unwillig eingeschaltet wird, ist für den Gebildeten störend und<lb/> für den Ununterrichteten ungenügend. Dies tritt besonders auffallend in<lb/> der Geschichte der Griechen hervor. Gewiß mußten in einer Weltge¬<lb/> schichte für's Volk die bekannten homerischen und herodot'schen Geschich¬<lb/> ten in der bisher üblichen oder wo möglich in besserer Weise nacherzählt<lb/> werden. Da dies aber nicht zum Tone und Inhalte der Universalhisto¬<lb/> rischen Uebersicht paßt, so unterblieb es. Aber daß es unterbleibt, ist na¬<lb/> türlich nicht minder drückend für die Verfasser einer populairen Weltge¬<lb/> schichte, sie sehen sich also genöthigt und lassen sich herbei, gelegentlich zu<lb/> sagen, daß die Cyklopen eine Art Halbgötter gewesen, und einige home¬<lb/> rische Helden mit ihren Schicksalen und die zwölf Arbeiten des Herkules<lb/> und Aehnliches so trocken und so kurz als möglich herzuzählen. Oben¬<lb/> drein sind diese Einschiebsel nicht ohne Unrichtigkeiten.</p><lb/> </div> <div n="2"> <head> VI.<lb/> Die österreichischen Schriftsteller im „Auslande."</head><lb/> <p xml:id="ID_622" next="#ID_623"> Der etwas auf die Spitze getriebene Vorwurf, der in unserer heu¬<lb/> tigen Nummer gegen den trefflichen Grillparzer erhoben wird, weil er<lb/> nicht in seiner Jugend auswanderte und seiner Muse die Freiheit gerettet<lb/> hat, wird Jedermann, der den edlen und reinen Charakter dieses Dichters<lb/> und die Verhältnisse, unter denen er zuerst aufgetreten ist, näher kennt,<lb/> ziemlich ungerecht finden. Man kann Grillparzer bedauern, daß sein<lb/> seltner Genius nicht in freier Luft sich entfalten konnte, aber anklagen<lb/> darf man ihn deshalb nicht. Die Liebe zur Heimath hat eine ebenso<lb/> große Berechtigung wie der Drang zur Poesie; wenn alle deutsche Schrift¬<lb/> steller, die ihre Gedanken tagtäglich unter dem Messer der Censur bluten<lb/> sehen, auswandern sollten, dann würden bald die Eunuchen des Rheini¬<lb/> schen Beobachters und Consorten sich für die Könige deutschen Schrift-<lb/> thums proclamiren lassen. Oesterreich ist noch um viele Grade schlimmer</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0226]
kann, so scheint mir doch eine solche für's Volk oder, nach den Ankündi¬
gungen der Verlagshandlung und nach der Stärke der veranstalteten Aus¬
gabe, für möglichst viele Abonnenten bestimmte Arbeit kein so glücklicher
Gedanke zu sein. Man wird mir hierin gewiß gern beistimmen. Die
vor uns liegenden Bande umfassen die Geschichte der alten Welt und
geben unter Benutzung des ersten Theiles der Weltgeschichte, wenn auch
abgekürzt und zusammengezogen, die an dessen Stelle getretene Universal-
historische Uebersicht im Wesentlichen, und so viel als möglich wörtlich,
wieder. Wer nun die letztere kennt, wird mir zugeben müssen, daß sie
mit ihren geistvollen Darlegungen, z. B. der griechischen Cultur, Poesie,
Philosophie und Geschichtsschreibung allenfalls für den unterrichteten Kauf¬
mann, den studirten Geschäftsmann, aber vielleicht schon nicht für den
Volksschullehrer, geschweige für das Volk und die Jugend, welche doch
aus einer „Weltgeschichte für's Volk" ihre ersten Geschichtskenntnisse
schöpfen soll, zurecht gemacht werden könne. Dazu setzt sie viel zu viel
voraus und Alles, was zur Ausfüllung dieser Lücke bei dem vorliegenden
Werke wie unwillig eingeschaltet wird, ist für den Gebildeten störend und
für den Ununterrichteten ungenügend. Dies tritt besonders auffallend in
der Geschichte der Griechen hervor. Gewiß mußten in einer Weltge¬
schichte für's Volk die bekannten homerischen und herodot'schen Geschich¬
ten in der bisher üblichen oder wo möglich in besserer Weise nacherzählt
werden. Da dies aber nicht zum Tone und Inhalte der Universalhisto¬
rischen Uebersicht paßt, so unterblieb es. Aber daß es unterbleibt, ist na¬
türlich nicht minder drückend für die Verfasser einer populairen Weltge¬
schichte, sie sehen sich also genöthigt und lassen sich herbei, gelegentlich zu
sagen, daß die Cyklopen eine Art Halbgötter gewesen, und einige home¬
rische Helden mit ihren Schicksalen und die zwölf Arbeiten des Herkules
und Aehnliches so trocken und so kurz als möglich herzuzählen. Oben¬
drein sind diese Einschiebsel nicht ohne Unrichtigkeiten.
VI.
Die österreichischen Schriftsteller im „Auslande."
Der etwas auf die Spitze getriebene Vorwurf, der in unserer heu¬
tigen Nummer gegen den trefflichen Grillparzer erhoben wird, weil er
nicht in seiner Jugend auswanderte und seiner Muse die Freiheit gerettet
hat, wird Jedermann, der den edlen und reinen Charakter dieses Dichters
und die Verhältnisse, unter denen er zuerst aufgetreten ist, näher kennt,
ziemlich ungerecht finden. Man kann Grillparzer bedauern, daß sein
seltner Genius nicht in freier Luft sich entfalten konnte, aber anklagen
darf man ihn deshalb nicht. Die Liebe zur Heimath hat eine ebenso
große Berechtigung wie der Drang zur Poesie; wenn alle deutsche Schrift¬
steller, die ihre Gedanken tagtäglich unter dem Messer der Censur bluten
sehen, auswandern sollten, dann würden bald die Eunuchen des Rheini¬
schen Beobachters und Consorten sich für die Könige deutschen Schrift-
thums proclamiren lassen. Oesterreich ist noch um viele Grade schlimmer
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