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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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II.
Aus Wien").

Schivanthaler's Meisterwerk. -- Bürgermeister Czapka. -- Die neue Kirche. --
Einheimische Kunstzustände. -- Baupläne. -- Der Narrenthurm. -- Der Bank¬
notenfalscher Boor und die Bolksmährchen. -- Fallissemente u. Wintcraussichren.

Wahrend man in Deutschland den 18. October auf eine Weise
feiert, welche mit dem allerorts da neu auflebenden Volksgeiste in einigem
Zusammenhange steht, geht man hier der Sache aus dem Wege und
außer der Parade im Jnvalidenhause erinnerte uns nichts an den Jahrestag
des Ricsenkampfes. Und doch waren zwei schöne Gelegenheiten dagewesen,
wo man dem Volke die Tage des Ruhmes in's Gedächtniß hatte zurück¬
rufen können: man hatte die Feier ebenso an die Enthüllung des Schwan-
thaler'schen Meisterwerks, des neuen Brunnens auf der Freiung, als an
die Einweihung der neuen Kirche auf der Jagerzeile knüpfen können.
Nun wurde aber der neue Brunnen am Abend vorher, als es schon
finster war, in aller Stille und ohne irgend eine Feierlichkeit enthüllt und
wäre nicht die Freiung einer der Häuptplatze Wiens, wo eine immer¬
währende starke Passage stattfindet, die Ueberraschung wäre vollkommen
gelungen. So aber blieb man, als man im Dunkeln doch etwas von
dem Enthüllungsgeschäfte bemerkte, stehen, und es mögen wohl tausend
bis fünfzehnhundert Menschen dagewesen sein, als die weiße Hülle fiel
und das wunderbar schöne Werk, vom weißen Lichte der fernen Gas¬
lampen beleuchtet, sich der erstaunten Menge zeigte. Es war freilich keine
officielle Feier, aber das Bravorufen, Händeklatschen, die freudigen Ausru¬
fungen waren um so wahrer. Jetzt, nach acht Tagen, sieht man den Brun¬
nen noch immer von Hunderten von Menschen umgeben, man kann sich nicht
satt sehen an der Poesie, der Schönheit und Grazie jeder einzelnen Figur,
und wer über die Freiung geht, verweilt gern immer einige Augenblicke
vor dem Kunstwerke, um sich daran zu erfreuen und zu erquicken. Aus
einem Bassin von grauem gesprenkeltem Granit erhebt sich ein Basalt¬
fels (leider nur ein künstlicher), von welchem eine Säule emporsteigt,
deren Aufsatz mit einem Kranze von Eichenblättern umsponnen die Figur
der Austria trägt, während auf dem Basaltfelsen um die Säule herum
die Figuren der vier Hauptflüsse Oesterreichs, Donau, Elbe, Weichsel, Po,
stehen. Es liegt, ohne dem entschieden ausgeprägten Charakter eines je¬
den einzelnen nur im Geringsten zu schaden, eine unaussprechliche Grazie
über diese Gestalten ausgegossen, eine Harmonie und Ruhe, welche auf
den Geringsten im Volke einen sichern Eindruck machen. Man muß
nur das Urtheil der Menge hören, wie Alles einstimmig im Lobe ist,
und der gesunde Sinn unsers Volkes tritt wieder einmal recht erfreulich
hervor. Alle vier Figuren stehen aufrecht da, eine Abweichung von der
allgemeinen Auffassung, Flußgötter oder personificirte Flüsse liegend zu
versinnlichen. Während der Po, eine männliche Figur, ernst freundlich
dasteht und den Schlüssel Italiens emporhebt, hält die Elbe, ein reizen-



D. Red.
*) Durch Zufall verspätet.
II.
Aus Wien").

Schivanthaler's Meisterwerk. — Bürgermeister Czapka. — Die neue Kirche. —
Einheimische Kunstzustände. — Baupläne. — Der Narrenthurm. — Der Bank¬
notenfalscher Boor und die Bolksmährchen. — Fallissemente u. Wintcraussichren.

Wahrend man in Deutschland den 18. October auf eine Weise
feiert, welche mit dem allerorts da neu auflebenden Volksgeiste in einigem
Zusammenhange steht, geht man hier der Sache aus dem Wege und
außer der Parade im Jnvalidenhause erinnerte uns nichts an den Jahrestag
des Ricsenkampfes. Und doch waren zwei schöne Gelegenheiten dagewesen,
wo man dem Volke die Tage des Ruhmes in's Gedächtniß hatte zurück¬
rufen können: man hatte die Feier ebenso an die Enthüllung des Schwan-
thaler'schen Meisterwerks, des neuen Brunnens auf der Freiung, als an
die Einweihung der neuen Kirche auf der Jagerzeile knüpfen können.
Nun wurde aber der neue Brunnen am Abend vorher, als es schon
finster war, in aller Stille und ohne irgend eine Feierlichkeit enthüllt und
wäre nicht die Freiung einer der Häuptplatze Wiens, wo eine immer¬
währende starke Passage stattfindet, die Ueberraschung wäre vollkommen
gelungen. So aber blieb man, als man im Dunkeln doch etwas von
dem Enthüllungsgeschäfte bemerkte, stehen, und es mögen wohl tausend
bis fünfzehnhundert Menschen dagewesen sein, als die weiße Hülle fiel
und das wunderbar schöne Werk, vom weißen Lichte der fernen Gas¬
lampen beleuchtet, sich der erstaunten Menge zeigte. Es war freilich keine
officielle Feier, aber das Bravorufen, Händeklatschen, die freudigen Ausru¬
fungen waren um so wahrer. Jetzt, nach acht Tagen, sieht man den Brun¬
nen noch immer von Hunderten von Menschen umgeben, man kann sich nicht
satt sehen an der Poesie, der Schönheit und Grazie jeder einzelnen Figur,
und wer über die Freiung geht, verweilt gern immer einige Augenblicke
vor dem Kunstwerke, um sich daran zu erfreuen und zu erquicken. Aus
einem Bassin von grauem gesprenkeltem Granit erhebt sich ein Basalt¬
fels (leider nur ein künstlicher), von welchem eine Säule emporsteigt,
deren Aufsatz mit einem Kranze von Eichenblättern umsponnen die Figur
der Austria trägt, während auf dem Basaltfelsen um die Säule herum
die Figuren der vier Hauptflüsse Oesterreichs, Donau, Elbe, Weichsel, Po,
stehen. Es liegt, ohne dem entschieden ausgeprägten Charakter eines je¬
den einzelnen nur im Geringsten zu schaden, eine unaussprechliche Grazie
über diese Gestalten ausgegossen, eine Harmonie und Ruhe, welche auf
den Geringsten im Volke einen sichern Eindruck machen. Man muß
nur das Urtheil der Menge hören, wie Alles einstimmig im Lobe ist,
und der gesunde Sinn unsers Volkes tritt wieder einmal recht erfreulich
hervor. Alle vier Figuren stehen aufrecht da, eine Abweichung von der
allgemeinen Auffassung, Flußgötter oder personificirte Flüsse liegend zu
versinnlichen. Während der Po, eine männliche Figur, ernst freundlich
dasteht und den Schlüssel Italiens emporhebt, hält die Elbe, ein reizen-



D. Red.
*) Durch Zufall verspätet.
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[0217] II. Aus Wien"). Schivanthaler's Meisterwerk. — Bürgermeister Czapka. — Die neue Kirche. — Einheimische Kunstzustände. — Baupläne. — Der Narrenthurm. — Der Bank¬ notenfalscher Boor und die Bolksmährchen. — Fallissemente u. Wintcraussichren. Wahrend man in Deutschland den 18. October auf eine Weise feiert, welche mit dem allerorts da neu auflebenden Volksgeiste in einigem Zusammenhange steht, geht man hier der Sache aus dem Wege und außer der Parade im Jnvalidenhause erinnerte uns nichts an den Jahrestag des Ricsenkampfes. Und doch waren zwei schöne Gelegenheiten dagewesen, wo man dem Volke die Tage des Ruhmes in's Gedächtniß hatte zurück¬ rufen können: man hatte die Feier ebenso an die Enthüllung des Schwan- thaler'schen Meisterwerks, des neuen Brunnens auf der Freiung, als an die Einweihung der neuen Kirche auf der Jagerzeile knüpfen können. Nun wurde aber der neue Brunnen am Abend vorher, als es schon finster war, in aller Stille und ohne irgend eine Feierlichkeit enthüllt und wäre nicht die Freiung einer der Häuptplatze Wiens, wo eine immer¬ währende starke Passage stattfindet, die Ueberraschung wäre vollkommen gelungen. So aber blieb man, als man im Dunkeln doch etwas von dem Enthüllungsgeschäfte bemerkte, stehen, und es mögen wohl tausend bis fünfzehnhundert Menschen dagewesen sein, als die weiße Hülle fiel und das wunderbar schöne Werk, vom weißen Lichte der fernen Gas¬ lampen beleuchtet, sich der erstaunten Menge zeigte. Es war freilich keine officielle Feier, aber das Bravorufen, Händeklatschen, die freudigen Ausru¬ fungen waren um so wahrer. Jetzt, nach acht Tagen, sieht man den Brun¬ nen noch immer von Hunderten von Menschen umgeben, man kann sich nicht satt sehen an der Poesie, der Schönheit und Grazie jeder einzelnen Figur, und wer über die Freiung geht, verweilt gern immer einige Augenblicke vor dem Kunstwerke, um sich daran zu erfreuen und zu erquicken. Aus einem Bassin von grauem gesprenkeltem Granit erhebt sich ein Basalt¬ fels (leider nur ein künstlicher), von welchem eine Säule emporsteigt, deren Aufsatz mit einem Kranze von Eichenblättern umsponnen die Figur der Austria trägt, während auf dem Basaltfelsen um die Säule herum die Figuren der vier Hauptflüsse Oesterreichs, Donau, Elbe, Weichsel, Po, stehen. Es liegt, ohne dem entschieden ausgeprägten Charakter eines je¬ den einzelnen nur im Geringsten zu schaden, eine unaussprechliche Grazie über diese Gestalten ausgegossen, eine Harmonie und Ruhe, welche auf den Geringsten im Volke einen sichern Eindruck machen. Man muß nur das Urtheil der Menge hören, wie Alles einstimmig im Lobe ist, und der gesunde Sinn unsers Volkes tritt wieder einmal recht erfreulich hervor. Alle vier Figuren stehen aufrecht da, eine Abweichung von der allgemeinen Auffassung, Flußgötter oder personificirte Flüsse liegend zu versinnlichen. Während der Po, eine männliche Figur, ernst freundlich dasteht und den Schlüssel Italiens emporhebt, hält die Elbe, ein reizen- D. Red. *) Durch Zufall verspätet.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/217>, abgerufen am 23.07.2024.