Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

uns Marie heute Abend vorgesetzt, hat vielleicht mein Blut in Wal¬
lung gebracht. Nun ist's vorüber!" .

"Höre Mar!" sing Robert jetzt an, "geh mir gleich zu Bett. Du
mußt morgen frühzeitig auf, denn um 6 Uhr müssen draußen an den
Schluchten schon alle Vorkehrungen getroffen und Nachricht auf dem
Schlosse sein, wo der Zehnender heute Nacht Quartier gemacht hat.
Gott, wie die Zeiten schlecht werden! In meiner Jugend machte man
nicht viel Lärmens um solch' ein Stück Wild. Aber wenn sich jetzt
so ein Thierchen blicken läßt, da schickt man gleich nach dem Schlosse
und trommelt die Leute meilenweit aus der Umgegend zusammen, daß
der seltne Gast ja nicht wieder entwische! Na mir ist es aber Recht,
schon um des alten Schlosses willen, denn das ist ungesäubert geblie¬
ben, seit der selige Herr zu Grabe ging, und das muß nun schon
6 Jahre her sein. -- Geht Kinder, geht zu Bett, und Du, Marie,
gib hübsch Acht, daß Dein Eheherr nicht im Schlafe wandle, wie er
dies manchmal zu thun pflegt. Gute Nacht, Ihr Kinder!" --


U.

Aber Mar konnte nicht schlafen. Zwei Stunden lag er schon
auf dem zerwühlten Kissen, und kein Schlummer wollte sich auf seine
Augenlider senken. Endlich hielt er es nicht länger so aus, er stand
auf und schlich in die Nebenstube, in der Hoffnung, das Klopfen sei¬
nes Herzens zu beschwichtigen, indem er in dem kleinen Raum auf-
und abging. Aber immer waren es dieselben Bilder, und dieselben Ge¬
danken, die ihn ängstigten, und immer unruhiger und unsteter wurden
seine Schritte. Mechanisch ergriff er endlich das kleine Lämpchen, was
er angezündet hatte, schlich zurück in die Schlafkammer und blieb hier
träumend vor Mariens Bett. Mit unsäglicher Wehmuth betrachtete
er die schlummernde. Ihre Augen waren fest geschlossen, aber der
Mund, ein wenig geöffnet, verzog sich manchmal in ein Lächeln, als
gingen liebe Traumgestalten an ihr vorüber. Die breiten Flechten ihres
kastanienbraunen Haares waren dem engen weißen Nachthäubchen ent¬
flohen und legten sich schmeichelnd um ihren Nacken. Ein kleines
Crucifir aus Elfenbein geschnitten, eine feine Tyrolerarbeit, hing an
einem schmalen schwarzen Sammtbändchen an ihrem Halse, und hob
und senkte sich bei den ruhigen Athemzügen der Schlummernden. --
Mar seufzte tief auf. Eine kurze Zeit lang verschwand der trübe
Ernst aus seinen Zügen, und sein Auge gewann den Ausdruck der


uns Marie heute Abend vorgesetzt, hat vielleicht mein Blut in Wal¬
lung gebracht. Nun ist's vorüber!" .

„Höre Mar!" sing Robert jetzt an, „geh mir gleich zu Bett. Du
mußt morgen frühzeitig auf, denn um 6 Uhr müssen draußen an den
Schluchten schon alle Vorkehrungen getroffen und Nachricht auf dem
Schlosse sein, wo der Zehnender heute Nacht Quartier gemacht hat.
Gott, wie die Zeiten schlecht werden! In meiner Jugend machte man
nicht viel Lärmens um solch' ein Stück Wild. Aber wenn sich jetzt
so ein Thierchen blicken läßt, da schickt man gleich nach dem Schlosse
und trommelt die Leute meilenweit aus der Umgegend zusammen, daß
der seltne Gast ja nicht wieder entwische! Na mir ist es aber Recht,
schon um des alten Schlosses willen, denn das ist ungesäubert geblie¬
ben, seit der selige Herr zu Grabe ging, und das muß nun schon
6 Jahre her sein. — Geht Kinder, geht zu Bett, und Du, Marie,
gib hübsch Acht, daß Dein Eheherr nicht im Schlafe wandle, wie er
dies manchmal zu thun pflegt. Gute Nacht, Ihr Kinder!" —


U.

Aber Mar konnte nicht schlafen. Zwei Stunden lag er schon
auf dem zerwühlten Kissen, und kein Schlummer wollte sich auf seine
Augenlider senken. Endlich hielt er es nicht länger so aus, er stand
auf und schlich in die Nebenstube, in der Hoffnung, das Klopfen sei¬
nes Herzens zu beschwichtigen, indem er in dem kleinen Raum auf-
und abging. Aber immer waren es dieselben Bilder, und dieselben Ge¬
danken, die ihn ängstigten, und immer unruhiger und unsteter wurden
seine Schritte. Mechanisch ergriff er endlich das kleine Lämpchen, was
er angezündet hatte, schlich zurück in die Schlafkammer und blieb hier
träumend vor Mariens Bett. Mit unsäglicher Wehmuth betrachtete
er die schlummernde. Ihre Augen waren fest geschlossen, aber der
Mund, ein wenig geöffnet, verzog sich manchmal in ein Lächeln, als
gingen liebe Traumgestalten an ihr vorüber. Die breiten Flechten ihres
kastanienbraunen Haares waren dem engen weißen Nachthäubchen ent¬
flohen und legten sich schmeichelnd um ihren Nacken. Ein kleines
Crucifir aus Elfenbein geschnitten, eine feine Tyrolerarbeit, hing an
einem schmalen schwarzen Sammtbändchen an ihrem Halse, und hob
und senkte sich bei den ruhigen Athemzügen der Schlummernden. —
Mar seufzte tief auf. Eine kurze Zeit lang verschwand der trübe
Ernst aus seinen Zügen, und sein Auge gewann den Ausdruck der


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0163" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/183745"/>
            <p xml:id="ID_432" prev="#ID_431"> uns Marie heute Abend vorgesetzt, hat vielleicht mein Blut in Wal¬<lb/>
lung gebracht.  Nun ist's vorüber!" .</p><lb/>
            <p xml:id="ID_433"> &#x201E;Höre Mar!" sing Robert jetzt an, &#x201E;geh mir gleich zu Bett. Du<lb/>
mußt morgen frühzeitig auf, denn um 6 Uhr müssen draußen an den<lb/>
Schluchten schon alle Vorkehrungen getroffen und Nachricht auf dem<lb/>
Schlosse sein, wo der Zehnender heute Nacht Quartier gemacht hat.<lb/>
Gott, wie die Zeiten schlecht werden! In meiner Jugend machte man<lb/>
nicht viel Lärmens um solch' ein Stück Wild. Aber wenn sich jetzt<lb/>
so ein Thierchen blicken läßt, da schickt man gleich nach dem Schlosse<lb/>
und trommelt die Leute meilenweit aus der Umgegend zusammen, daß<lb/>
der seltne Gast ja nicht wieder entwische! Na mir ist es aber Recht,<lb/>
schon um des alten Schlosses willen, denn das ist ungesäubert geblie¬<lb/>
ben, seit der selige Herr zu Grabe ging, und das muß nun schon<lb/>
6 Jahre her sein. &#x2014; Geht Kinder, geht zu Bett, und Du, Marie,<lb/>
gib hübsch Acht, daß Dein Eheherr nicht im Schlafe wandle, wie er<lb/>
dies manchmal zu thun pflegt.  Gute Nacht, Ihr Kinder!" &#x2014;</p><lb/>
          </div>
          <div n="2">
            <head> U.</head><lb/>
            <p xml:id="ID_434" next="#ID_435"> Aber Mar konnte nicht schlafen. Zwei Stunden lag er schon<lb/>
auf dem zerwühlten Kissen, und kein Schlummer wollte sich auf seine<lb/>
Augenlider senken. Endlich hielt er es nicht länger so aus, er stand<lb/>
auf und schlich in die Nebenstube, in der Hoffnung, das Klopfen sei¬<lb/>
nes Herzens zu beschwichtigen, indem er in dem kleinen Raum auf-<lb/>
und abging. Aber immer waren es dieselben Bilder, und dieselben Ge¬<lb/>
danken, die ihn ängstigten, und immer unruhiger und unsteter wurden<lb/>
seine Schritte. Mechanisch ergriff er endlich das kleine Lämpchen, was<lb/>
er angezündet hatte, schlich zurück in die Schlafkammer und blieb hier<lb/>
träumend vor Mariens Bett. Mit unsäglicher Wehmuth betrachtete<lb/>
er die schlummernde. Ihre Augen waren fest geschlossen, aber der<lb/>
Mund, ein wenig geöffnet, verzog sich manchmal in ein Lächeln, als<lb/>
gingen liebe Traumgestalten an ihr vorüber. Die breiten Flechten ihres<lb/>
kastanienbraunen Haares waren dem engen weißen Nachthäubchen ent¬<lb/>
flohen und legten sich schmeichelnd um ihren Nacken. Ein kleines<lb/>
Crucifir aus Elfenbein geschnitten, eine feine Tyrolerarbeit, hing an<lb/>
einem schmalen schwarzen Sammtbändchen an ihrem Halse, und hob<lb/>
und senkte sich bei den ruhigen Athemzügen der Schlummernden. &#x2014;<lb/>
Mar seufzte tief auf. Eine kurze Zeit lang verschwand der trübe<lb/>
Ernst aus seinen Zügen, und sein Auge gewann den Ausdruck der</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0163] uns Marie heute Abend vorgesetzt, hat vielleicht mein Blut in Wal¬ lung gebracht. Nun ist's vorüber!" . „Höre Mar!" sing Robert jetzt an, „geh mir gleich zu Bett. Du mußt morgen frühzeitig auf, denn um 6 Uhr müssen draußen an den Schluchten schon alle Vorkehrungen getroffen und Nachricht auf dem Schlosse sein, wo der Zehnender heute Nacht Quartier gemacht hat. Gott, wie die Zeiten schlecht werden! In meiner Jugend machte man nicht viel Lärmens um solch' ein Stück Wild. Aber wenn sich jetzt so ein Thierchen blicken läßt, da schickt man gleich nach dem Schlosse und trommelt die Leute meilenweit aus der Umgegend zusammen, daß der seltne Gast ja nicht wieder entwische! Na mir ist es aber Recht, schon um des alten Schlosses willen, denn das ist ungesäubert geblie¬ ben, seit der selige Herr zu Grabe ging, und das muß nun schon 6 Jahre her sein. — Geht Kinder, geht zu Bett, und Du, Marie, gib hübsch Acht, daß Dein Eheherr nicht im Schlafe wandle, wie er dies manchmal zu thun pflegt. Gute Nacht, Ihr Kinder!" — U. Aber Mar konnte nicht schlafen. Zwei Stunden lag er schon auf dem zerwühlten Kissen, und kein Schlummer wollte sich auf seine Augenlider senken. Endlich hielt er es nicht länger so aus, er stand auf und schlich in die Nebenstube, in der Hoffnung, das Klopfen sei¬ nes Herzens zu beschwichtigen, indem er in dem kleinen Raum auf- und abging. Aber immer waren es dieselben Bilder, und dieselben Ge¬ danken, die ihn ängstigten, und immer unruhiger und unsteter wurden seine Schritte. Mechanisch ergriff er endlich das kleine Lämpchen, was er angezündet hatte, schlich zurück in die Schlafkammer und blieb hier träumend vor Mariens Bett. Mit unsäglicher Wehmuth betrachtete er die schlummernde. Ihre Augen waren fest geschlossen, aber der Mund, ein wenig geöffnet, verzog sich manchmal in ein Lächeln, als gingen liebe Traumgestalten an ihr vorüber. Die breiten Flechten ihres kastanienbraunen Haares waren dem engen weißen Nachthäubchen ent¬ flohen und legten sich schmeichelnd um ihren Nacken. Ein kleines Crucifir aus Elfenbein geschnitten, eine feine Tyrolerarbeit, hing an einem schmalen schwarzen Sammtbändchen an ihrem Halse, und hob und senkte sich bei den ruhigen Athemzügen der Schlummernden. — Mar seufzte tief auf. Eine kurze Zeit lang verschwand der trübe Ernst aus seinen Zügen, und sein Auge gewann den Ausdruck der

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/163
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/163>, abgerufen am 05.12.2024.