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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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IV.
AUS Berlin.

Gut Ding will Weile. -- Warum die neue Zeitung Schiffbruch litt. -- El" Ein¬
gesandt. -- Die äM-ste Schauspielerin.

Ich hatte mir am 15. Oktober einen Bogen von dem allerfeinsten
englischen Papiere und eine ganz neue französische Stahlfeder zurecht ge¬
legt; auch rosenrothe Dime hatte ich zur Hand Alles war vorbereitet,
um Ihnen sogleich die Nachricht zujubeln zu können: Die Konstitution
ist da, die Reichsstände sind einberufen! Aber der Tag verstrich und die
Reichsstände kamen nicht. Da siel mir ein, daß, wenn auch viele Jour¬
nale aus "gut unterrichteter Quelle" die Einher ufung der Reichsstände auf
den 15. feststellten, viele andere (Korrespondenten "aus bester Quelle" die
Einberufung auf den l8. October, als dem Jahrestag des "großen Völker¬
glücks" festsetzten, und so verschob ich denn meinen Brief noch auf drei
Tage. Leider muß ich Ihnen jedoch heute auf gewöhnlichem Papiere
schreiben, und ich glaube, meine alte zweizackige Stahlfeder und etwas
klebrige Dinte kann noch lange Dienste thun. Gut Ding will Weile,
und sollte man von der langen Weile, die das ewige Auf- und Nieder¬
tauchen unseres Eonstitutionsplans dem Lefepublicum bereits gemacht
hat, auf die Güte seines Inhalts schließen, so dürfen wir eine Constitution
erwarten, vor welcher die nmAiiü euren und die all-u to-vkiitv sich ver¬
stecken müssen. Einstweilen aber wollen wir von andern unverfänglichen
Dingen sprechen, z. B- von der "Deutschen Zeitung", ont^o geheimen
Rathszeitung, ont^o preußisches ^ouin-et des vvbuts, welche gleichfalls
im October hätte erscheinen sollen, aber in Folge des bekannten Dahl-
niann'schen Briefes sich vollständigst zurückgezogen hat. Es ist in der
Geschichte der Journalistik vielleicht ein noch nie dagewesener Fall, daß
ein bloßes Programm, und zwar ein ziemlich nichtssagendes Programm, so
vielen Lärm erregt. In der Thar, unpraktischer, als sie zu Werke
gegangen, hätten die Herren es nicht anfangen können. Sechs oder acht
Männer, denen selbst ihre Gegner die ausgebreitetsten Kenntnisse und
schriftstellerisches Talent nicht absprechen können, thun sich zusammen, um
ein Journal zu begründen. Aber statt entschlossen die Hand an's Werk
zu legen und selbst in die Arena zu treten, klopfen sie erst an allen Thüren,
schicken eine MusterSarte herum und bitten um gütigen Beistand. Hätten
die Herren Beruf zu ihrem Vorhaben gehabt, so hätten sie ihr Journal
frischweg begonnen, hätten in den ersten Monaten selbst die Hauptartikel
geliefert, hätten durch die That der Welt vor Augen gelegt, was sie wollen
und anstreben, und die Gleichgesinnten, die ihrer Farbe Angehörenden
hätten sich nach und nach sicher eingestellt. Acht Gelehrte von Ruf, von
theilweise großem Rufe, sollen nicht durch ein Jahr eine Zeitung ganz
allein schreiben können! Daß sie sich die Kräfte dazu nicht zutrauten,
beweist eben, daß sie keinen Beruf dazu hatten, und daran scheiterte ihr


IV.
AUS Berlin.

Gut Ding will Weile. — Warum die neue Zeitung Schiffbruch litt. — El» Ein¬
gesandt. — Die äM-ste Schauspielerin.

Ich hatte mir am 15. Oktober einen Bogen von dem allerfeinsten
englischen Papiere und eine ganz neue französische Stahlfeder zurecht ge¬
legt; auch rosenrothe Dime hatte ich zur Hand Alles war vorbereitet,
um Ihnen sogleich die Nachricht zujubeln zu können: Die Konstitution
ist da, die Reichsstände sind einberufen! Aber der Tag verstrich und die
Reichsstände kamen nicht. Da siel mir ein, daß, wenn auch viele Jour¬
nale aus „gut unterrichteter Quelle" die Einher ufung der Reichsstände auf
den 15. feststellten, viele andere (Korrespondenten „aus bester Quelle" die
Einberufung auf den l8. October, als dem Jahrestag des „großen Völker¬
glücks" festsetzten, und so verschob ich denn meinen Brief noch auf drei
Tage. Leider muß ich Ihnen jedoch heute auf gewöhnlichem Papiere
schreiben, und ich glaube, meine alte zweizackige Stahlfeder und etwas
klebrige Dinte kann noch lange Dienste thun. Gut Ding will Weile,
und sollte man von der langen Weile, die das ewige Auf- und Nieder¬
tauchen unseres Eonstitutionsplans dem Lefepublicum bereits gemacht
hat, auf die Güte seines Inhalts schließen, so dürfen wir eine Constitution
erwarten, vor welcher die nmAiiü euren und die all-u to-vkiitv sich ver¬
stecken müssen. Einstweilen aber wollen wir von andern unverfänglichen
Dingen sprechen, z. B- von der „Deutschen Zeitung", ont^o geheimen
Rathszeitung, ont^o preußisches ^ouin-et des vvbuts, welche gleichfalls
im October hätte erscheinen sollen, aber in Folge des bekannten Dahl-
niann'schen Briefes sich vollständigst zurückgezogen hat. Es ist in der
Geschichte der Journalistik vielleicht ein noch nie dagewesener Fall, daß
ein bloßes Programm, und zwar ein ziemlich nichtssagendes Programm, so
vielen Lärm erregt. In der Thar, unpraktischer, als sie zu Werke
gegangen, hätten die Herren es nicht anfangen können. Sechs oder acht
Männer, denen selbst ihre Gegner die ausgebreitetsten Kenntnisse und
schriftstellerisches Talent nicht absprechen können, thun sich zusammen, um
ein Journal zu begründen. Aber statt entschlossen die Hand an's Werk
zu legen und selbst in die Arena zu treten, klopfen sie erst an allen Thüren,
schicken eine MusterSarte herum und bitten um gütigen Beistand. Hätten
die Herren Beruf zu ihrem Vorhaben gehabt, so hätten sie ihr Journal
frischweg begonnen, hätten in den ersten Monaten selbst die Hauptartikel
geliefert, hätten durch die That der Welt vor Augen gelegt, was sie wollen
und anstreben, und die Gleichgesinnten, die ihrer Farbe Angehörenden
hätten sich nach und nach sicher eingestellt. Acht Gelehrte von Ruf, von
theilweise großem Rufe, sollen nicht durch ein Jahr eine Zeitung ganz
allein schreiben können! Daß sie sich die Kräfte dazu nicht zutrauten,
beweist eben, daß sie keinen Beruf dazu hatten, und daran scheiterte ihr


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[0127] IV. AUS Berlin. Gut Ding will Weile. — Warum die neue Zeitung Schiffbruch litt. — El» Ein¬ gesandt. — Die äM-ste Schauspielerin. Ich hatte mir am 15. Oktober einen Bogen von dem allerfeinsten englischen Papiere und eine ganz neue französische Stahlfeder zurecht ge¬ legt; auch rosenrothe Dime hatte ich zur Hand Alles war vorbereitet, um Ihnen sogleich die Nachricht zujubeln zu können: Die Konstitution ist da, die Reichsstände sind einberufen! Aber der Tag verstrich und die Reichsstände kamen nicht. Da siel mir ein, daß, wenn auch viele Jour¬ nale aus „gut unterrichteter Quelle" die Einher ufung der Reichsstände auf den 15. feststellten, viele andere (Korrespondenten „aus bester Quelle" die Einberufung auf den l8. October, als dem Jahrestag des „großen Völker¬ glücks" festsetzten, und so verschob ich denn meinen Brief noch auf drei Tage. Leider muß ich Ihnen jedoch heute auf gewöhnlichem Papiere schreiben, und ich glaube, meine alte zweizackige Stahlfeder und etwas klebrige Dinte kann noch lange Dienste thun. Gut Ding will Weile, und sollte man von der langen Weile, die das ewige Auf- und Nieder¬ tauchen unseres Eonstitutionsplans dem Lefepublicum bereits gemacht hat, auf die Güte seines Inhalts schließen, so dürfen wir eine Constitution erwarten, vor welcher die nmAiiü euren und die all-u to-vkiitv sich ver¬ stecken müssen. Einstweilen aber wollen wir von andern unverfänglichen Dingen sprechen, z. B- von der „Deutschen Zeitung", ont^o geheimen Rathszeitung, ont^o preußisches ^ouin-et des vvbuts, welche gleichfalls im October hätte erscheinen sollen, aber in Folge des bekannten Dahl- niann'schen Briefes sich vollständigst zurückgezogen hat. Es ist in der Geschichte der Journalistik vielleicht ein noch nie dagewesener Fall, daß ein bloßes Programm, und zwar ein ziemlich nichtssagendes Programm, so vielen Lärm erregt. In der Thar, unpraktischer, als sie zu Werke gegangen, hätten die Herren es nicht anfangen können. Sechs oder acht Männer, denen selbst ihre Gegner die ausgebreitetsten Kenntnisse und schriftstellerisches Talent nicht absprechen können, thun sich zusammen, um ein Journal zu begründen. Aber statt entschlossen die Hand an's Werk zu legen und selbst in die Arena zu treten, klopfen sie erst an allen Thüren, schicken eine MusterSarte herum und bitten um gütigen Beistand. Hätten die Herren Beruf zu ihrem Vorhaben gehabt, so hätten sie ihr Journal frischweg begonnen, hätten in den ersten Monaten selbst die Hauptartikel geliefert, hätten durch die That der Welt vor Augen gelegt, was sie wollen und anstreben, und die Gleichgesinnten, die ihrer Farbe Angehörenden hätten sich nach und nach sicher eingestellt. Acht Gelehrte von Ruf, von theilweise großem Rufe, sollen nicht durch ein Jahr eine Zeitung ganz allein schreiben können! Daß sie sich die Kräfte dazu nicht zutrauten, beweist eben, daß sie keinen Beruf dazu hatten, und daran scheiterte ihr

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/127>, abgerufen am 23.07.2024.