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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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im Einfall zu haben und es wäre ihm dennoch nicht gelungen. Un¬
serm ehrenwerthen Pastor aber geht derlei so leicht von Statten, wie
etwa seine neuliche Predigt. So höre denn! Es war bei einem Kind-
taufsschmause, als nach der Suppe Seine Ehrwürden aufstanden und
mit dem Glase in der Hand sich nwsperten und sprachen: Ich bringe
dieses Glas dem da oben, dem, der da über uns donnert. Der all¬
waltende gnädige Gott, der diesen neuen Menschen gegeben, zu dessen
Ehren wir hier in Freude versammelt sind, der himmlische Vater, -er
lebe hoch!" Was sagst Du dazu?


VII.

Der Nessourcenwirth hat zur Unterhaltung seiner Gäste die Abend¬
zeitung angeschafft, d. h. einen nicht mehr ganz vollständigen Jahr¬
gang von 1836. Bei Gelegenheit einer Versteigerung von Maku¬
latur erstanden, ist er seit geraumer Zeit die einzige Quelle der mo¬
dernen schöngeistigen Literatur für die hiesige gebildete Welt. Meine
früheren Zweifel an dem Reichthum dieses Blattes mußten vor der
Thatsache weichen, daß es noch heute, sage noch heute, mit einer Gier
verschlungen wird, die sonst fast ganz außergewöhnliche Erscheinungen
zu erregen nicht im Stande sind. Jeden Sonntag Morgen nämlich
versammelten sich die leselustigen oder leseverständigen Mitglieder der
Ressource, um von Neuem darüber in's Klare zu kommen, wie vor
grade 9 Jahren diese oder jene Bürgerin in diesem oder jenem Winter
brillirt und nicht brillirt habe, oder in Erfahrung zu bringen, daß
die nunmehr schon zum fünften Male gelesene Novelle, wirklich noch
damit endet, daß Er und Sie einander heirathen, oder mit einem
Worte -- um nicht ganz hinter dem rasch enteilenden Zeitgeist zu¬
rückzubleiben. Da denn die Abendzeitung auch hin und wieder einen
schlechten Witz bringt, so ist man eifrig dahinter her, solchen sich an¬
zueignen und die Suade wird und muß kommen, da es gelingt, damit
der weniger belesenen Damenwelt dasselbe Lächeln von Neuem abzu¬
locken, das ihm früher ein Mal zu Theil geworden. -- Für die
sociale Literatur, die bekanntlich in unsern Tagen viel von sich reden
macht, ist das Intelligenzblatt der drei Meilen entfernten Hauptstadt
M. vorhanden. Dieses versorgt mit ganz authentischen Nachrichten
darüber, wo daselbst neue Heringe zu haben, -- wer zu deu billigsten
Preisen Gelegenheitsgedichte verfertigt, daß ein weiblicher Dienstbote
mit guten Ältesten gesucht werde, daß 5 und U mit einander verlobt
sind und in der vergangenen Woche fünf uneheliche Kinder geboren


im Einfall zu haben und es wäre ihm dennoch nicht gelungen. Un¬
serm ehrenwerthen Pastor aber geht derlei so leicht von Statten, wie
etwa seine neuliche Predigt. So höre denn! Es war bei einem Kind-
taufsschmause, als nach der Suppe Seine Ehrwürden aufstanden und
mit dem Glase in der Hand sich nwsperten und sprachen: Ich bringe
dieses Glas dem da oben, dem, der da über uns donnert. Der all¬
waltende gnädige Gott, der diesen neuen Menschen gegeben, zu dessen
Ehren wir hier in Freude versammelt sind, der himmlische Vater, -er
lebe hoch!" Was sagst Du dazu?


VII.

Der Nessourcenwirth hat zur Unterhaltung seiner Gäste die Abend¬
zeitung angeschafft, d. h. einen nicht mehr ganz vollständigen Jahr¬
gang von 1836. Bei Gelegenheit einer Versteigerung von Maku¬
latur erstanden, ist er seit geraumer Zeit die einzige Quelle der mo¬
dernen schöngeistigen Literatur für die hiesige gebildete Welt. Meine
früheren Zweifel an dem Reichthum dieses Blattes mußten vor der
Thatsache weichen, daß es noch heute, sage noch heute, mit einer Gier
verschlungen wird, die sonst fast ganz außergewöhnliche Erscheinungen
zu erregen nicht im Stande sind. Jeden Sonntag Morgen nämlich
versammelten sich die leselustigen oder leseverständigen Mitglieder der
Ressource, um von Neuem darüber in's Klare zu kommen, wie vor
grade 9 Jahren diese oder jene Bürgerin in diesem oder jenem Winter
brillirt und nicht brillirt habe, oder in Erfahrung zu bringen, daß
die nunmehr schon zum fünften Male gelesene Novelle, wirklich noch
damit endet, daß Er und Sie einander heirathen, oder mit einem
Worte — um nicht ganz hinter dem rasch enteilenden Zeitgeist zu¬
rückzubleiben. Da denn die Abendzeitung auch hin und wieder einen
schlechten Witz bringt, so ist man eifrig dahinter her, solchen sich an¬
zueignen und die Suade wird und muß kommen, da es gelingt, damit
der weniger belesenen Damenwelt dasselbe Lächeln von Neuem abzu¬
locken, das ihm früher ein Mal zu Theil geworden. — Für die
sociale Literatur, die bekanntlich in unsern Tagen viel von sich reden
macht, ist das Intelligenzblatt der drei Meilen entfernten Hauptstadt
M. vorhanden. Dieses versorgt mit ganz authentischen Nachrichten
darüber, wo daselbst neue Heringe zu haben, — wer zu deu billigsten
Preisen Gelegenheitsgedichte verfertigt, daß ein weiblicher Dienstbote
mit guten Ältesten gesucht werde, daß 5 und U mit einander verlobt
sind und in der vergangenen Woche fünf uneheliche Kinder geboren


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[0494] im Einfall zu haben und es wäre ihm dennoch nicht gelungen. Un¬ serm ehrenwerthen Pastor aber geht derlei so leicht von Statten, wie etwa seine neuliche Predigt. So höre denn! Es war bei einem Kind- taufsschmause, als nach der Suppe Seine Ehrwürden aufstanden und mit dem Glase in der Hand sich nwsperten und sprachen: Ich bringe dieses Glas dem da oben, dem, der da über uns donnert. Der all¬ waltende gnädige Gott, der diesen neuen Menschen gegeben, zu dessen Ehren wir hier in Freude versammelt sind, der himmlische Vater, -er lebe hoch!" Was sagst Du dazu? VII. Der Nessourcenwirth hat zur Unterhaltung seiner Gäste die Abend¬ zeitung angeschafft, d. h. einen nicht mehr ganz vollständigen Jahr¬ gang von 1836. Bei Gelegenheit einer Versteigerung von Maku¬ latur erstanden, ist er seit geraumer Zeit die einzige Quelle der mo¬ dernen schöngeistigen Literatur für die hiesige gebildete Welt. Meine früheren Zweifel an dem Reichthum dieses Blattes mußten vor der Thatsache weichen, daß es noch heute, sage noch heute, mit einer Gier verschlungen wird, die sonst fast ganz außergewöhnliche Erscheinungen zu erregen nicht im Stande sind. Jeden Sonntag Morgen nämlich versammelten sich die leselustigen oder leseverständigen Mitglieder der Ressource, um von Neuem darüber in's Klare zu kommen, wie vor grade 9 Jahren diese oder jene Bürgerin in diesem oder jenem Winter brillirt und nicht brillirt habe, oder in Erfahrung zu bringen, daß die nunmehr schon zum fünften Male gelesene Novelle, wirklich noch damit endet, daß Er und Sie einander heirathen, oder mit einem Worte — um nicht ganz hinter dem rasch enteilenden Zeitgeist zu¬ rückzubleiben. Da denn die Abendzeitung auch hin und wieder einen schlechten Witz bringt, so ist man eifrig dahinter her, solchen sich an¬ zueignen und die Suade wird und muß kommen, da es gelingt, damit der weniger belesenen Damenwelt dasselbe Lächeln von Neuem abzu¬ locken, das ihm früher ein Mal zu Theil geworden. — Für die sociale Literatur, die bekanntlich in unsern Tagen viel von sich reden macht, ist das Intelligenzblatt der drei Meilen entfernten Hauptstadt M. vorhanden. Dieses versorgt mit ganz authentischen Nachrichten darüber, wo daselbst neue Heringe zu haben, — wer zu deu billigsten Preisen Gelegenheitsgedichte verfertigt, daß ein weiblicher Dienstbote mit guten Ältesten gesucht werde, daß 5 und U mit einander verlobt sind und in der vergangenen Woche fünf uneheliche Kinder geboren

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/494>, abgerufen am 28.12.2024.