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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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den Manne darauf eine Antwort gebe. Was soll daraus werden in dem
neuen Hamburg, welches einen Palast zu dem andern gestellt hat. Oder
wird die patriotische Gesellschaft jetzt factisch einschreiten, recht bald? --


(5H.
III.
Aus Brüssel.

Das katholische Ministerium. -- Das Gesetz über den mittlern Unterricht. --
siegende Niederlage. -- Ein Anachronismus. -- Die öffentliche Meinung. --
Reliquien. -- Gleichnisse. -- Salongcsprcich. -- Gerücht.

Das neue, so unerwartet erschienene katholische Ministerium hat
in dieser Woche ein Majoritätsvotum erlitten, das einer Niederlage gar
ähnlich sieht und auch als solche selbst von den sanftesten Blättern an¬
erkannt wird. Nachdem nämlich heftige, ja heiße Debatten tagelang die
Kammer bewegt und das Publicum beschäftigt, trug ein Mitglied der
Opposition darauf an, daß die Minister diejenigen Modifikationen, welche
sie für das Gesetz über den mittlern Unterricht (dessen Berathung im
Ministerconseil bekanntlich den Sturz des Herrn van de Weyer und
das Auftreten des Herrn de Theux veranlaßt) einzuführen gedachten,
der Kammer vorlegen sollten. Dem widersetzte sich das Ministerium.
Die Motion ward dadurch und besonders nach der ausdrücklichen Erklä¬
rung der Minister zur Cabinetsfrage erhoben. Ja, Herr de Theux,
der Herrn Regier besonders wegen dessen Drohung, die Kammer aus¬
zulösen, getadelt und der, um diesen Staatsstreich zu vermeiden, statt
des Erstem die Verwaltung übernommen--Herr de Theux erklärte im
entscheidenden Augenblicke, fiele das Ministerium durch, so sei die Dis-
iolurion der Kammern eine nothwendige Folge seines Unterliegens. Trotz
dieses plötzliche", erschütternden Geständnisses reihte sich das linke Cen¬
trum zur Linken und 40 Mitglieder (der Opposition) stimmten für die
Motion, während Ap sich dagegen erklärten. Herr de Decker ent¬
hielt sich des Votums. Es fehlten also nur vier Kammermitglie¬
der. Alle Katholiken (ein unerhörtes Beispiel) waren an ihrem Platz,
unter den Anwesenden befanden sich zwar entschiedene Liberale und die
Herren Mercier und Nothomb (Gesandte im Haag und in Berlin),
o>e auch ein rein katholisches Ministerium nicht hätten unterstützen
können. So zählt die Opposition also eigentlich 44 Stimmen- Dedu-
ciren Sie nun von den W der Majorität die 6 der Minister selbst, so
theilt sich die Kammer in zwei entschiedene, aber schwachkatholische Hälf¬
ten, welche die Regierung erschweren Ein Ministerwechsel wäre darum
anständig. Doch Herr de Theux, der sich des fünften Actes, den seine
Partei durchlebt, wohl bewußt ist, wird bleiben, so lange es nicht mensch¬
lich, sonder" ministeriell möglich. Zu bemerken ist nur noch, daß eine
Menge Beamten sich in der jetzigen spärlichen Majorität befinden, die
mit jedem Ministerium, aber noch weit lieber mit einem liberalen, poli-
ren. Eine liberale Verwaltung hatte mithin, das springt in die Augen,
eine entschiedene Md moralisch bei Weitem stärkere Mehrzahl. Mit ei¬
nem Wort, Herr de Theux hat gesiegt wie der Evirotcnfürst -in Ita¬
lien und muß sich, wie dieser, verbluten.


"r"n,b<,den, Isis. II. 34

den Manne darauf eine Antwort gebe. Was soll daraus werden in dem
neuen Hamburg, welches einen Palast zu dem andern gestellt hat. Oder
wird die patriotische Gesellschaft jetzt factisch einschreiten, recht bald? —


(5H.
III.
Aus Brüssel.

Das katholische Ministerium. — Das Gesetz über den mittlern Unterricht. —
siegende Niederlage. — Ein Anachronismus. — Die öffentliche Meinung. —
Reliquien. — Gleichnisse. — Salongcsprcich. — Gerücht.

Das neue, so unerwartet erschienene katholische Ministerium hat
in dieser Woche ein Majoritätsvotum erlitten, das einer Niederlage gar
ähnlich sieht und auch als solche selbst von den sanftesten Blättern an¬
erkannt wird. Nachdem nämlich heftige, ja heiße Debatten tagelang die
Kammer bewegt und das Publicum beschäftigt, trug ein Mitglied der
Opposition darauf an, daß die Minister diejenigen Modifikationen, welche
sie für das Gesetz über den mittlern Unterricht (dessen Berathung im
Ministerconseil bekanntlich den Sturz des Herrn van de Weyer und
das Auftreten des Herrn de Theux veranlaßt) einzuführen gedachten,
der Kammer vorlegen sollten. Dem widersetzte sich das Ministerium.
Die Motion ward dadurch und besonders nach der ausdrücklichen Erklä¬
rung der Minister zur Cabinetsfrage erhoben. Ja, Herr de Theux,
der Herrn Regier besonders wegen dessen Drohung, die Kammer aus¬
zulösen, getadelt und der, um diesen Staatsstreich zu vermeiden, statt
des Erstem die Verwaltung übernommen—Herr de Theux erklärte im
entscheidenden Augenblicke, fiele das Ministerium durch, so sei die Dis-
iolurion der Kammern eine nothwendige Folge seines Unterliegens. Trotz
dieses plötzliche», erschütternden Geständnisses reihte sich das linke Cen¬
trum zur Linken und 40 Mitglieder (der Opposition) stimmten für die
Motion, während Ap sich dagegen erklärten. Herr de Decker ent¬
hielt sich des Votums. Es fehlten also nur vier Kammermitglie¬
der. Alle Katholiken (ein unerhörtes Beispiel) waren an ihrem Platz,
unter den Anwesenden befanden sich zwar entschiedene Liberale und die
Herren Mercier und Nothomb (Gesandte im Haag und in Berlin),
o>e auch ein rein katholisches Ministerium nicht hätten unterstützen
können. So zählt die Opposition also eigentlich 44 Stimmen- Dedu-
ciren Sie nun von den W der Majorität die 6 der Minister selbst, so
theilt sich die Kammer in zwei entschiedene, aber schwachkatholische Hälf¬
ten, welche die Regierung erschweren Ein Ministerwechsel wäre darum
anständig. Doch Herr de Theux, der sich des fünften Actes, den seine
Partei durchlebt, wohl bewußt ist, wird bleiben, so lange es nicht mensch¬
lich, sonder» ministeriell möglich. Zu bemerken ist nur noch, daß eine
Menge Beamten sich in der jetzigen spärlichen Majorität befinden, die
mit jedem Ministerium, aber noch weit lieber mit einem liberalen, poli-
ren. Eine liberale Verwaltung hatte mithin, das springt in die Augen,
eine entschiedene Md moralisch bei Weitem stärkere Mehrzahl. Mit ei¬
nem Wort, Herr de Theux hat gesiegt wie der Evirotcnfürst -in Ita¬
lien und muß sich, wie dieser, verbluten.


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[0273] den Manne darauf eine Antwort gebe. Was soll daraus werden in dem neuen Hamburg, welches einen Palast zu dem andern gestellt hat. Oder wird die patriotische Gesellschaft jetzt factisch einschreiten, recht bald? — (5H. III. Aus Brüssel. Das katholische Ministerium. — Das Gesetz über den mittlern Unterricht. — siegende Niederlage. — Ein Anachronismus. — Die öffentliche Meinung. — Reliquien. — Gleichnisse. — Salongcsprcich. — Gerücht. Das neue, so unerwartet erschienene katholische Ministerium hat in dieser Woche ein Majoritätsvotum erlitten, das einer Niederlage gar ähnlich sieht und auch als solche selbst von den sanftesten Blättern an¬ erkannt wird. Nachdem nämlich heftige, ja heiße Debatten tagelang die Kammer bewegt und das Publicum beschäftigt, trug ein Mitglied der Opposition darauf an, daß die Minister diejenigen Modifikationen, welche sie für das Gesetz über den mittlern Unterricht (dessen Berathung im Ministerconseil bekanntlich den Sturz des Herrn van de Weyer und das Auftreten des Herrn de Theux veranlaßt) einzuführen gedachten, der Kammer vorlegen sollten. Dem widersetzte sich das Ministerium. Die Motion ward dadurch und besonders nach der ausdrücklichen Erklä¬ rung der Minister zur Cabinetsfrage erhoben. Ja, Herr de Theux, der Herrn Regier besonders wegen dessen Drohung, die Kammer aus¬ zulösen, getadelt und der, um diesen Staatsstreich zu vermeiden, statt des Erstem die Verwaltung übernommen—Herr de Theux erklärte im entscheidenden Augenblicke, fiele das Ministerium durch, so sei die Dis- iolurion der Kammern eine nothwendige Folge seines Unterliegens. Trotz dieses plötzliche», erschütternden Geständnisses reihte sich das linke Cen¬ trum zur Linken und 40 Mitglieder (der Opposition) stimmten für die Motion, während Ap sich dagegen erklärten. Herr de Decker ent¬ hielt sich des Votums. Es fehlten also nur vier Kammermitglie¬ der. Alle Katholiken (ein unerhörtes Beispiel) waren an ihrem Platz, unter den Anwesenden befanden sich zwar entschiedene Liberale und die Herren Mercier und Nothomb (Gesandte im Haag und in Berlin), o>e auch ein rein katholisches Ministerium nicht hätten unterstützen können. So zählt die Opposition also eigentlich 44 Stimmen- Dedu- ciren Sie nun von den W der Majorität die 6 der Minister selbst, so theilt sich die Kammer in zwei entschiedene, aber schwachkatholische Hälf¬ ten, welche die Regierung erschweren Ein Ministerwechsel wäre darum anständig. Doch Herr de Theux, der sich des fünften Actes, den seine Partei durchlebt, wohl bewußt ist, wird bleiben, so lange es nicht mensch¬ lich, sonder» ministeriell möglich. Zu bemerken ist nur noch, daß eine Menge Beamten sich in der jetzigen spärlichen Majorität befinden, die mit jedem Ministerium, aber noch weit lieber mit einem liberalen, poli- ren. Eine liberale Verwaltung hatte mithin, das springt in die Augen, eine entschiedene Md moralisch bei Weitem stärkere Mehrzahl. Mit ei¬ nem Wort, Herr de Theux hat gesiegt wie der Evirotcnfürst -in Ita¬ lien und muß sich, wie dieser, verbluten. «r»n,b<,den, Isis. II. 34

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/273>, abgerufen am 24.11.2024.