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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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Deutsche Romane.

Stände und überall Stände. -- Drei Romanclassen. -- Autoren und Puvli-
cum. -- Die "Masse." -- Ein Wort über Proletarier - Poesie. -- Armin Galoor
von Starklof. --

Es ist ein allgemeines Stichwort unserer Tage: die ständischen
Unterschiede sind zusammengefallen und es gelten nur die Menschen.
Aber fragen wir, wo sind denn die ständischen Unterschiede zusammen¬
gefallen und wo gelten denn wirklich die Menschen, so sieht es um
die Antwort sehr traurig aus. Im Staate ist man höchstens so weit
gekommen, daß man ruhig zusieht, wie sich die niedrigeren Elemente der
Gesellschaft gegenseitig zu berauben und aufzufressen suchen, aber man
hält die ständische Theilung zwischen oben und unten entschieden fest
und glaubt nur durch eine Theilung die Interessen regieren zu kön¬
nen z -- und in unserer Literatur, in dieser anderen Seite unseres
sogenannten öffentlichen Lebens? Hat etwa in ihr das Menschliche,
das Allgemeine über das Ständische, über das Besondere gesiegt? Ist
es nicht sehr bezeichnend, daß man in jüngster Zeit von gewisser Seite
her verschiedene Versuche gemacht hat, die Schriftsteller in einem Stan¬
de, in einer Corporation zusammenzuschließen? Und sucht unsere
deutsche Literatur wirklich eine allgemeine Bewegung, einen allgemei¬
nen Mittelpunkt, hat sie nicht vielmehr in der Regel ganz specielle
und ständische Interessen?

Wir reden hier speciell von unserer Romanliteratur. Denn al¬
lerdings heben sich die Lyrik sowohl wie das Drama über die Ein¬
zelkreise zur Allgemeinheit empor -- ist aber unser Roman, die rechte pro¬
saische Form für unsere Zustände, das rechte Spiegelbild unseres Le¬
bens? In unseren Romanen, wenn man sie nur etwas genauer be¬
trachtet, treten die ständischen Elemente noch ganz entschieden hervor;
es wird unseren deutschen Romanen äußerst schwer, einen allgemein-
menschlichen, oder auch nur einen allgemein-nationalen Mittelpunkt zu


Deutsche Romane.

Stände und überall Stände. — Drei Romanclassen. — Autoren und Puvli-
cum. — Die „Masse." — Ein Wort über Proletarier - Poesie. — Armin Galoor
von Starklof. —

Es ist ein allgemeines Stichwort unserer Tage: die ständischen
Unterschiede sind zusammengefallen und es gelten nur die Menschen.
Aber fragen wir, wo sind denn die ständischen Unterschiede zusammen¬
gefallen und wo gelten denn wirklich die Menschen, so sieht es um
die Antwort sehr traurig aus. Im Staate ist man höchstens so weit
gekommen, daß man ruhig zusieht, wie sich die niedrigeren Elemente der
Gesellschaft gegenseitig zu berauben und aufzufressen suchen, aber man
hält die ständische Theilung zwischen oben und unten entschieden fest
und glaubt nur durch eine Theilung die Interessen regieren zu kön¬
nen z — und in unserer Literatur, in dieser anderen Seite unseres
sogenannten öffentlichen Lebens? Hat etwa in ihr das Menschliche,
das Allgemeine über das Ständische, über das Besondere gesiegt? Ist
es nicht sehr bezeichnend, daß man in jüngster Zeit von gewisser Seite
her verschiedene Versuche gemacht hat, die Schriftsteller in einem Stan¬
de, in einer Corporation zusammenzuschließen? Und sucht unsere
deutsche Literatur wirklich eine allgemeine Bewegung, einen allgemei¬
nen Mittelpunkt, hat sie nicht vielmehr in der Regel ganz specielle
und ständische Interessen?

Wir reden hier speciell von unserer Romanliteratur. Denn al¬
lerdings heben sich die Lyrik sowohl wie das Drama über die Ein¬
zelkreise zur Allgemeinheit empor — ist aber unser Roman, die rechte pro¬
saische Form für unsere Zustände, das rechte Spiegelbild unseres Le¬
bens? In unseren Romanen, wenn man sie nur etwas genauer be¬
trachtet, treten die ständischen Elemente noch ganz entschieden hervor;
es wird unseren deutschen Romanen äußerst schwer, einen allgemein-
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[0256] Deutsche Romane. Stände und überall Stände. — Drei Romanclassen. — Autoren und Puvli- cum. — Die „Masse." — Ein Wort über Proletarier - Poesie. — Armin Galoor von Starklof. — Es ist ein allgemeines Stichwort unserer Tage: die ständischen Unterschiede sind zusammengefallen und es gelten nur die Menschen. Aber fragen wir, wo sind denn die ständischen Unterschiede zusammen¬ gefallen und wo gelten denn wirklich die Menschen, so sieht es um die Antwort sehr traurig aus. Im Staate ist man höchstens so weit gekommen, daß man ruhig zusieht, wie sich die niedrigeren Elemente der Gesellschaft gegenseitig zu berauben und aufzufressen suchen, aber man hält die ständische Theilung zwischen oben und unten entschieden fest und glaubt nur durch eine Theilung die Interessen regieren zu kön¬ nen z — und in unserer Literatur, in dieser anderen Seite unseres sogenannten öffentlichen Lebens? Hat etwa in ihr das Menschliche, das Allgemeine über das Ständische, über das Besondere gesiegt? Ist es nicht sehr bezeichnend, daß man in jüngster Zeit von gewisser Seite her verschiedene Versuche gemacht hat, die Schriftsteller in einem Stan¬ de, in einer Corporation zusammenzuschließen? Und sucht unsere deutsche Literatur wirklich eine allgemeine Bewegung, einen allgemei¬ nen Mittelpunkt, hat sie nicht vielmehr in der Regel ganz specielle und ständische Interessen? Wir reden hier speciell von unserer Romanliteratur. Denn al¬ lerdings heben sich die Lyrik sowohl wie das Drama über die Ein¬ zelkreise zur Allgemeinheit empor — ist aber unser Roman, die rechte pro¬ saische Form für unsere Zustände, das rechte Spiegelbild unseres Le¬ bens? In unseren Romanen, wenn man sie nur etwas genauer be¬ trachtet, treten die ständischen Elemente noch ganz entschieden hervor; es wird unseren deutschen Romanen äußerst schwer, einen allgemein- menschlichen, oder auch nur einen allgemein-nationalen Mittelpunkt zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/256>, abgerufen am 28.12.2024.