Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

dividualitat und Charakter Rücksicht genommen würde oder werden könnte,
nach der Norm der hamburgischen Verfassung, so hatte Herr Senator
Doctor Binder wohl gerade nicht zum Polizeiherrn eingesetzt werden
dürsen. Von einem Polizeiherrn, der sein schwieriges Amt ohne Anstoß
und nach allen Seiten hin mit unantastbarer Würde und Consequenz
verwalten soll, muß man Energie und jedes Urtheil des Volkes heraus¬
fordernde, probehaltige Entschiedenheit verlangen. Der Grundzug im Cha¬
rakter und in der Handlungsweise des jetzigen ersten Polizeiherrn ist
aber mehr Gutmüthigkeit, als rücksichtslose Consequenz gegen jede
Person, sie mag hoch oder niedrig sein. Was sonst den Menschen ehrt,
wirst so auf den Administranten ein Zwielicht, welches der verständige
Bürger längst erkannt hat und bei vorkommenden Fallen auf's Neue zu
erfahren Gelegenheit hat. Daher kommt es denn auch, daß der sonst
wohlgesinnte Bürger gegen den Bereich der Polizeiverwaltung oft mißge¬
stimmt ist und zum Beispiel die Prostitution, die unter der obersten Po¬
lizeiverwaltung des Senators Doctor Hudtw aller strenge in den ihm
vorqezeichneten Schranken gehalten wurde, "seit jener Zeit wieder schau-
dervoll und heillos um sich gegriffen hat, und täglich mehr um sich zu
greifen droht, wenn die Zügel von oben herab nicht bald, alle Zwischen¬
instanzen scharf controllirend, strengerund ernster angezogen werden. Man
urtheile darnach, ob die allgemeine Sittlichkeit unter der jetzigen Poli-
zeivcrwaltung verloren oder gewonnen hat.

Was nun die Stimmung des Senats überhaupt betrifft, so ist
dieser, was zum Theil auch schon aus dem Vorigen erhellt, dem Fort¬
schritt, was man in jedem constitutionellen Staate nämlich darunter ver¬
steht, nicht hold, sondern der Stabilität und dem Conservativismns zu¬
gethan. Man befürchtet durch Reformbestrebungen zu viele Störungen
und am Ende selbst -- ich weiß nicht was. Allen Störungen aber ist
man, des eigenen lieben Geschäftes wegen, von oben bis unten feindlich
gesinnt; Senat und Colleqien und Bürgerschaft haben sich nach diesem
Gang der Dinge einmal Alles zurecht gelegt, sie können mit Vortheil
und Bequemlichkeit ihr Geschäft betreiben und behalten doch noch Zeit,
um an der Staatsverwaltung, so viel als nöthig scheint, teilzunehmen;
es ist bisher in dieser Weise gut gegangen, wir essen und trinken gut,
wir verdienen, also -- warum ändern?


Ch . . .
II.
Aus Wien.

Französisches Urtheil über die österreichische Industrie. -- Böhmische Glos-
fabricarion und französische Verzweiflung. -- Der Runkelrüben - Großherr. --
Erb rankbeit der österreichischen Jndustn'e.'-- Das polytechnische Institut. -- Was
Oesterreich an Papier braucht und -- nicht braucht.

Die französische Handelskammer hat, wie bekannt, zur Besichtigung
unserer großen Industrieausstellung im vorigen Jahre einen Delcgaten
abgeschickt, um über den Höhepunkt österreichischer Gewerbserzeugnisse
genaue Daten zu erhalten. Dieser Delegirte, der Chemiker Peligot, der


dividualitat und Charakter Rücksicht genommen würde oder werden könnte,
nach der Norm der hamburgischen Verfassung, so hatte Herr Senator
Doctor Binder wohl gerade nicht zum Polizeiherrn eingesetzt werden
dürsen. Von einem Polizeiherrn, der sein schwieriges Amt ohne Anstoß
und nach allen Seiten hin mit unantastbarer Würde und Consequenz
verwalten soll, muß man Energie und jedes Urtheil des Volkes heraus¬
fordernde, probehaltige Entschiedenheit verlangen. Der Grundzug im Cha¬
rakter und in der Handlungsweise des jetzigen ersten Polizeiherrn ist
aber mehr Gutmüthigkeit, als rücksichtslose Consequenz gegen jede
Person, sie mag hoch oder niedrig sein. Was sonst den Menschen ehrt,
wirst so auf den Administranten ein Zwielicht, welches der verständige
Bürger längst erkannt hat und bei vorkommenden Fallen auf's Neue zu
erfahren Gelegenheit hat. Daher kommt es denn auch, daß der sonst
wohlgesinnte Bürger gegen den Bereich der Polizeiverwaltung oft mißge¬
stimmt ist und zum Beispiel die Prostitution, die unter der obersten Po¬
lizeiverwaltung des Senators Doctor Hudtw aller strenge in den ihm
vorqezeichneten Schranken gehalten wurde, "seit jener Zeit wieder schau-
dervoll und heillos um sich gegriffen hat, und täglich mehr um sich zu
greifen droht, wenn die Zügel von oben herab nicht bald, alle Zwischen¬
instanzen scharf controllirend, strengerund ernster angezogen werden. Man
urtheile darnach, ob die allgemeine Sittlichkeit unter der jetzigen Poli-
zeivcrwaltung verloren oder gewonnen hat.

Was nun die Stimmung des Senats überhaupt betrifft, so ist
dieser, was zum Theil auch schon aus dem Vorigen erhellt, dem Fort¬
schritt, was man in jedem constitutionellen Staate nämlich darunter ver¬
steht, nicht hold, sondern der Stabilität und dem Conservativismns zu¬
gethan. Man befürchtet durch Reformbestrebungen zu viele Störungen
und am Ende selbst — ich weiß nicht was. Allen Störungen aber ist
man, des eigenen lieben Geschäftes wegen, von oben bis unten feindlich
gesinnt; Senat und Colleqien und Bürgerschaft haben sich nach diesem
Gang der Dinge einmal Alles zurecht gelegt, sie können mit Vortheil
und Bequemlichkeit ihr Geschäft betreiben und behalten doch noch Zeit,
um an der Staatsverwaltung, so viel als nöthig scheint, teilzunehmen;
es ist bisher in dieser Weise gut gegangen, wir essen und trinken gut,
wir verdienen, also — warum ändern?


Ch . . .
II.
Aus Wien.

Französisches Urtheil über die österreichische Industrie. — Böhmische Glos-
fabricarion und französische Verzweiflung. — Der Runkelrüben - Großherr. —
Erb rankbeit der österreichischen Jndustn'e.'— Das polytechnische Institut. — Was
Oesterreich an Papier braucht und — nicht braucht.

Die französische Handelskammer hat, wie bekannt, zur Besichtigung
unserer großen Industrieausstellung im vorigen Jahre einen Delcgaten
abgeschickt, um über den Höhepunkt österreichischer Gewerbserzeugnisse
genaue Daten zu erhalten. Dieser Delegirte, der Chemiker Peligot, der


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <div n="3">
              <pb facs="#f0184" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/182607"/>
              <p xml:id="ID_500" prev="#ID_499"> dividualitat und Charakter Rücksicht genommen würde oder werden könnte,<lb/>
nach der Norm der hamburgischen Verfassung, so hatte Herr Senator<lb/>
Doctor Binder wohl gerade nicht zum Polizeiherrn eingesetzt werden<lb/>
dürsen. Von einem Polizeiherrn, der sein schwieriges Amt ohne Anstoß<lb/>
und nach allen Seiten hin mit unantastbarer Würde und Consequenz<lb/>
verwalten soll, muß man Energie und jedes Urtheil des Volkes heraus¬<lb/>
fordernde, probehaltige Entschiedenheit verlangen. Der Grundzug im Cha¬<lb/>
rakter und in der Handlungsweise des jetzigen ersten Polizeiherrn ist<lb/>
aber mehr Gutmüthigkeit, als rücksichtslose Consequenz gegen jede<lb/>
Person, sie mag hoch oder niedrig sein. Was sonst den Menschen ehrt,<lb/>
wirst so auf den Administranten ein Zwielicht, welches der verständige<lb/>
Bürger längst erkannt hat und bei vorkommenden Fallen auf's Neue zu<lb/>
erfahren Gelegenheit hat. Daher kommt es denn auch, daß der sonst<lb/>
wohlgesinnte Bürger gegen den Bereich der Polizeiverwaltung oft mißge¬<lb/>
stimmt ist und zum Beispiel die Prostitution, die unter der obersten Po¬<lb/>
lizeiverwaltung des Senators Doctor Hudtw aller strenge in den ihm<lb/>
vorqezeichneten Schranken gehalten wurde, "seit jener Zeit wieder schau-<lb/>
dervoll und heillos um sich gegriffen hat, und täglich mehr um sich zu<lb/>
greifen droht, wenn die Zügel von oben herab nicht bald, alle Zwischen¬<lb/>
instanzen scharf controllirend, strengerund ernster angezogen werden. Man<lb/>
urtheile darnach, ob die allgemeine Sittlichkeit unter der jetzigen Poli-<lb/>
zeivcrwaltung verloren oder gewonnen hat.</p><lb/>
              <p xml:id="ID_501"> Was nun die Stimmung des Senats überhaupt betrifft, so ist<lb/>
dieser, was zum Theil auch schon aus dem Vorigen erhellt, dem Fort¬<lb/>
schritt, was man in jedem constitutionellen Staate nämlich darunter ver¬<lb/>
steht, nicht hold, sondern der Stabilität und dem Conservativismns zu¬<lb/>
gethan. Man befürchtet durch Reformbestrebungen zu viele Störungen<lb/>
und am Ende selbst &#x2014; ich weiß nicht was. Allen Störungen aber ist<lb/>
man, des eigenen lieben Geschäftes wegen, von oben bis unten feindlich<lb/>
gesinnt; Senat und Colleqien und Bürgerschaft haben sich nach diesem<lb/>
Gang der Dinge einmal Alles zurecht gelegt, sie können mit Vortheil<lb/>
und Bequemlichkeit ihr Geschäft betreiben und behalten doch noch Zeit,<lb/>
um an der Staatsverwaltung, so viel als nöthig scheint, teilzunehmen;<lb/>
es ist bisher in dieser Weise gut gegangen, wir essen und trinken gut,<lb/>
wir verdienen, also &#x2014; warum ändern?</p><lb/>
              <note type="byline"> Ch . . .</note><lb/>
            </div>
          </div>
          <div n="2">
            <head> II.<lb/>
Aus Wien.</head><lb/>
            <note type="argument"> Französisches Urtheil über die österreichische Industrie. &#x2014; Böhmische Glos-<lb/>
fabricarion und französische Verzweiflung. &#x2014; Der Runkelrüben - Großherr. &#x2014;<lb/>
Erb rankbeit der österreichischen Jndustn'e.'&#x2014; Das polytechnische Institut. &#x2014; Was<lb/>
Oesterreich an Papier braucht und &#x2014; nicht braucht.</note><lb/>
            <p xml:id="ID_502" next="#ID_503"> Die französische Handelskammer hat, wie bekannt, zur Besichtigung<lb/>
unserer großen Industrieausstellung im vorigen Jahre einen Delcgaten<lb/>
abgeschickt, um über den Höhepunkt österreichischer Gewerbserzeugnisse<lb/>
genaue Daten zu erhalten.  Dieser Delegirte, der Chemiker Peligot, der</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0184] dividualitat und Charakter Rücksicht genommen würde oder werden könnte, nach der Norm der hamburgischen Verfassung, so hatte Herr Senator Doctor Binder wohl gerade nicht zum Polizeiherrn eingesetzt werden dürsen. Von einem Polizeiherrn, der sein schwieriges Amt ohne Anstoß und nach allen Seiten hin mit unantastbarer Würde und Consequenz verwalten soll, muß man Energie und jedes Urtheil des Volkes heraus¬ fordernde, probehaltige Entschiedenheit verlangen. Der Grundzug im Cha¬ rakter und in der Handlungsweise des jetzigen ersten Polizeiherrn ist aber mehr Gutmüthigkeit, als rücksichtslose Consequenz gegen jede Person, sie mag hoch oder niedrig sein. Was sonst den Menschen ehrt, wirst so auf den Administranten ein Zwielicht, welches der verständige Bürger längst erkannt hat und bei vorkommenden Fallen auf's Neue zu erfahren Gelegenheit hat. Daher kommt es denn auch, daß der sonst wohlgesinnte Bürger gegen den Bereich der Polizeiverwaltung oft mißge¬ stimmt ist und zum Beispiel die Prostitution, die unter der obersten Po¬ lizeiverwaltung des Senators Doctor Hudtw aller strenge in den ihm vorqezeichneten Schranken gehalten wurde, "seit jener Zeit wieder schau- dervoll und heillos um sich gegriffen hat, und täglich mehr um sich zu greifen droht, wenn die Zügel von oben herab nicht bald, alle Zwischen¬ instanzen scharf controllirend, strengerund ernster angezogen werden. Man urtheile darnach, ob die allgemeine Sittlichkeit unter der jetzigen Poli- zeivcrwaltung verloren oder gewonnen hat. Was nun die Stimmung des Senats überhaupt betrifft, so ist dieser, was zum Theil auch schon aus dem Vorigen erhellt, dem Fort¬ schritt, was man in jedem constitutionellen Staate nämlich darunter ver¬ steht, nicht hold, sondern der Stabilität und dem Conservativismns zu¬ gethan. Man befürchtet durch Reformbestrebungen zu viele Störungen und am Ende selbst — ich weiß nicht was. Allen Störungen aber ist man, des eigenen lieben Geschäftes wegen, von oben bis unten feindlich gesinnt; Senat und Colleqien und Bürgerschaft haben sich nach diesem Gang der Dinge einmal Alles zurecht gelegt, sie können mit Vortheil und Bequemlichkeit ihr Geschäft betreiben und behalten doch noch Zeit, um an der Staatsverwaltung, so viel als nöthig scheint, teilzunehmen; es ist bisher in dieser Weise gut gegangen, wir essen und trinken gut, wir verdienen, also — warum ändern? Ch . . . II. Aus Wien. Französisches Urtheil über die österreichische Industrie. — Böhmische Glos- fabricarion und französische Verzweiflung. — Der Runkelrüben - Großherr. — Erb rankbeit der österreichischen Jndustn'e.'— Das polytechnische Institut. — Was Oesterreich an Papier braucht und — nicht braucht. Die französische Handelskammer hat, wie bekannt, zur Besichtigung unserer großen Industrieausstellung im vorigen Jahre einen Delcgaten abgeschickt, um über den Höhepunkt österreichischer Gewerbserzeugnisse genaue Daten zu erhalten. Dieser Delegirte, der Chemiker Peligot, der

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/184
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/184>, abgerufen am 28.12.2024.