Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
nächste Seite >>
T a g e b u es.


i.
Ueber Zrusweisttngen.
Bon einem Preußen.

Wenn ein Land, in dem Sprache und Staat sich decken, ein ge¬
schlossenes, abgerundetes Land im Interesse ungestörter Selbstentwickelung
jeden fremden Einfluß zurückwies, wenn es an seinen Grenzen unüber-
steigliche Zollschranken zum Schutze der heimischen Industrie errichtete,
und zur Pflege des heimischen Geistes sich keine Eingriffe von außen
gefallen ließ, wenn es streng und rein auf nationaler Bahn vorwärts
schritt, so sagte man sich, dies Land hat zwischen den zwei Wegen einmal
gewählt, es sieht einmal in der Abgeschlossenheit sein Heil, die Umstände
verstatten ihm darin vollständige Aufrechterhaltung; seine Consequenz ist
zu begreifen.

In einer solchen Lage aber befindet Preußen sich nicht. Preußen
ist kein Land, in welchem Staat und Sprache sich decken, die "Sprache
geht weit über die preußischen Grenzen hinaus. Preußen ist kein abge¬
rundetes, von einer Grenze umschlossenes Land; es besteht aus vielen
Stücken und Enclaven in andern Ländern; es dehnt sich schmal und lang
und nirgends natürlich begrenzt, zuweilen von fremdem Gebiete ganz
durchbrochen vom östlichen Ende Deutschlands bis zum westlichen aus.
Und aus beiden Gründen hat es sich nicht zurückgezogen, als die Trümmer
des deutschen Reiches erkannten, daß sie nicht in einseitiger und feindseliger
Abgeschlossenheit nebeneinander fortbestehen dürften, sondern sich wenigstens
zu einem Bunde die Hand reichen müßten, einer äußeren Anerkennung
ihres inneren und nothwendigen Ausammenhangs.

Ja noch mehr; innerhalb dieses Bundes war Preußen immer in
der ersten Reihe, wo es galt, ihn in materiellen Fragen mehr und mehr
zu bewahrheiten. Es steht an der Spitze des Zollvereins, kämpft für
Hie Annäherung in der Handelsgesetzgebung, für die Ausgleichung des


T a g e b u es.


i.
Ueber Zrusweisttngen.
Bon einem Preußen.

Wenn ein Land, in dem Sprache und Staat sich decken, ein ge¬
schlossenes, abgerundetes Land im Interesse ungestörter Selbstentwickelung
jeden fremden Einfluß zurückwies, wenn es an seinen Grenzen unüber-
steigliche Zollschranken zum Schutze der heimischen Industrie errichtete,
und zur Pflege des heimischen Geistes sich keine Eingriffe von außen
gefallen ließ, wenn es streng und rein auf nationaler Bahn vorwärts
schritt, so sagte man sich, dies Land hat zwischen den zwei Wegen einmal
gewählt, es sieht einmal in der Abgeschlossenheit sein Heil, die Umstände
verstatten ihm darin vollständige Aufrechterhaltung; seine Consequenz ist
zu begreifen.

In einer solchen Lage aber befindet Preußen sich nicht. Preußen
ist kein Land, in welchem Staat und Sprache sich decken, die »Sprache
geht weit über die preußischen Grenzen hinaus. Preußen ist kein abge¬
rundetes, von einer Grenze umschlossenes Land; es besteht aus vielen
Stücken und Enclaven in andern Ländern; es dehnt sich schmal und lang
und nirgends natürlich begrenzt, zuweilen von fremdem Gebiete ganz
durchbrochen vom östlichen Ende Deutschlands bis zum westlichen aus.
Und aus beiden Gründen hat es sich nicht zurückgezogen, als die Trümmer
des deutschen Reiches erkannten, daß sie nicht in einseitiger und feindseliger
Abgeschlossenheit nebeneinander fortbestehen dürften, sondern sich wenigstens
zu einem Bunde die Hand reichen müßten, einer äußeren Anerkennung
ihres inneren und nothwendigen Ausammenhangs.

Ja noch mehr; innerhalb dieses Bundes war Preußen immer in
der ersten Reihe, wo es galt, ihn in materiellen Fragen mehr und mehr
zu bewahrheiten. Es steht an der Spitze des Zollvereins, kämpft für
Hie Annäherung in der Handelsgesetzgebung, für die Ausgleichung des


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0550" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/183571"/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> T a g e b u es.</head><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <div n="2">
            <head> i.<lb/>
Ueber Zrusweisttngen.</head><lb/>
            <div n="3">
              <head> Bon einem Preußen.</head><lb/>
              <p xml:id="ID_1630"> Wenn ein Land, in dem Sprache und Staat sich decken, ein ge¬<lb/>
schlossenes, abgerundetes Land im Interesse ungestörter Selbstentwickelung<lb/>
jeden fremden Einfluß zurückwies, wenn es an seinen Grenzen unüber-<lb/>
steigliche Zollschranken zum Schutze der heimischen Industrie errichtete,<lb/>
und zur Pflege des heimischen Geistes sich keine Eingriffe von außen<lb/>
gefallen ließ, wenn es streng und rein auf nationaler Bahn vorwärts<lb/>
schritt, so sagte man sich, dies Land hat zwischen den zwei Wegen einmal<lb/>
gewählt, es sieht einmal in der Abgeschlossenheit sein Heil, die Umstände<lb/>
verstatten ihm darin vollständige Aufrechterhaltung; seine Consequenz ist<lb/>
zu begreifen.</p><lb/>
              <p xml:id="ID_1631"> In einer solchen Lage aber befindet Preußen sich nicht. Preußen<lb/>
ist kein Land, in welchem Staat und Sprache sich decken, die »Sprache<lb/>
geht weit über die preußischen Grenzen hinaus. Preußen ist kein abge¬<lb/>
rundetes, von einer Grenze umschlossenes Land; es besteht aus vielen<lb/>
Stücken und Enclaven in andern Ländern; es dehnt sich schmal und lang<lb/>
und nirgends natürlich begrenzt, zuweilen von fremdem Gebiete ganz<lb/>
durchbrochen vom östlichen Ende Deutschlands bis zum westlichen aus.<lb/>
Und aus beiden Gründen hat es sich nicht zurückgezogen, als die Trümmer<lb/>
des deutschen Reiches erkannten, daß sie nicht in einseitiger und feindseliger<lb/>
Abgeschlossenheit nebeneinander fortbestehen dürften, sondern sich wenigstens<lb/>
zu einem Bunde die Hand reichen müßten, einer äußeren Anerkennung<lb/>
ihres inneren und nothwendigen Ausammenhangs.</p><lb/>
              <p xml:id="ID_1632" next="#ID_1633"> Ja noch mehr; innerhalb dieses Bundes war Preußen immer in<lb/>
der ersten Reihe, wo es galt, ihn in materiellen Fragen mehr und mehr<lb/>
zu bewahrheiten. Es steht an der Spitze des Zollvereins, kämpft für<lb/>
Hie Annäherung in der Handelsgesetzgebung, für die Ausgleichung des</p><lb/>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0550] T a g e b u es. i. Ueber Zrusweisttngen. Bon einem Preußen. Wenn ein Land, in dem Sprache und Staat sich decken, ein ge¬ schlossenes, abgerundetes Land im Interesse ungestörter Selbstentwickelung jeden fremden Einfluß zurückwies, wenn es an seinen Grenzen unüber- steigliche Zollschranken zum Schutze der heimischen Industrie errichtete, und zur Pflege des heimischen Geistes sich keine Eingriffe von außen gefallen ließ, wenn es streng und rein auf nationaler Bahn vorwärts schritt, so sagte man sich, dies Land hat zwischen den zwei Wegen einmal gewählt, es sieht einmal in der Abgeschlossenheit sein Heil, die Umstände verstatten ihm darin vollständige Aufrechterhaltung; seine Consequenz ist zu begreifen. In einer solchen Lage aber befindet Preußen sich nicht. Preußen ist kein Land, in welchem Staat und Sprache sich decken, die »Sprache geht weit über die preußischen Grenzen hinaus. Preußen ist kein abge¬ rundetes, von einer Grenze umschlossenes Land; es besteht aus vielen Stücken und Enclaven in andern Ländern; es dehnt sich schmal und lang und nirgends natürlich begrenzt, zuweilen von fremdem Gebiete ganz durchbrochen vom östlichen Ende Deutschlands bis zum westlichen aus. Und aus beiden Gründen hat es sich nicht zurückgezogen, als die Trümmer des deutschen Reiches erkannten, daß sie nicht in einseitiger und feindseliger Abgeschlossenheit nebeneinander fortbestehen dürften, sondern sich wenigstens zu einem Bunde die Hand reichen müßten, einer äußeren Anerkennung ihres inneren und nothwendigen Ausammenhangs. Ja noch mehr; innerhalb dieses Bundes war Preußen immer in der ersten Reihe, wo es galt, ihn in materiellen Fragen mehr und mehr zu bewahrheiten. Es steht an der Spitze des Zollvereins, kämpft für Hie Annäherung in der Handelsgesetzgebung, für die Ausgleichung des

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/550
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/550>, abgerufen am 05.01.2025.