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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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speculative Romantik
Novellette an; einem Neisetagebuch.



So ist denn das Langersehnte endlich geschehen, ein Abenteuer
würzt mir das Vergnügen der Reise und mein Tagebuch ist nicht mehr
ein langer Speisezettel, oder eine genau berechnete Post- und Reisekarte!

Es war gestern Abend nach 10 Uhr, der Mond stand klar am
Himmel und warf seine vollen Strahlen hinab in den kleinen See zu
meinen Füßen. Ich lag am Fenster und genoß des schönen Abends
und der lieblichen Gegend. Am jenseitigen Ufer des schmalen Wassers
erhebt sich schroff aus dem Spiegel des Sees eine glatte Felswand,
mäßig breit und in das Land hinein sich absenkend, rechts und links
von Buschwerk bewachsen und gekrönt mit einem alten Gebäude, dessen
wunderliche, geschmacklose Bauart auf ein Alter von 2 bis 300 Jah¬
ren schließen läßt. Dies Alles schreibe ich jedoch erst bei Hellem Tages¬
licht, gestern im Mondenschein sah ich ein altergraues, festes Schloß
mit Thürmen und Zinnen, Wällen und Zugbrücken. Die magische
Beleuchtung des Sees und seine Umgebungen gefiel mir so wohl, daß
ich bereits eine halbe Stunde am Fenster gelegen und mit mancherlei
Phantasiegestalten das Bild vor mir belebt hatte, als mich plötzlich
der Klang eines Waldhorns aus meinen Träumereien erweckte. Der
tiefe, schwermüthig dahin schwimmende Ton des Instruments berührte
so sanft mein Gehör, daß ich mir einbildete, das kräuselnde Wasser
zu meinen Füßen hüpfe nach der süßen Melodie. Lange suchte ich
vergebens nach dem späten Tonkünstler, bis ich endlich wenig Schritte
vor der erwähnten Felswand einen kleinen Nachen entdeckte, in dessen
Hintertheil ein breitschultriger, kräftiger Mann saß, der, unverwandt


Grc"zb"te". III. 18--". 19
speculative Romantik
Novellette an; einem Neisetagebuch.



So ist denn das Langersehnte endlich geschehen, ein Abenteuer
würzt mir das Vergnügen der Reise und mein Tagebuch ist nicht mehr
ein langer Speisezettel, oder eine genau berechnete Post- und Reisekarte!

Es war gestern Abend nach 10 Uhr, der Mond stand klar am
Himmel und warf seine vollen Strahlen hinab in den kleinen See zu
meinen Füßen. Ich lag am Fenster und genoß des schönen Abends
und der lieblichen Gegend. Am jenseitigen Ufer des schmalen Wassers
erhebt sich schroff aus dem Spiegel des Sees eine glatte Felswand,
mäßig breit und in das Land hinein sich absenkend, rechts und links
von Buschwerk bewachsen und gekrönt mit einem alten Gebäude, dessen
wunderliche, geschmacklose Bauart auf ein Alter von 2 bis 300 Jah¬
ren schließen läßt. Dies Alles schreibe ich jedoch erst bei Hellem Tages¬
licht, gestern im Mondenschein sah ich ein altergraues, festes Schloß
mit Thürmen und Zinnen, Wällen und Zugbrücken. Die magische
Beleuchtung des Sees und seine Umgebungen gefiel mir so wohl, daß
ich bereits eine halbe Stunde am Fenster gelegen und mit mancherlei
Phantasiegestalten das Bild vor mir belebt hatte, als mich plötzlich
der Klang eines Waldhorns aus meinen Träumereien erweckte. Der
tiefe, schwermüthig dahin schwimmende Ton des Instruments berührte
so sanft mein Gehör, daß ich mir einbildete, das kräuselnde Wasser
zu meinen Füßen hüpfe nach der süßen Melodie. Lange suchte ich
vergebens nach dem späten Tonkünstler, bis ich endlich wenig Schritte
vor der erwähnten Felswand einen kleinen Nachen entdeckte, in dessen
Hintertheil ein breitschultriger, kräftiger Mann saß, der, unverwandt


Grc„zb»te». III. 18--". 19
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[0151] speculative Romantik Novellette an; einem Neisetagebuch. So ist denn das Langersehnte endlich geschehen, ein Abenteuer würzt mir das Vergnügen der Reise und mein Tagebuch ist nicht mehr ein langer Speisezettel, oder eine genau berechnete Post- und Reisekarte! Es war gestern Abend nach 10 Uhr, der Mond stand klar am Himmel und warf seine vollen Strahlen hinab in den kleinen See zu meinen Füßen. Ich lag am Fenster und genoß des schönen Abends und der lieblichen Gegend. Am jenseitigen Ufer des schmalen Wassers erhebt sich schroff aus dem Spiegel des Sees eine glatte Felswand, mäßig breit und in das Land hinein sich absenkend, rechts und links von Buschwerk bewachsen und gekrönt mit einem alten Gebäude, dessen wunderliche, geschmacklose Bauart auf ein Alter von 2 bis 300 Jah¬ ren schließen läßt. Dies Alles schreibe ich jedoch erst bei Hellem Tages¬ licht, gestern im Mondenschein sah ich ein altergraues, festes Schloß mit Thürmen und Zinnen, Wällen und Zugbrücken. Die magische Beleuchtung des Sees und seine Umgebungen gefiel mir so wohl, daß ich bereits eine halbe Stunde am Fenster gelegen und mit mancherlei Phantasiegestalten das Bild vor mir belebt hatte, als mich plötzlich der Klang eines Waldhorns aus meinen Träumereien erweckte. Der tiefe, schwermüthig dahin schwimmende Ton des Instruments berührte so sanft mein Gehör, daß ich mir einbildete, das kräuselnde Wasser zu meinen Füßen hüpfe nach der süßen Melodie. Lange suchte ich vergebens nach dem späten Tonkünstler, bis ich endlich wenig Schritte vor der erwähnten Felswand einen kleinen Nachen entdeckte, in dessen Hintertheil ein breitschultriger, kräftiger Mann saß, der, unverwandt Grc„zb»te». III. 18--". 19

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/151>, abgerufen am 24.07.2024.