Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.VI. ' ' Notizen. Deutsche Auswanderer. -- Der Sue-Krieg in der Allgemeinen Deutschen. -- Buchhändler-Annonce. -- Die welterobernde Schienenstraße. -- Seit einigen Monaten schreien die deutschen Zeitungen über VI. ' ' Notizen. Deutsche Auswanderer. — Der Sue-Krieg in der Allgemeinen Deutschen. — Buchhändler-Annonce. — Die welterobernde Schienenstraße. — Seit einigen Monaten schreien die deutschen Zeitungen über <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0101" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/181911"/> </div> </div> <div n="2"> <head> VI. ' '<lb/> Notizen.</head><lb/> <note type="argument"> Deutsche Auswanderer. — Der Sue-Krieg in der Allgemeinen Deutschen. —<lb/> Buchhändler-Annonce. — Die welterobernde Schienenstraße.</note><lb/> <p xml:id="ID_185" next="#ID_186"> — Seit einigen Monaten schreien die deutschen Zeitungen über<lb/> den französischen Prinzen Joinville; dieser Franzose soll nämlich,<lb/> durch welsche Zauberei, Hunderte deutscher Seelen gezwungen haben,<lb/> als Sklaven auf seine neuerworbenen Besitzungen in Brasilien zu<lb/> gehen. Schreckliche Mähre!... Die Sache scheint sich indeß, nach<lb/> einer Corresspondenz aus Brasilien in der Augsburger Allgemeinen<lb/> Zeitung, ein wenig anders zu verhalten; und wir thäten überhaupt<lb/> besser, wenn wir bei unsern Kalamitäten nicht stets mit wohlfeilen<lb/> Patriotismus alle Schuld auf fremde Arglist und Pfiffigkeit walzen<lb/> wollten. Nicht Prinz Joinville, sondern die Provinzialregierung<lb/> von Rio Janeiro hat sechshundert deutsche Arbeiter bestellt. Sogleich<lb/> fanden sich über sechshundert und machten sich mit ihren Eltern,<lb/> Werbern und Kindern, zusammen neunzehnhundert Personen, auf<lb/> die Reise. In Dünkirchen, wo das Haus Delrue 6: Co. ihre<lb/> Einschiffung übernommen hatte, werden jedem der Auswanderer<lb/> 45 Franken abgefordert; sie wissen nicht wofür? Endlich kommen sie,<lb/> bei möglichst schlechter Beköstigung auf dem Schiffe nach Brasilien,<lb/> und da werden sie zu öffentlichen Arbeiten und namentlich zur Er¬<lb/> bauung einer Stadt, Petropolis, verwendet; ihr Tagelohn ist gut,<lb/> allein das Leben theuer, und die Kosten der Ueberfahrt müssen all-<lb/> mälig von dem blutig erworbenen Sold abgezogen werden. Also<lb/> neunzehnhundert Deutsche wenden ihr Bischen Hab und Gut auf<lb/> eine Reise über den Ocean und bezahlen mit ihrem sauern Schweiß<lb/> die Kosten der Uebersahrr, nur um das Glück zu haben, unter einem<lb/> heißen Himmelsstrich, wie einst die Kinder Jssraels in Aegvpten,<lb/> fremden Völkern Städte zu bauen; nur um sich zu lrsv-ax den-eng auf<lb/> Lebenszeit zu verdammen, denn woher sollen sie, nach Bollendung<lb/> ihrer Helotenarbeit, die Mittel nehmen, um in die Heimath zurück¬<lb/> zukehren, wo übrigens auch nur neues Elend sie empfangen würde?!<lb/> — Jetzt weinen und schreien die Armen, und jetzt hat man leicht,<lb/> die fremden Seelenverkäufer und Sklavenhändler anklagen; die fremde<lb/> List, glaube ich, ist lange nicht so groß, als die deutsche Leichtgläu¬<lb/> bigkeit. In Brasilien dachte man vielleicht, das deutsche Volk sei<lb/> froh, wenn es nur irgendwo in der Welt schwere' Arbeit bekomme.<lb/> Aber in Deutschland? Da sich unsere Regierungen doch in alles<lb/> Mischen, da sie ihre Landeskinder nicht einmal ohne Paß und beson¬<lb/> dere Erlaubniß auswandern lassen, warum überwachen sie nicht we¬<lb/> nigstens genauer die fremden Agenten? Haben z. B. in diesem<lb/> Falle, die respectiven deutschen Regierungen untersucht, ob die</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0101]
VI. ' '
Notizen.
Deutsche Auswanderer. — Der Sue-Krieg in der Allgemeinen Deutschen. —
Buchhändler-Annonce. — Die welterobernde Schienenstraße.
— Seit einigen Monaten schreien die deutschen Zeitungen über
den französischen Prinzen Joinville; dieser Franzose soll nämlich,
durch welsche Zauberei, Hunderte deutscher Seelen gezwungen haben,
als Sklaven auf seine neuerworbenen Besitzungen in Brasilien zu
gehen. Schreckliche Mähre!... Die Sache scheint sich indeß, nach
einer Corresspondenz aus Brasilien in der Augsburger Allgemeinen
Zeitung, ein wenig anders zu verhalten; und wir thäten überhaupt
besser, wenn wir bei unsern Kalamitäten nicht stets mit wohlfeilen
Patriotismus alle Schuld auf fremde Arglist und Pfiffigkeit walzen
wollten. Nicht Prinz Joinville, sondern die Provinzialregierung
von Rio Janeiro hat sechshundert deutsche Arbeiter bestellt. Sogleich
fanden sich über sechshundert und machten sich mit ihren Eltern,
Werbern und Kindern, zusammen neunzehnhundert Personen, auf
die Reise. In Dünkirchen, wo das Haus Delrue 6: Co. ihre
Einschiffung übernommen hatte, werden jedem der Auswanderer
45 Franken abgefordert; sie wissen nicht wofür? Endlich kommen sie,
bei möglichst schlechter Beköstigung auf dem Schiffe nach Brasilien,
und da werden sie zu öffentlichen Arbeiten und namentlich zur Er¬
bauung einer Stadt, Petropolis, verwendet; ihr Tagelohn ist gut,
allein das Leben theuer, und die Kosten der Ueberfahrt müssen all-
mälig von dem blutig erworbenen Sold abgezogen werden. Also
neunzehnhundert Deutsche wenden ihr Bischen Hab und Gut auf
eine Reise über den Ocean und bezahlen mit ihrem sauern Schweiß
die Kosten der Uebersahrr, nur um das Glück zu haben, unter einem
heißen Himmelsstrich, wie einst die Kinder Jssraels in Aegvpten,
fremden Völkern Städte zu bauen; nur um sich zu lrsv-ax den-eng auf
Lebenszeit zu verdammen, denn woher sollen sie, nach Bollendung
ihrer Helotenarbeit, die Mittel nehmen, um in die Heimath zurück¬
zukehren, wo übrigens auch nur neues Elend sie empfangen würde?!
— Jetzt weinen und schreien die Armen, und jetzt hat man leicht,
die fremden Seelenverkäufer und Sklavenhändler anklagen; die fremde
List, glaube ich, ist lange nicht so groß, als die deutsche Leichtgläu¬
bigkeit. In Brasilien dachte man vielleicht, das deutsche Volk sei
froh, wenn es nur irgendwo in der Welt schwere' Arbeit bekomme.
Aber in Deutschland? Da sich unsere Regierungen doch in alles
Mischen, da sie ihre Landeskinder nicht einmal ohne Paß und beson¬
dere Erlaubniß auswandern lassen, warum überwachen sie nicht we¬
nigstens genauer die fremden Agenten? Haben z. B. in diesem
Falle, die respectiven deutschen Regierungen untersucht, ob die
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