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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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und unverständige Treiben ihrer Standesgenossen an, die leider ver¬
flöge ihres Reichthums und ihrer sonstigen Stellung eines gewissen
Einflusses flicht entbehren,


V.
Berliner Dichter.
Titus Ulrich.

(Das hohe Lied, Berlin, Verlag von C. G. von Puttkammer. 1845.)

Das iunge Berlin hat einen kleinen Triumph gefeiert. Es
hat nämlich einen Poeten aufgetrieben, der den letzten Orakelspruch
der allermodernsten Philosophie, die Menschgottheit, in einem höchst
merkwürdigen Hohenlied psvclamirt. Ohne uns in Erörterungen über
die Tiefe oder Wahrheit des vieldeutigen Orakelspruchs einzulassen,
bemerken wir vorerst, daß Kirche und Staat sich darüber beruhigen
können. Nichts ist beiden weniger gefährlich, als der zum Gott er¬
hobene Berliner. Theologen, die ihr Fach nicht blos handwerksmäßig
betrieben haben, werden begreifen, daß es nicht gerade die frivolsten,
sondern eher die denkenden und glaubensdurstigen Geister sind, die.
einmal dahin kommen, den. biblischen Satz von der Schöpfung hetz
Menschen nach Gottes Ebenbild umzukehren, und daß der Freuden¬
rausch über diesen Fund mit der Zeit zu noch ganz andern Resultaten
umschlägt. Die politischen Nachtwächter aber mögen auf ihrem festen.
Eckstein ruhig weiter schlafen. Männer der alten Welt und des, Mit¬
telalters haben in aller Naivetät, ohne zu wissen, was die neueste
Reflection weiß,, göttergleiche und polizeiwidrige Thaten gethan, wah¬
rend die bewußten Götter unserer Zeit zwar Götter sind, aber keine.
Männer; ähnlich den reichen Juden in Wien, die für vieles Geld
Titularbarone, aber keine Bürger werde" können. Der junge Berli¬
ner wird, vermöge der hindugermaflischen Wahlverwandtschaft, durch
die neueste Philosophie nur einem jener hunderttausend indischen Göt¬
ter gleich, die, in himmlischer Sabbathstille sitzend, ihre eigenen hoch¬
gespannter Nasenflügel bewundern, -- bis sie blasicr sind.
"

Sehen wir uns aber "das Hohe Lied und seinen Poeten näher
an. Titus Ulrich besitzt allerhand Eigenschaften, die dem Katechis¬
mus des jungen Berlin eigentlich schnurstracks entgegen laufeNl, z. B.
Gemüth, Phantasie und andere altmodische Schwachen, die ein über-
qlleshinausiger Srehelianer ja nur mit verachtenden Mitleid ansehest,
kann. Was in seinem Buche von Natur, Temperament, Naivetät,,
überhaupt von poetischem Talent zeugt, das hat er flicht aus den,
Quellen der Berliner. Abstraktion, geschöpft; wohl aber ist es die.'
Sucht, absolute Ideen zu malen." was ihn manchmal verrückt macht.


und unverständige Treiben ihrer Standesgenossen an, die leider ver¬
flöge ihres Reichthums und ihrer sonstigen Stellung eines gewissen
Einflusses flicht entbehren,


V.
Berliner Dichter.
Titus Ulrich.

(Das hohe Lied, Berlin, Verlag von C. G. von Puttkammer. 1845.)

Das iunge Berlin hat einen kleinen Triumph gefeiert. Es
hat nämlich einen Poeten aufgetrieben, der den letzten Orakelspruch
der allermodernsten Philosophie, die Menschgottheit, in einem höchst
merkwürdigen Hohenlied psvclamirt. Ohne uns in Erörterungen über
die Tiefe oder Wahrheit des vieldeutigen Orakelspruchs einzulassen,
bemerken wir vorerst, daß Kirche und Staat sich darüber beruhigen
können. Nichts ist beiden weniger gefährlich, als der zum Gott er¬
hobene Berliner. Theologen, die ihr Fach nicht blos handwerksmäßig
betrieben haben, werden begreifen, daß es nicht gerade die frivolsten,
sondern eher die denkenden und glaubensdurstigen Geister sind, die.
einmal dahin kommen, den. biblischen Satz von der Schöpfung hetz
Menschen nach Gottes Ebenbild umzukehren, und daß der Freuden¬
rausch über diesen Fund mit der Zeit zu noch ganz andern Resultaten
umschlägt. Die politischen Nachtwächter aber mögen auf ihrem festen.
Eckstein ruhig weiter schlafen. Männer der alten Welt und des, Mit¬
telalters haben in aller Naivetät, ohne zu wissen, was die neueste
Reflection weiß,, göttergleiche und polizeiwidrige Thaten gethan, wah¬
rend die bewußten Götter unserer Zeit zwar Götter sind, aber keine.
Männer; ähnlich den reichen Juden in Wien, die für vieles Geld
Titularbarone, aber keine Bürger werde» können. Der junge Berli¬
ner wird, vermöge der hindugermaflischen Wahlverwandtschaft, durch
die neueste Philosophie nur einem jener hunderttausend indischen Göt¬
ter gleich, die, in himmlischer Sabbathstille sitzend, ihre eigenen hoch¬
gespannter Nasenflügel bewundern, — bis sie blasicr sind.
"

Sehen wir uns aber „das Hohe Lied und seinen Poeten näher
an. Titus Ulrich besitzt allerhand Eigenschaften, die dem Katechis¬
mus des jungen Berlin eigentlich schnurstracks entgegen laufeNl, z. B.
Gemüth, Phantasie und andere altmodische Schwachen, die ein über-
qlleshinausiger Srehelianer ja nur mit verachtenden Mitleid ansehest,
kann. Was in seinem Buche von Natur, Temperament, Naivetät,,
überhaupt von poetischem Talent zeugt, das hat er flicht aus den,
Quellen der Berliner. Abstraktion, geschöpft; wohl aber ist es die.'
Sucht, absolute Ideen zu malen.« was ihn manchmal verrückt macht.


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[0522] und unverständige Treiben ihrer Standesgenossen an, die leider ver¬ flöge ihres Reichthums und ihrer sonstigen Stellung eines gewissen Einflusses flicht entbehren, V. Berliner Dichter. Titus Ulrich. (Das hohe Lied, Berlin, Verlag von C. G. von Puttkammer. 1845.) Das iunge Berlin hat einen kleinen Triumph gefeiert. Es hat nämlich einen Poeten aufgetrieben, der den letzten Orakelspruch der allermodernsten Philosophie, die Menschgottheit, in einem höchst merkwürdigen Hohenlied psvclamirt. Ohne uns in Erörterungen über die Tiefe oder Wahrheit des vieldeutigen Orakelspruchs einzulassen, bemerken wir vorerst, daß Kirche und Staat sich darüber beruhigen können. Nichts ist beiden weniger gefährlich, als der zum Gott er¬ hobene Berliner. Theologen, die ihr Fach nicht blos handwerksmäßig betrieben haben, werden begreifen, daß es nicht gerade die frivolsten, sondern eher die denkenden und glaubensdurstigen Geister sind, die. einmal dahin kommen, den. biblischen Satz von der Schöpfung hetz Menschen nach Gottes Ebenbild umzukehren, und daß der Freuden¬ rausch über diesen Fund mit der Zeit zu noch ganz andern Resultaten umschlägt. Die politischen Nachtwächter aber mögen auf ihrem festen. Eckstein ruhig weiter schlafen. Männer der alten Welt und des, Mit¬ telalters haben in aller Naivetät, ohne zu wissen, was die neueste Reflection weiß,, göttergleiche und polizeiwidrige Thaten gethan, wah¬ rend die bewußten Götter unserer Zeit zwar Götter sind, aber keine. Männer; ähnlich den reichen Juden in Wien, die für vieles Geld Titularbarone, aber keine Bürger werde» können. Der junge Berli¬ ner wird, vermöge der hindugermaflischen Wahlverwandtschaft, durch die neueste Philosophie nur einem jener hunderttausend indischen Göt¬ ter gleich, die, in himmlischer Sabbathstille sitzend, ihre eigenen hoch¬ gespannter Nasenflügel bewundern, — bis sie blasicr sind. " Sehen wir uns aber „das Hohe Lied und seinen Poeten näher an. Titus Ulrich besitzt allerhand Eigenschaften, die dem Katechis¬ mus des jungen Berlin eigentlich schnurstracks entgegen laufeNl, z. B. Gemüth, Phantasie und andere altmodische Schwachen, die ein über- qlleshinausiger Srehelianer ja nur mit verachtenden Mitleid ansehest, kann. Was in seinem Buche von Natur, Temperament, Naivetät,, überhaupt von poetischem Talent zeugt, das hat er flicht aus den, Quellen der Berliner. Abstraktion, geschöpft; wohl aber ist es die.' Sucht, absolute Ideen zu malen.« was ihn manchmal verrückt macht.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/522>, abgerufen am 05.02.2025.