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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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einzelne Städte Deutschlands zu einem an Wahnsinn grenzenden En¬
thusiasmus herausschrauben. Ein charakteristisches Merkmal des letzten
Jahrzehnts der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts! -- Die
Bellen des Faschings fangen schon an bei uns zu lauten und erbau¬
lich nehmen sich in unsrer Zeitung die Carnevalsanzcigen neben den
Einlavungen der Vereine aus, die unter dem Protectorate aller nur
denkbaren Heiligen hier vegetiren. In der dermalen hier -grafsi'renden
Vereinsepidemie ist auch einer entstanden, dessen Zweck, unserm ver¬
storbenen Erzbischof Clemens August ein Denkmal zu errichten. Seine
kolossale Büste in Marmor ist schon längst fertig. Die Verehrer des
Seligen, welche dies. Ihe fertigen ließen und nicht gern aus ihrer Tasche
bezahlen, müssen sie nun an den Mann zu bringen suchen, denn es
darf die Verehrung nicht viel Groschen kosten. Sehr zu wünschen
wäre es, wenn sich in Eöln ein Reinlichkeits-Verein bildete, denn
unser Straßenschlamm hat seines Gleichen nicht, ist wahrhaft classisch
und scheint auf die neuen Gemeinderäthe oder Stadtverordneten zu
warten, indem unfer jetziger Stadtrarh sammt unser Polizei mit dem¬
selben auf dem vertrautesten Fuße zu stehen scheinen. Süß ist die
Gewohnheit! und der Straßenkoth bringt der Polizei seine gehörigen
Spötteln, die man, wie ganz natürlich, nicht gern verliert.


IV.
Aus M e k l e n b u r g.
Der Parforce-Jagd-Verein.

Es ist doch eine schöne Sache um ein gutes Beispiel. Da siel
es zu derselben Zeit, als gerade in Schlesien die Hungersnoth unter
den armen Webern am größten war, einem auserwählten Theile des
dortigen Adels ein, den vielbekanntcn und benannten "Reit- und
Jagdverein" zu gründen. Man wollte, so lautete die rhetorisch ab¬
gefaßte Ankündigung, durch derlei ritterliche Vergnügungen und Ue¬
bungen dem Adel, diesem Kern des Staates, seine frühere Wehrhaf-
rigkeit und Ritterlichkeit und dadurch wieder sein, ein wenig verloren
gegangenes Ansehen aufs Neue erringen. Der Gedanke war in der
That nicht übel und machte den Köpfen der Erfinder alle Ehre.
Kann der Adel auch wohl etwas Klügeres thun, um das alte Anse¬
hen, nach dem er so sehr trachtet, wieder zu gewinnen, als einige
theuer erkaufte englische Pferde todt jagen, einige arme Hasen oder
Füchse durch stundenlanges Hetzen martern und dabei Saaten und
Felder ruiniren? Müssen ihm solche Thaten nicht nothgedrungen die
Verehrung des ganzen Volkes wieder gewinnen, und sind sie nicht
die besten Grundsteine zur Gründung des "christlich-patriarchalischen
Staates", den so viele seiner Mitglieder einzuführen wünschen?


einzelne Städte Deutschlands zu einem an Wahnsinn grenzenden En¬
thusiasmus herausschrauben. Ein charakteristisches Merkmal des letzten
Jahrzehnts der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts! — Die
Bellen des Faschings fangen schon an bei uns zu lauten und erbau¬
lich nehmen sich in unsrer Zeitung die Carnevalsanzcigen neben den
Einlavungen der Vereine aus, die unter dem Protectorate aller nur
denkbaren Heiligen hier vegetiren. In der dermalen hier -grafsi'renden
Vereinsepidemie ist auch einer entstanden, dessen Zweck, unserm ver¬
storbenen Erzbischof Clemens August ein Denkmal zu errichten. Seine
kolossale Büste in Marmor ist schon längst fertig. Die Verehrer des
Seligen, welche dies. Ihe fertigen ließen und nicht gern aus ihrer Tasche
bezahlen, müssen sie nun an den Mann zu bringen suchen, denn es
darf die Verehrung nicht viel Groschen kosten. Sehr zu wünschen
wäre es, wenn sich in Eöln ein Reinlichkeits-Verein bildete, denn
unser Straßenschlamm hat seines Gleichen nicht, ist wahrhaft classisch
und scheint auf die neuen Gemeinderäthe oder Stadtverordneten zu
warten, indem unfer jetziger Stadtrarh sammt unser Polizei mit dem¬
selben auf dem vertrautesten Fuße zu stehen scheinen. Süß ist die
Gewohnheit! und der Straßenkoth bringt der Polizei seine gehörigen
Spötteln, die man, wie ganz natürlich, nicht gern verliert.


IV.
Aus M e k l e n b u r g.
Der Parforce-Jagd-Verein.

Es ist doch eine schöne Sache um ein gutes Beispiel. Da siel
es zu derselben Zeit, als gerade in Schlesien die Hungersnoth unter
den armen Webern am größten war, einem auserwählten Theile des
dortigen Adels ein, den vielbekanntcn und benannten „Reit- und
Jagdverein" zu gründen. Man wollte, so lautete die rhetorisch ab¬
gefaßte Ankündigung, durch derlei ritterliche Vergnügungen und Ue¬
bungen dem Adel, diesem Kern des Staates, seine frühere Wehrhaf-
rigkeit und Ritterlichkeit und dadurch wieder sein, ein wenig verloren
gegangenes Ansehen aufs Neue erringen. Der Gedanke war in der
That nicht übel und machte den Köpfen der Erfinder alle Ehre.
Kann der Adel auch wohl etwas Klügeres thun, um das alte Anse¬
hen, nach dem er so sehr trachtet, wieder zu gewinnen, als einige
theuer erkaufte englische Pferde todt jagen, einige arme Hasen oder
Füchse durch stundenlanges Hetzen martern und dabei Saaten und
Felder ruiniren? Müssen ihm solche Thaten nicht nothgedrungen die
Verehrung des ganzen Volkes wieder gewinnen, und sind sie nicht
die besten Grundsteine zur Gründung des „christlich-patriarchalischen
Staates", den so viele seiner Mitglieder einzuführen wünschen?


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[0517] einzelne Städte Deutschlands zu einem an Wahnsinn grenzenden En¬ thusiasmus herausschrauben. Ein charakteristisches Merkmal des letzten Jahrzehnts der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts! — Die Bellen des Faschings fangen schon an bei uns zu lauten und erbau¬ lich nehmen sich in unsrer Zeitung die Carnevalsanzcigen neben den Einlavungen der Vereine aus, die unter dem Protectorate aller nur denkbaren Heiligen hier vegetiren. In der dermalen hier -grafsi'renden Vereinsepidemie ist auch einer entstanden, dessen Zweck, unserm ver¬ storbenen Erzbischof Clemens August ein Denkmal zu errichten. Seine kolossale Büste in Marmor ist schon längst fertig. Die Verehrer des Seligen, welche dies. Ihe fertigen ließen und nicht gern aus ihrer Tasche bezahlen, müssen sie nun an den Mann zu bringen suchen, denn es darf die Verehrung nicht viel Groschen kosten. Sehr zu wünschen wäre es, wenn sich in Eöln ein Reinlichkeits-Verein bildete, denn unser Straßenschlamm hat seines Gleichen nicht, ist wahrhaft classisch und scheint auf die neuen Gemeinderäthe oder Stadtverordneten zu warten, indem unfer jetziger Stadtrarh sammt unser Polizei mit dem¬ selben auf dem vertrautesten Fuße zu stehen scheinen. Süß ist die Gewohnheit! und der Straßenkoth bringt der Polizei seine gehörigen Spötteln, die man, wie ganz natürlich, nicht gern verliert. IV. Aus M e k l e n b u r g. Der Parforce-Jagd-Verein. Es ist doch eine schöne Sache um ein gutes Beispiel. Da siel es zu derselben Zeit, als gerade in Schlesien die Hungersnoth unter den armen Webern am größten war, einem auserwählten Theile des dortigen Adels ein, den vielbekanntcn und benannten „Reit- und Jagdverein" zu gründen. Man wollte, so lautete die rhetorisch ab¬ gefaßte Ankündigung, durch derlei ritterliche Vergnügungen und Ue¬ bungen dem Adel, diesem Kern des Staates, seine frühere Wehrhaf- rigkeit und Ritterlichkeit und dadurch wieder sein, ein wenig verloren gegangenes Ansehen aufs Neue erringen. Der Gedanke war in der That nicht übel und machte den Köpfen der Erfinder alle Ehre. Kann der Adel auch wohl etwas Klügeres thun, um das alte Anse¬ hen, nach dem er so sehr trachtet, wieder zu gewinnen, als einige theuer erkaufte englische Pferde todt jagen, einige arme Hasen oder Füchse durch stundenlanges Hetzen martern und dabei Saaten und Felder ruiniren? Müssen ihm solche Thaten nicht nothgedrungen die Verehrung des ganzen Volkes wieder gewinnen, und sind sie nicht die besten Grundsteine zur Gründung des „christlich-patriarchalischen Staates", den so viele seiner Mitglieder einzuführen wünschen?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/517>, abgerufen am 05.02.2025.