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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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i.
Neu" se " Erzähl uugsliter "tu v.

Die literarisch-biographischen Romane und das Publicum. -- Bürger, ein
deutsche" Dichterlebcn von Otto Müller. -- Historie und Roman- -- Kaiser
und Narr von Heribert Rau. -- Roman aber Weltgeschichte? -- Vergangen¬
heit und Gegenwart. -- Religion und sociale Zustände- -- Weiße Sclaven,
Roman von E. Willkomm. -- Unter Haft gehaltene Vollendung. -- Elegante
Aeußerlichkeit. -- Verdacht der jesuitischen Verdächtigung. -- Die Jesuiten in
England und Oesterreich, Roman oder Wahrheit?

Als A. von Sternberg einst seinen "Lessing" veröffentlichte, froh¬
lockte die Critik über dieses neuausgefundene Genre des biographischen
Romans und erwartete davon im größern Publicum für das volle
Verständniß und das rechte Anerkenntnis^ Lessing's in allen Entfaltun¬
gen seiner literarischen Wirksamkeit eine bis dahin umsonst herbeige¬
wünschte Wirkung. Aber, gestehen wir es offen, das Publicum nahm
diesen Roman eben auch nur wie einen der vielen biographischen Ro¬
mane auf, die uns die historischen Menschen im Hauskleide vorführen
und ging nur wenig der tiefern Absicht desselben nach. Es lag ihm
zu wenig romanhafte Staffage um dieses Dichterleden gestreut und
es fand sich sogar weit mehr von dem Rococowirrniß des "Moliere"
angezogen, aus dessen Leben Sternberg einige Episoden auf ähnliche
Weise romantisch verarbeitete. "Lessing" blieb ein fast nur auf lite¬
rarische Kreise beschränktes Werk und fand nur dort ein recht aner¬
kanntes Verdienst. Nicht besser erging es "Hölty" von Voigts, und
"Schiller's Jugendjahren" von H. Kurz. Die Literaten lasen sie,
die Critik lobte sie, das Publicum aber ließ sie theilnahmlos vorüber¬
gehen. Unterdessen ist nun freilich die Theilnahme an den innern
Ereignissen der Literatur und ihrer Vertreter auch in den größern
Kreisen der Lesewelt mächtiger geworden. Aber dennoch fanden sich
bis auf den heutigen Tag nur wenige Dichter, welche mit irgend¬
welchem Erfolge dem Ziele ähnlicher psychologischer Schilderungen nach¬
gegangen waren, und die Literatur schien bereits auf dem Punkte zu


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i.
Neu« se « Erzähl uugsliter «tu v.

Die literarisch-biographischen Romane und das Publicum. — Bürger, ein
deutsche« Dichterlebcn von Otto Müller. — Historie und Roman- — Kaiser
und Narr von Heribert Rau. — Roman aber Weltgeschichte? — Vergangen¬
heit und Gegenwart. — Religion und sociale Zustände- — Weiße Sclaven,
Roman von E. Willkomm. — Unter Haft gehaltene Vollendung. — Elegante
Aeußerlichkeit. — Verdacht der jesuitischen Verdächtigung. — Die Jesuiten in
England und Oesterreich, Roman oder Wahrheit?

Als A. von Sternberg einst seinen „Lessing" veröffentlichte, froh¬
lockte die Critik über dieses neuausgefundene Genre des biographischen
Romans und erwartete davon im größern Publicum für das volle
Verständniß und das rechte Anerkenntnis^ Lessing's in allen Entfaltun¬
gen seiner literarischen Wirksamkeit eine bis dahin umsonst herbeige¬
wünschte Wirkung. Aber, gestehen wir es offen, das Publicum nahm
diesen Roman eben auch nur wie einen der vielen biographischen Ro¬
mane auf, die uns die historischen Menschen im Hauskleide vorführen
und ging nur wenig der tiefern Absicht desselben nach. Es lag ihm
zu wenig romanhafte Staffage um dieses Dichterleden gestreut und
es fand sich sogar weit mehr von dem Rococowirrniß des „Moliere"
angezogen, aus dessen Leben Sternberg einige Episoden auf ähnliche
Weise romantisch verarbeitete. „Lessing" blieb ein fast nur auf lite¬
rarische Kreise beschränktes Werk und fand nur dort ein recht aner¬
kanntes Verdienst. Nicht besser erging es „Hölty" von Voigts, und
„Schiller's Jugendjahren" von H. Kurz. Die Literaten lasen sie,
die Critik lobte sie, das Publicum aber ließ sie theilnahmlos vorüber¬
gehen. Unterdessen ist nun freilich die Theilnahme an den innern
Ereignissen der Literatur und ihrer Vertreter auch in den größern
Kreisen der Lesewelt mächtiger geworden. Aber dennoch fanden sich
bis auf den heutigen Tag nur wenige Dichter, welche mit irgend¬
welchem Erfolge dem Ziele ähnlicher psychologischer Schilderungen nach¬
gegangen waren, und die Literatur schien bereits auf dem Punkte zu


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[0315] T a g e b u es. i. Neu« se « Erzähl uugsliter «tu v. Die literarisch-biographischen Romane und das Publicum. — Bürger, ein deutsche« Dichterlebcn von Otto Müller. — Historie und Roman- — Kaiser und Narr von Heribert Rau. — Roman aber Weltgeschichte? — Vergangen¬ heit und Gegenwart. — Religion und sociale Zustände- — Weiße Sclaven, Roman von E. Willkomm. — Unter Haft gehaltene Vollendung. — Elegante Aeußerlichkeit. — Verdacht der jesuitischen Verdächtigung. — Die Jesuiten in England und Oesterreich, Roman oder Wahrheit? Als A. von Sternberg einst seinen „Lessing" veröffentlichte, froh¬ lockte die Critik über dieses neuausgefundene Genre des biographischen Romans und erwartete davon im größern Publicum für das volle Verständniß und das rechte Anerkenntnis^ Lessing's in allen Entfaltun¬ gen seiner literarischen Wirksamkeit eine bis dahin umsonst herbeige¬ wünschte Wirkung. Aber, gestehen wir es offen, das Publicum nahm diesen Roman eben auch nur wie einen der vielen biographischen Ro¬ mane auf, die uns die historischen Menschen im Hauskleide vorführen und ging nur wenig der tiefern Absicht desselben nach. Es lag ihm zu wenig romanhafte Staffage um dieses Dichterleden gestreut und es fand sich sogar weit mehr von dem Rococowirrniß des „Moliere" angezogen, aus dessen Leben Sternberg einige Episoden auf ähnliche Weise romantisch verarbeitete. „Lessing" blieb ein fast nur auf lite¬ rarische Kreise beschränktes Werk und fand nur dort ein recht aner¬ kanntes Verdienst. Nicht besser erging es „Hölty" von Voigts, und „Schiller's Jugendjahren" von H. Kurz. Die Literaten lasen sie, die Critik lobte sie, das Publicum aber ließ sie theilnahmlos vorüber¬ gehen. Unterdessen ist nun freilich die Theilnahme an den innern Ereignissen der Literatur und ihrer Vertreter auch in den größern Kreisen der Lesewelt mächtiger geworden. Aber dennoch fanden sich bis auf den heutigen Tag nur wenige Dichter, welche mit irgend¬ welchem Erfolge dem Ziele ähnlicher psychologischer Schilderungen nach¬ gegangen waren, und die Literatur schien bereits auf dem Punkte zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/315>, abgerufen am 05.02.2025.