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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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Aus Brüssel.

Faule Kartoffeln. -- Communismus. -- Trüffelscuche. -- Kunstausstellung.--
Literatur, Nachdruck, und der versiegelte Nathan der Weise. -- Ein neuer
Hafen. -- Der Deutsche in Belgien.

Unsere Presse kaut noch immer an den kranken Kartoffeln; in¬
deß werden Sie aus den Zeitungen ersehen haben, daß man nicht
lange bei eitlen Raisonnements stehen blieb. Ganz Belgien, von der
Regierung bis zu den kleinsten Gemeinden, Korporationen und rei¬
chen Privatleuten, hat sich vereinigt, um der armen Volksklasse den
kommenden Winter erträglich zu machen. Einige Prediger haben,
wie gewöhnlich, nicht umhin gekonnt, bei dieser passenden Gelegenheit
sich wieder im glänzendsten Lichte zu zeigen, und, statt nach der Art
anderer Körperschaften, wohlthätige Vereine zu gründen, haben sie
die abgeschmacktesten und gehässigsten "Legenden" unter dem flamän-
dischen Landvolke verbreitet. Bald sollte der leibhaftige -j-s^ die un¬
schuldigen "Patäken" gehölt haben, bald war die Seuche eine Strafe
des Himmels für die Wahlen vom 10. Juni und für die Lectüre des
ewigen Juden von Eugen Sue. -- Aber, im Vertrauen gesagt, rührt
die Kartosselcholera weder vom Teufel, noch vom ewigen Juden her:
sie ist ganz einfach die Folge von einer weitverzweigten unterirdischen
Communisten-Verschwörung. Die Feinde des Bestehenden haben durch
ihre wühlerischen Doctrinen die Frucht im Mutterlnbe der Art ver¬
giftet, um auf die Noth der Proletarier zu spekuliren; und es wun¬
dert mich sehr, daß ich dem Scharfsinn der Herren in Berlin und
Breslau mit dieser Entdeckung zuvorkommen muß. Der beste Be¬
weis für meine Behauptung ist, daß gleichzeitig mit der Kartossel-
seuche die monströse Atheisten-Verbindung in der Schweiz ans Licht
kam, und daß die Seuche am stärksten hier und in den Rheinlanden
wüthet, wo bekanntlich die bedenklichsten belgisch-französischen Sym-
pathieen grassicen.

Noch bedenklicher ist ein anderes Zeichen der Zeit, über welches
der Pariser Eharivari bereits einen Wink fallen ließ. Ich erlaube
mir, etwas tiefer auf die Sache einzugehen. Wenn die Kartoffelwelt
zu entarten und zu verderben anfängt, so ist das Unglück am Ende
Nicht so groß, denn es betrifft nur das gemeine Volk. Aber was
soll man dazu sagen, daß selbst die Ambrosia der Erdengötter, die
Manna der Diplomaten, die Herzstärkung und der Trost des soge¬
nannten Staatsmannes, daß die Trüffel, welche sich zu der Kartoffel
verhält wie der Cavalier zum Bauer, zu verkümmern, ja zu ver¬
schwinden beginnt? Sie, die dustreiche, altadelige Frucht, die bereits
vor Entdeckung Amerikas und vor Erfindung der Buchdruckerkunst
den Gaumen der Höher- und Höchstgeborenen erfreute, die gewiß bei


Aus Brüssel.

Faule Kartoffeln. — Communismus. — Trüffelscuche. — Kunstausstellung.—
Literatur, Nachdruck, und der versiegelte Nathan der Weise. — Ein neuer
Hafen. — Der Deutsche in Belgien.

Unsere Presse kaut noch immer an den kranken Kartoffeln; in¬
deß werden Sie aus den Zeitungen ersehen haben, daß man nicht
lange bei eitlen Raisonnements stehen blieb. Ganz Belgien, von der
Regierung bis zu den kleinsten Gemeinden, Korporationen und rei¬
chen Privatleuten, hat sich vereinigt, um der armen Volksklasse den
kommenden Winter erträglich zu machen. Einige Prediger haben,
wie gewöhnlich, nicht umhin gekonnt, bei dieser passenden Gelegenheit
sich wieder im glänzendsten Lichte zu zeigen, und, statt nach der Art
anderer Körperschaften, wohlthätige Vereine zu gründen, haben sie
die abgeschmacktesten und gehässigsten „Legenden" unter dem flamän-
dischen Landvolke verbreitet. Bald sollte der leibhaftige -j-s^ die un¬
schuldigen „Patäken" gehölt haben, bald war die Seuche eine Strafe
des Himmels für die Wahlen vom 10. Juni und für die Lectüre des
ewigen Juden von Eugen Sue. — Aber, im Vertrauen gesagt, rührt
die Kartosselcholera weder vom Teufel, noch vom ewigen Juden her:
sie ist ganz einfach die Folge von einer weitverzweigten unterirdischen
Communisten-Verschwörung. Die Feinde des Bestehenden haben durch
ihre wühlerischen Doctrinen die Frucht im Mutterlnbe der Art ver¬
giftet, um auf die Noth der Proletarier zu spekuliren; und es wun¬
dert mich sehr, daß ich dem Scharfsinn der Herren in Berlin und
Breslau mit dieser Entdeckung zuvorkommen muß. Der beste Be¬
weis für meine Behauptung ist, daß gleichzeitig mit der Kartossel-
seuche die monströse Atheisten-Verbindung in der Schweiz ans Licht
kam, und daß die Seuche am stärksten hier und in den Rheinlanden
wüthet, wo bekanntlich die bedenklichsten belgisch-französischen Sym-
pathieen grassicen.

Noch bedenklicher ist ein anderes Zeichen der Zeit, über welches
der Pariser Eharivari bereits einen Wink fallen ließ. Ich erlaube
mir, etwas tiefer auf die Sache einzugehen. Wenn die Kartoffelwelt
zu entarten und zu verderben anfängt, so ist das Unglück am Ende
Nicht so groß, denn es betrifft nur das gemeine Volk. Aber was
soll man dazu sagen, daß selbst die Ambrosia der Erdengötter, die
Manna der Diplomaten, die Herzstärkung und der Trost des soge¬
nannten Staatsmannes, daß die Trüffel, welche sich zu der Kartoffel
verhält wie der Cavalier zum Bauer, zu verkümmern, ja zu ver¬
schwinden beginnt? Sie, die dustreiche, altadelige Frucht, die bereits
vor Entdeckung Amerikas und vor Erfindung der Buchdruckerkunst
den Gaumen der Höher- und Höchstgeborenen erfreute, die gewiß bei


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[0181] Aus Brüssel. Faule Kartoffeln. — Communismus. — Trüffelscuche. — Kunstausstellung.— Literatur, Nachdruck, und der versiegelte Nathan der Weise. — Ein neuer Hafen. — Der Deutsche in Belgien. Unsere Presse kaut noch immer an den kranken Kartoffeln; in¬ deß werden Sie aus den Zeitungen ersehen haben, daß man nicht lange bei eitlen Raisonnements stehen blieb. Ganz Belgien, von der Regierung bis zu den kleinsten Gemeinden, Korporationen und rei¬ chen Privatleuten, hat sich vereinigt, um der armen Volksklasse den kommenden Winter erträglich zu machen. Einige Prediger haben, wie gewöhnlich, nicht umhin gekonnt, bei dieser passenden Gelegenheit sich wieder im glänzendsten Lichte zu zeigen, und, statt nach der Art anderer Körperschaften, wohlthätige Vereine zu gründen, haben sie die abgeschmacktesten und gehässigsten „Legenden" unter dem flamän- dischen Landvolke verbreitet. Bald sollte der leibhaftige -j-s^ die un¬ schuldigen „Patäken" gehölt haben, bald war die Seuche eine Strafe des Himmels für die Wahlen vom 10. Juni und für die Lectüre des ewigen Juden von Eugen Sue. — Aber, im Vertrauen gesagt, rührt die Kartosselcholera weder vom Teufel, noch vom ewigen Juden her: sie ist ganz einfach die Folge von einer weitverzweigten unterirdischen Communisten-Verschwörung. Die Feinde des Bestehenden haben durch ihre wühlerischen Doctrinen die Frucht im Mutterlnbe der Art ver¬ giftet, um auf die Noth der Proletarier zu spekuliren; und es wun¬ dert mich sehr, daß ich dem Scharfsinn der Herren in Berlin und Breslau mit dieser Entdeckung zuvorkommen muß. Der beste Be¬ weis für meine Behauptung ist, daß gleichzeitig mit der Kartossel- seuche die monströse Atheisten-Verbindung in der Schweiz ans Licht kam, und daß die Seuche am stärksten hier und in den Rheinlanden wüthet, wo bekanntlich die bedenklichsten belgisch-französischen Sym- pathieen grassicen. Noch bedenklicher ist ein anderes Zeichen der Zeit, über welches der Pariser Eharivari bereits einen Wink fallen ließ. Ich erlaube mir, etwas tiefer auf die Sache einzugehen. Wenn die Kartoffelwelt zu entarten und zu verderben anfängt, so ist das Unglück am Ende Nicht so groß, denn es betrifft nur das gemeine Volk. Aber was soll man dazu sagen, daß selbst die Ambrosia der Erdengötter, die Manna der Diplomaten, die Herzstärkung und der Trost des soge¬ nannten Staatsmannes, daß die Trüffel, welche sich zu der Kartoffel verhält wie der Cavalier zum Bauer, zu verkümmern, ja zu ver¬ schwinden beginnt? Sie, die dustreiche, altadelige Frucht, die bereits vor Entdeckung Amerikas und vor Erfindung der Buchdruckerkunst den Gaumen der Höher- und Höchstgeborenen erfreute, die gewiß bei

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/181>, abgerufen am 05.02.2025.