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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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Lebe" und Treiben in Leipzig.



Man erinnert sich noch an eine der gelungensten Figuren in den
"Geheimnissen von Paris" an den ehrlichen Steinschneider, der Jahr
aus Jahr ein die edelsten Diamanten verarbeitete und dabei so arm
als honett blieb, an jenen fleißigen Morel, der von dem immerwäh¬
renden Handhaben seines Werkzeugs einseitig wurde, und dessen rech¬
ter Arm zu einer musculösen Kraft sich ausbildete, während der ganze
übrige Körper schwächlich blieb.

Die Stadt Leipzig ist dieser Romanfigur nicht unähnlich. --
Welche kostbare Gedankenschätze werden Jahr aus Jahr ein in
den Werkstätten des Leipziger Buchhandels verarbeitet, und mit wel¬
cher Ehrlichkeit flieht Leipzig die Versuchung, etwas davon für sich auf
die Seite zu bringen! All' die tausend Fremden, welche jährlich durch
die Stadt ziehen, mit welcher Pünktlichkeit werden sie wieder dahin
ausgeliefert, wohin sie gehören, wie selten hört man, daß einer zu¬
rückgeblieben ! Auch Leipzig ist einseitig geworden durch sein Geschäft
und während es den einen Arm zu einer wahren großstädtischen
Musculatur ausgebildet hat, ist es in seiner übrigen Structur ganz
die kleine Stadt geblieben von ehedem. Sprechen wir ein wenig
von der Leipziger Gesellschaft, von jenem innern Verkehr, der den
Pulsschlag eines großstädtischen Lebens bildet. Die Leipziger Ge¬
sellschaft besteht aus zwei Factoren: aus der Gelehrtenwelt und aus
der Kaufmannschaft; zwei Elemente, die, wie viel Mühe man sich
auch gibt, sie zu mischen, stets wie Oel und Wasser neben e marder
schwimmen. Wo die beiden in einer Gesellschaft zusammenkommen,
werden sie entweder in besondere Gruppen sich theilen oder unter


Lebe» und Treiben in Leipzig.



Man erinnert sich noch an eine der gelungensten Figuren in den
„Geheimnissen von Paris" an den ehrlichen Steinschneider, der Jahr
aus Jahr ein die edelsten Diamanten verarbeitete und dabei so arm
als honett blieb, an jenen fleißigen Morel, der von dem immerwäh¬
renden Handhaben seines Werkzeugs einseitig wurde, und dessen rech¬
ter Arm zu einer musculösen Kraft sich ausbildete, während der ganze
übrige Körper schwächlich blieb.

Die Stadt Leipzig ist dieser Romanfigur nicht unähnlich. —
Welche kostbare Gedankenschätze werden Jahr aus Jahr ein in
den Werkstätten des Leipziger Buchhandels verarbeitet, und mit wel¬
cher Ehrlichkeit flieht Leipzig die Versuchung, etwas davon für sich auf
die Seite zu bringen! All' die tausend Fremden, welche jährlich durch
die Stadt ziehen, mit welcher Pünktlichkeit werden sie wieder dahin
ausgeliefert, wohin sie gehören, wie selten hört man, daß einer zu¬
rückgeblieben ! Auch Leipzig ist einseitig geworden durch sein Geschäft
und während es den einen Arm zu einer wahren großstädtischen
Musculatur ausgebildet hat, ist es in seiner übrigen Structur ganz
die kleine Stadt geblieben von ehedem. Sprechen wir ein wenig
von der Leipziger Gesellschaft, von jenem innern Verkehr, der den
Pulsschlag eines großstädtischen Lebens bildet. Die Leipziger Ge¬
sellschaft besteht aus zwei Factoren: aus der Gelehrtenwelt und aus
der Kaufmannschaft; zwei Elemente, die, wie viel Mühe man sich
auch gibt, sie zu mischen, stets wie Oel und Wasser neben e marder
schwimmen. Wo die beiden in einer Gesellschaft zusammenkommen,
werden sie entweder in besondere Gruppen sich theilen oder unter


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[0598] Lebe» und Treiben in Leipzig. Man erinnert sich noch an eine der gelungensten Figuren in den „Geheimnissen von Paris" an den ehrlichen Steinschneider, der Jahr aus Jahr ein die edelsten Diamanten verarbeitete und dabei so arm als honett blieb, an jenen fleißigen Morel, der von dem immerwäh¬ renden Handhaben seines Werkzeugs einseitig wurde, und dessen rech¬ ter Arm zu einer musculösen Kraft sich ausbildete, während der ganze übrige Körper schwächlich blieb. Die Stadt Leipzig ist dieser Romanfigur nicht unähnlich. — Welche kostbare Gedankenschätze werden Jahr aus Jahr ein in den Werkstätten des Leipziger Buchhandels verarbeitet, und mit wel¬ cher Ehrlichkeit flieht Leipzig die Versuchung, etwas davon für sich auf die Seite zu bringen! All' die tausend Fremden, welche jährlich durch die Stadt ziehen, mit welcher Pünktlichkeit werden sie wieder dahin ausgeliefert, wohin sie gehören, wie selten hört man, daß einer zu¬ rückgeblieben ! Auch Leipzig ist einseitig geworden durch sein Geschäft und während es den einen Arm zu einer wahren großstädtischen Musculatur ausgebildet hat, ist es in seiner übrigen Structur ganz die kleine Stadt geblieben von ehedem. Sprechen wir ein wenig von der Leipziger Gesellschaft, von jenem innern Verkehr, der den Pulsschlag eines großstädtischen Lebens bildet. Die Leipziger Ge¬ sellschaft besteht aus zwei Factoren: aus der Gelehrtenwelt und aus der Kaufmannschaft; zwei Elemente, die, wie viel Mühe man sich auch gibt, sie zu mischen, stets wie Oel und Wasser neben e marder schwimmen. Wo die beiden in einer Gesellschaft zusammenkommen, werden sie entweder in besondere Gruppen sich theilen oder unter

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/598>, abgerufen am 04.12.2024.