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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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VI.
Notizen.

Russische Noblesse. -- Marlinski's Ammalat-Beck. -- Kabale und Liebe. --
Laube's Struensee. -- Ein Gesinnungsattest. -- Eine Neuigkeit.

-- Ein Zahnarzt aus Berlin war mit der kaiserlich russischen
Suite nach Petersburg gegangen, wo seine Dienste eine Zeit lang in
Anspruch genommen wurden. Bei der Abschiedsaudienz erhielt er die
Weisung, sich vom Haus- und Hofintendanten, einem nationalrusst-
schcn Fürsten, eine Gratification von zehntausend Rubeln zu holen.
Solche kaiserliche Honorare werden in Juwelen ausgezahlt, doch kann
man sie auch in baarem Gelde erhalten, -- gegen einen Rabatt, das
heißt gegen einen Abzug von sieben ein halb Procent! Der Fürst
nahm den Arzt sehr ungnädig auf, raisonnirte im Ton von ">:>, liiiü-
sie envimie ^"r Je8 ^Jtem."als" über die deutschen Schmarotzer, die
den Edelmuth des Kaisers mißbrauchten, um ihn auszuplündern u. s.
w. und warf ihm zuletzt einen Brillantring hin, der keine tausend
Rubel werth war. Der Arzt verstand sich zufällig auf Pretiosen und
bemerkte, seine Verhältnisse erlaubten ihm leider nicht, ein "Souvenir"
anzunehmen und er wünschte lieber baares Geld, gegen den üblichen
Procentabzug.--Dann könne er gar Nichts kriegen, antwortete der Russe
zornig. Der Arzt ging betrübt fort, und Niemand wußte ihm zu ra¬
then. Endlich sagte ihm ein befreundeter Gardeoffizier, er solle ver¬
suchen, ob er das Glück habe, bei irgend einer öffentlichen Veranlas¬
sung vom Kaiser angeredet zu werden. Wirklich gelang dies dem ge¬
prellten Arzt bei einer Militärparade, wo er sich in die erste Reihe
der Zuschauer gestellt hatte. Als er auf die Frage, weshalb er noch
da sei, die Achsel zuckte und zum Sprechen aufgefordert ward, berich¬
tete er offen den ganzen Vorfall. Es läßt sich denken, daß der Kai¬
ser dem armen Teufel zu seinem Gelde verhalf; doch schien Nikolaus
nicht besonders erstaunt oder entrüstet, denn dergleichen Züge russischer
Noblesse sollen selbst in der nächsten Umgebung des Kaisers nicht zu
den Seltenheiten gehören.

-- Marlinski's Erzählungen aus dem Kaukasus sind, so viel
wir wissen, bisher nur durch Bruchstücke bekannt geworden, welche die
Augsburger Allgemeine mittheilte. Und doch sind sie, bei dem allge¬
meinen Interesse, welches der Kampf der freien Bergvölker erweckt,
von doppelter Wichtigkeit, da es eine russische Feder ist, welche das
heroische Leben und Streiten der Bergsöhne mit Bewunderung aus¬
malt. Marlinski ist der Schriftstellername jenes unglücklichen Bestu-
schess, der, nach Kaiser Alexander's Tod in die bekannte Verschwörung


VI.
Notizen.

Russische Noblesse. — Marlinski's Ammalat-Beck. — Kabale und Liebe. —
Laube's Struensee. — Ein Gesinnungsattest. — Eine Neuigkeit.

— Ein Zahnarzt aus Berlin war mit der kaiserlich russischen
Suite nach Petersburg gegangen, wo seine Dienste eine Zeit lang in
Anspruch genommen wurden. Bei der Abschiedsaudienz erhielt er die
Weisung, sich vom Haus- und Hofintendanten, einem nationalrusst-
schcn Fürsten, eine Gratification von zehntausend Rubeln zu holen.
Solche kaiserliche Honorare werden in Juwelen ausgezahlt, doch kann
man sie auch in baarem Gelde erhalten, — gegen einen Rabatt, das
heißt gegen einen Abzug von sieben ein halb Procent! Der Fürst
nahm den Arzt sehr ungnädig auf, raisonnirte im Ton von „>:>, liiiü-
sie envimie ^»r Je8 ^Jtem.»als" über die deutschen Schmarotzer, die
den Edelmuth des Kaisers mißbrauchten, um ihn auszuplündern u. s.
w. und warf ihm zuletzt einen Brillantring hin, der keine tausend
Rubel werth war. Der Arzt verstand sich zufällig auf Pretiosen und
bemerkte, seine Verhältnisse erlaubten ihm leider nicht, ein „Souvenir"
anzunehmen und er wünschte lieber baares Geld, gegen den üblichen
Procentabzug.—Dann könne er gar Nichts kriegen, antwortete der Russe
zornig. Der Arzt ging betrübt fort, und Niemand wußte ihm zu ra¬
then. Endlich sagte ihm ein befreundeter Gardeoffizier, er solle ver¬
suchen, ob er das Glück habe, bei irgend einer öffentlichen Veranlas¬
sung vom Kaiser angeredet zu werden. Wirklich gelang dies dem ge¬
prellten Arzt bei einer Militärparade, wo er sich in die erste Reihe
der Zuschauer gestellt hatte. Als er auf die Frage, weshalb er noch
da sei, die Achsel zuckte und zum Sprechen aufgefordert ward, berich¬
tete er offen den ganzen Vorfall. Es läßt sich denken, daß der Kai¬
ser dem armen Teufel zu seinem Gelde verhalf; doch schien Nikolaus
nicht besonders erstaunt oder entrüstet, denn dergleichen Züge russischer
Noblesse sollen selbst in der nächsten Umgebung des Kaisers nicht zu
den Seltenheiten gehören.

— Marlinski's Erzählungen aus dem Kaukasus sind, so viel
wir wissen, bisher nur durch Bruchstücke bekannt geworden, welche die
Augsburger Allgemeine mittheilte. Und doch sind sie, bei dem allge¬
meinen Interesse, welches der Kampf der freien Bergvölker erweckt,
von doppelter Wichtigkeit, da es eine russische Feder ist, welche das
heroische Leben und Streiten der Bergsöhne mit Bewunderung aus¬
malt. Marlinski ist der Schriftstellername jenes unglücklichen Bestu-
schess, der, nach Kaiser Alexander's Tod in die bekannte Verschwörung


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[0386] VI. Notizen. Russische Noblesse. — Marlinski's Ammalat-Beck. — Kabale und Liebe. — Laube's Struensee. — Ein Gesinnungsattest. — Eine Neuigkeit. — Ein Zahnarzt aus Berlin war mit der kaiserlich russischen Suite nach Petersburg gegangen, wo seine Dienste eine Zeit lang in Anspruch genommen wurden. Bei der Abschiedsaudienz erhielt er die Weisung, sich vom Haus- und Hofintendanten, einem nationalrusst- schcn Fürsten, eine Gratification von zehntausend Rubeln zu holen. Solche kaiserliche Honorare werden in Juwelen ausgezahlt, doch kann man sie auch in baarem Gelde erhalten, — gegen einen Rabatt, das heißt gegen einen Abzug von sieben ein halb Procent! Der Fürst nahm den Arzt sehr ungnädig auf, raisonnirte im Ton von „>:>, liiiü- sie envimie ^»r Je8 ^Jtem.»als" über die deutschen Schmarotzer, die den Edelmuth des Kaisers mißbrauchten, um ihn auszuplündern u. s. w. und warf ihm zuletzt einen Brillantring hin, der keine tausend Rubel werth war. Der Arzt verstand sich zufällig auf Pretiosen und bemerkte, seine Verhältnisse erlaubten ihm leider nicht, ein „Souvenir" anzunehmen und er wünschte lieber baares Geld, gegen den üblichen Procentabzug.—Dann könne er gar Nichts kriegen, antwortete der Russe zornig. Der Arzt ging betrübt fort, und Niemand wußte ihm zu ra¬ then. Endlich sagte ihm ein befreundeter Gardeoffizier, er solle ver¬ suchen, ob er das Glück habe, bei irgend einer öffentlichen Veranlas¬ sung vom Kaiser angeredet zu werden. Wirklich gelang dies dem ge¬ prellten Arzt bei einer Militärparade, wo er sich in die erste Reihe der Zuschauer gestellt hatte. Als er auf die Frage, weshalb er noch da sei, die Achsel zuckte und zum Sprechen aufgefordert ward, berich¬ tete er offen den ganzen Vorfall. Es läßt sich denken, daß der Kai¬ ser dem armen Teufel zu seinem Gelde verhalf; doch schien Nikolaus nicht besonders erstaunt oder entrüstet, denn dergleichen Züge russischer Noblesse sollen selbst in der nächsten Umgebung des Kaisers nicht zu den Seltenheiten gehören. — Marlinski's Erzählungen aus dem Kaukasus sind, so viel wir wissen, bisher nur durch Bruchstücke bekannt geworden, welche die Augsburger Allgemeine mittheilte. Und doch sind sie, bei dem allge¬ meinen Interesse, welches der Kampf der freien Bergvölker erweckt, von doppelter Wichtigkeit, da es eine russische Feder ist, welche das heroische Leben und Streiten der Bergsöhne mit Bewunderung aus¬ malt. Marlinski ist der Schriftstellername jenes unglücklichen Bestu- schess, der, nach Kaiser Alexander's Tod in die bekannte Verschwörung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/386>, abgerufen am 04.12.2024.