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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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i.
Aus Wien.

Oesterreich und dessen Zukunft. -- Arbeiterunruhen, russisch-panslavistisch-com-
munistisch-diplomatische Coulissenspiele. -- Duncker in Böhmen und sein rus¬
sischer Brillantring. -- Czapka, die Journalistik, das Domcapitel und die
Wiener Brunnen. -- Mozart's Familie.

Ein Theil dessen, was der Verfasser von "Oesterreich und dessen
Zukunft", als patriotischer Hellseher geweissagt, ist denn nun richtig
in Erfüllung gegangen. Der materielle Nimbus des leiblichen Wohl¬
lebens, der Glanz des Genusses, der bisher in den Augen des Aus¬
landes das rothbackige Haupt der gutgenährten Austria umgab, ist fast in
Nichts zerflossen, und alle Welt kennt nun das sorgfältig verwahrte
Geheimniß, daß auch in dem patriarchalischen Oesterreich die Leute
hungern können. Ja, das ist es, was die Wichtigkeit der Prager
Vorgange ausmacht, nicht das Bischen Blut, das schon oft bei ge¬
ringeren Anlässen, bei Wirthshausbalgereien und Straßentumulten
geflossen ist, nein, das Geständniß, auch in dem classischen Lande der
Phäaken, wo sich ewig der Spieß am Heerde dreht, ist der Dämon
des Pauperismus erschienen, hat den rothen Mantel zurückgeschlagen
und dem erschreckten Volk die klappernden Rippen und die fleischlose
Brust gewiesen.

Dem herrschenden System konnte Nichts unangenehmer sein, als
eine solche nackte statistische Thatsache, die man keinen Emissären,
keiner Preßfreiheit, keinen revolutionären Factionen in den Schuh
schieben kann, eine Thatsache, die man für keine Lüge erklären, und
die sich nicht einmal berichtigen läßt. Wo soll man in Zukunft die "
schlagenden Gründe hernehmen, mit welchen man im Angesichte Deutsch¬
lands den Völkern beweisen konnte, daß die repräsentativen Verfassun¬
gen nur zu einer endlosen Vermehrung der Steuerlast führen, und
die Weisheit einer väterlichen Regierung allein im Stande sei, den


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i.
Aus Wien.

Oesterreich und dessen Zukunft. — Arbeiterunruhen, russisch-panslavistisch-com-
munistisch-diplomatische Coulissenspiele. — Duncker in Böhmen und sein rus¬
sischer Brillantring. — Czapka, die Journalistik, das Domcapitel und die
Wiener Brunnen. — Mozart's Familie.

Ein Theil dessen, was der Verfasser von „Oesterreich und dessen
Zukunft", als patriotischer Hellseher geweissagt, ist denn nun richtig
in Erfüllung gegangen. Der materielle Nimbus des leiblichen Wohl¬
lebens, der Glanz des Genusses, der bisher in den Augen des Aus¬
landes das rothbackige Haupt der gutgenährten Austria umgab, ist fast in
Nichts zerflossen, und alle Welt kennt nun das sorgfältig verwahrte
Geheimniß, daß auch in dem patriarchalischen Oesterreich die Leute
hungern können. Ja, das ist es, was die Wichtigkeit der Prager
Vorgange ausmacht, nicht das Bischen Blut, das schon oft bei ge¬
ringeren Anlässen, bei Wirthshausbalgereien und Straßentumulten
geflossen ist, nein, das Geständniß, auch in dem classischen Lande der
Phäaken, wo sich ewig der Spieß am Heerde dreht, ist der Dämon
des Pauperismus erschienen, hat den rothen Mantel zurückgeschlagen
und dem erschreckten Volk die klappernden Rippen und die fleischlose
Brust gewiesen.

Dem herrschenden System konnte Nichts unangenehmer sein, als
eine solche nackte statistische Thatsache, die man keinen Emissären,
keiner Preßfreiheit, keinen revolutionären Factionen in den Schuh
schieben kann, eine Thatsache, die man für keine Lüge erklären, und
die sich nicht einmal berichtigen läßt. Wo soll man in Zukunft die "
schlagenden Gründe hernehmen, mit welchen man im Angesichte Deutsch¬
lands den Völkern beweisen konnte, daß die repräsentativen Verfassun¬
gen nur zu einer endlosen Vermehrung der Steuerlast führen, und
die Weisheit einer väterlichen Regierung allein im Stande sei, den


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[0430] T a g e b u rh. i. Aus Wien. Oesterreich und dessen Zukunft. — Arbeiterunruhen, russisch-panslavistisch-com- munistisch-diplomatische Coulissenspiele. — Duncker in Böhmen und sein rus¬ sischer Brillantring. — Czapka, die Journalistik, das Domcapitel und die Wiener Brunnen. — Mozart's Familie. Ein Theil dessen, was der Verfasser von „Oesterreich und dessen Zukunft", als patriotischer Hellseher geweissagt, ist denn nun richtig in Erfüllung gegangen. Der materielle Nimbus des leiblichen Wohl¬ lebens, der Glanz des Genusses, der bisher in den Augen des Aus¬ landes das rothbackige Haupt der gutgenährten Austria umgab, ist fast in Nichts zerflossen, und alle Welt kennt nun das sorgfältig verwahrte Geheimniß, daß auch in dem patriarchalischen Oesterreich die Leute hungern können. Ja, das ist es, was die Wichtigkeit der Prager Vorgange ausmacht, nicht das Bischen Blut, das schon oft bei ge¬ ringeren Anlässen, bei Wirthshausbalgereien und Straßentumulten geflossen ist, nein, das Geständniß, auch in dem classischen Lande der Phäaken, wo sich ewig der Spieß am Heerde dreht, ist der Dämon des Pauperismus erschienen, hat den rothen Mantel zurückgeschlagen und dem erschreckten Volk die klappernden Rippen und die fleischlose Brust gewiesen. Dem herrschenden System konnte Nichts unangenehmer sein, als eine solche nackte statistische Thatsache, die man keinen Emissären, keiner Preßfreiheit, keinen revolutionären Factionen in den Schuh schieben kann, eine Thatsache, die man für keine Lüge erklären, und die sich nicht einmal berichtigen läßt. Wo soll man in Zukunft die " schlagenden Gründe hernehmen, mit welchen man im Angesichte Deutsch¬ lands den Völkern beweisen konnte, daß die repräsentativen Verfassun¬ gen nur zu einer endlosen Vermehrung der Steuerlast führen, und die Weisheit einer väterlichen Regierung allein im Stande sei, den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/430>, abgerufen am 03.07.2024.