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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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Sonst gibt es für heute nichts Interessantes in Bezug auf Li¬
teratur und Literaten, es wäre denn die Errichtung des großen Lese¬
institutes der Herren Perthes, Besser, Maule, wo man sich für we¬
nige Mark jährlich den Kopf dumpf und stumpf zu lesen vermag,
obwohl sich die Auswahl nur auf deutsche, französische und englische
Journale, Nevues und Bücher beschränkt. -- Campe, der einzige un¬
serer Buchhändler, welcher etwas Namhaftes unternimmt, soll wieder
verschiedene Schwärmer und Raketen zum Absender bereit halten. Ich
weiß nicht, ob die glückliche Langschläferin Austria wieder durch Cam-
pe'sche Rippenstöße ein Weniges geweckt werden soll. Ein neuer Band .
Heine'scher Gedichte ist hingegen bestimmt unter der Presse, und eine !
Broschüre über das traurige Loos der russischen Grenzjuden.


^ 'c?
Notizen.

Der Brand von Moskau eine Mythe! -- Der Eremit v. Gauting gegen die
Tscherkessen. -- Die deutsche Einheit und der ewige Jude. -- Deutsche'Hiebe.

-- Der vielbesungene, in allen Panoramen verherrlichte, in allen
Schulen tradirte und mit antiken Glanzthaten des Patriotismus ver¬
glichene Brand von Moskau, ist nach Treumund Welp (s. dessen
neueste Petersb. Skizzen) nicht mehr und nicht weniger als eine
Mythe, im allermodernsten Sinne des Wortes. Welp läugnet natür¬
lich nicht, daß Moskau während der französischen Occupation abge¬
brannt ist, wohl aber, daß der russische Patriotismus es war, der
in altskythischer Weise, selber die heilige Stadt angezündet; und man
muß gestehen, daß Welp seine Behauptung mit guten Gründen zu
stützen weiß. Zuerst wurde er durch die Aeußerungen vieler älteren
Russen gegen die Tradition mißtrauisch, zur moralischen Ueberzeugung
aber ward sein Unglaube durch einige Umstände, die in der That
vom größten Gewicht sind. In Petersburg war man bei der Nach¬
richt vom Ausbruch des Brandes eben so bestürzt, wo nicht mehr,
wie Napoleon; die Stimmung war so kleinmüthig, daß der französi¬
sche Kaiser, wäre er unterrichtet gewesen, den vortheilhaftesten
Frieden hätte dictiren können. Von einem Plan war also keine Spur,
davon abgesehen, daß ein so heroischer Entschluß gar nicht in dem
weichen und schwankenden Charakter Alexander's lag. Man müßte
annehmen, daß der Held der Tradition, Rostopschin, auf eigene Faust
die That wagte. Allein Rostopschin war anfangs ebenfalls entsetzt
und wüthend über die Brandlegung, wie er auch später den Ruhm
als eine Schuld von sich abzuwälzen suchte; überhaupt schien anfangs
weder Rostopschin, noch Alexander, noch das russische Volk die Fol¬
gen des Brandes voraus zu sehen oder nur zu ahnen; vielmehr hielt
man die Franzosen selbst für die vandalischen Urheber dieses Ratlo-


Sonst gibt es für heute nichts Interessantes in Bezug auf Li¬
teratur und Literaten, es wäre denn die Errichtung des großen Lese¬
institutes der Herren Perthes, Besser, Maule, wo man sich für we¬
nige Mark jährlich den Kopf dumpf und stumpf zu lesen vermag,
obwohl sich die Auswahl nur auf deutsche, französische und englische
Journale, Nevues und Bücher beschränkt. — Campe, der einzige un¬
serer Buchhändler, welcher etwas Namhaftes unternimmt, soll wieder
verschiedene Schwärmer und Raketen zum Absender bereit halten. Ich
weiß nicht, ob die glückliche Langschläferin Austria wieder durch Cam-
pe'sche Rippenstöße ein Weniges geweckt werden soll. Ein neuer Band .
Heine'scher Gedichte ist hingegen bestimmt unter der Presse, und eine !
Broschüre über das traurige Loos der russischen Grenzjuden.


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Notizen.

Der Brand von Moskau eine Mythe! — Der Eremit v. Gauting gegen die
Tscherkessen. — Die deutsche Einheit und der ewige Jude. — Deutsche'Hiebe.

— Der vielbesungene, in allen Panoramen verherrlichte, in allen
Schulen tradirte und mit antiken Glanzthaten des Patriotismus ver¬
glichene Brand von Moskau, ist nach Treumund Welp (s. dessen
neueste Petersb. Skizzen) nicht mehr und nicht weniger als eine
Mythe, im allermodernsten Sinne des Wortes. Welp läugnet natür¬
lich nicht, daß Moskau während der französischen Occupation abge¬
brannt ist, wohl aber, daß der russische Patriotismus es war, der
in altskythischer Weise, selber die heilige Stadt angezündet; und man
muß gestehen, daß Welp seine Behauptung mit guten Gründen zu
stützen weiß. Zuerst wurde er durch die Aeußerungen vieler älteren
Russen gegen die Tradition mißtrauisch, zur moralischen Ueberzeugung
aber ward sein Unglaube durch einige Umstände, die in der That
vom größten Gewicht sind. In Petersburg war man bei der Nach¬
richt vom Ausbruch des Brandes eben so bestürzt, wo nicht mehr,
wie Napoleon; die Stimmung war so kleinmüthig, daß der französi¬
sche Kaiser, wäre er unterrichtet gewesen, den vortheilhaftesten
Frieden hätte dictiren können. Von einem Plan war also keine Spur,
davon abgesehen, daß ein so heroischer Entschluß gar nicht in dem
weichen und schwankenden Charakter Alexander's lag. Man müßte
annehmen, daß der Held der Tradition, Rostopschin, auf eigene Faust
die That wagte. Allein Rostopschin war anfangs ebenfalls entsetzt
und wüthend über die Brandlegung, wie er auch später den Ruhm
als eine Schuld von sich abzuwälzen suchte; überhaupt schien anfangs
weder Rostopschin, noch Alexander, noch das russische Volk die Fol¬
gen des Brandes voraus zu sehen oder nur zu ahnen; vielmehr hielt
man die Franzosen selbst für die vandalischen Urheber dieses Ratlo-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/197>, abgerufen am 22.12.2024.