Politische Rückblicke. Deutsche Vor^ und Rückschritte im Jahre 1843.
^^^^^^^^^ .^11^^ .^.^^^.^^ ..^ ^^.^^^ ^^^^^^ ^ ^^^^ ^^l^^ ^^.^ ^^^^ ^^.^^.^^^^^^ Zwei ganz entgegengesetzte Regierungssysteme streiten sieh in En-- ropa um die ^physische und geistige Hegemonie. Während man im Westen freiwillig, oder durch die Umstände gezwungen, entschieden dem öffentlichen Staatsleben huldigt, gsaubt man im entfernten Osten durch eine geheime Regierungsform die größte Macht erzeugen und zusammenhalten zu können. Beide Systeme stehen sich feindlich seit langer Zeit gegenüber und es liegt in der Natur der Sache, daß sie mit der Zeit, wenn eine naturgemäße Ausgleichung nicht eintritt, in Conflict gerathen .müssen. Mitten in diesem europäischen Dualis-- mus steht nnn Dentschland, das in dem letzten Vierteliahrhundert seine innere Organisation auffallend vernachlässigt hat, noch immer schwankend, ob es dem westlichen oder dem östlichen Regierungs- system folgen soll. Das Volk, d. h. die denkende Masse, neigt sich unverkennbar zum erstern, während die Beamten der Regierungen, jeder öffentlichen und volksthümlichen Controle abhold, l^ieber dem letzteren folgen möchten. Es war für Deutschland ein offenkundiges Unglück, daß Napoleon nach den Bedingungen des Congresses von Chatillon nicht Fran^kreich als Königreich nach den alten Grenzen an- genommen hat. Wie schnell hätte sich dann nicht das träumende und philosophirende Dentschland im Angesicht des großen ^Feldherrn, dessen harte Mißhandlungen es noch im frischen Andenken hatte, neu und auf eine volksthümliche Weife organisirt! Unse.re jetzige Lage ist aber noch schlimmer als damals. Wir stehen nicht mehr eine^in geschlagenen Soldaten -Kaiser, dessen glänzender Stern auf den Fel- dern von Leipzig und Waterloo verblichen ist, sondern dem ganzen Westen gegenüber, der im Besitz eines öffentlichen Staatslebens und einer nationalen Repräsentation eine unberechenbare Kraft zu ent-
Grenzboten 1844. I.
Politische Rückblicke. Deutsche Vor^ und Rückschritte im Jahre 1843.
^^^^^^^^^ .^11^^ .^.^^^.^^ ..^ ^^.^^^ ^^^^^^ ^ ^^^^ ^^l^^ ^^.^ ^^^^ ^^.^^.^^^^^^ Zwei ganz entgegengesetzte Regierungssysteme streiten sieh in En-- ropa um die ^physische und geistige Hegemonie. Während man im Westen freiwillig, oder durch die Umstände gezwungen, entschieden dem öffentlichen Staatsleben huldigt, gsaubt man im entfernten Osten durch eine geheime Regierungsform die größte Macht erzeugen und zusammenhalten zu können. Beide Systeme stehen sich feindlich seit langer Zeit gegenüber und es liegt in der Natur der Sache, daß sie mit der Zeit, wenn eine naturgemäße Ausgleichung nicht eintritt, in Conflict gerathen .müssen. Mitten in diesem europäischen Dualis-- mus steht nnn Dentschland, das in dem letzten Vierteliahrhundert seine innere Organisation auffallend vernachlässigt hat, noch immer schwankend, ob es dem westlichen oder dem östlichen Regierungs- system folgen soll. Das Volk, d. h. die denkende Masse, neigt sich unverkennbar zum erstern, während die Beamten der Regierungen, jeder öffentlichen und volksthümlichen Controle abhold, l^ieber dem letzteren folgen möchten. Es war für Deutschland ein offenkundiges Unglück, daß Napoleon nach den Bedingungen des Congresses von Chatillon nicht Fran^kreich als Königreich nach den alten Grenzen an- genommen hat. Wie schnell hätte sich dann nicht das träumende und philosophirende Dentschland im Angesicht des großen ^Feldherrn, dessen harte Mißhandlungen es noch im frischen Andenken hatte, neu und auf eine volksthümliche Weife organisirt! Unse.re jetzige Lage ist aber noch schlimmer als damals. Wir stehen nicht mehr eine^in geschlagenen Soldaten -Kaiser, dessen glänzender Stern auf den Fel- dern von Leipzig und Waterloo verblichen ist, sondern dem ganzen Westen gegenüber, der im Besitz eines öffentlichen Staatslebens und einer nationalen Repräsentation eine unberechenbare Kraft zu ent-
Grenzboten 1844. I.
<TEI><text><body><div><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0009"corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/179722"/></div></div><divn="1"><head> Politische Rückblicke.<lb/>
Deutsche Vor^ und Rückschritte im Jahre 1843.</head><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><pxml:id="ID_7"next="#ID_8"> ^^^^^^^^^ .^11^^ .^.^^^.^^ ..^ ^^.^^^ ^^^^^^ ^ ^^^^ ^^l^^ ^^.^ ^^^^ ^^.^^.^^^^^^<lb/>
Zwei ganz entgegengesetzte Regierungssysteme streiten sieh in En--<lb/>
ropa um die ^physische und geistige Hegemonie. Während man im<lb/>
Westen freiwillig, oder durch die Umstände gezwungen, entschieden<lb/>
dem öffentlichen Staatsleben huldigt, gsaubt man im entfernten Osten<lb/>
durch eine geheime Regierungsform die größte Macht erzeugen<lb/>
und zusammenhalten zu können. Beide Systeme stehen sich feindlich<lb/>
seit langer Zeit gegenüber und es liegt in der Natur der Sache, daß<lb/>
sie mit der Zeit, wenn eine naturgemäße Ausgleichung nicht eintritt,<lb/>
in Conflict gerathen .müssen. Mitten in diesem europäischen Dualis--<lb/>
mus steht nnn Dentschland, das in dem letzten Vierteliahrhundert<lb/>
seine innere Organisation auffallend vernachlässigt hat, noch immer<lb/>
schwankend, ob es dem westlichen oder dem östlichen Regierungs-<lb/>
system folgen soll. Das Volk, d. h. die denkende Masse, neigt sich<lb/>
unverkennbar zum erstern, während die Beamten der Regierungen,<lb/>
jeder öffentlichen und volksthümlichen Controle abhold, l^ieber dem<lb/>
letzteren folgen möchten. Es war für Deutschland ein offenkundiges<lb/>
Unglück, daß Napoleon nach den Bedingungen des Congresses von<lb/>
Chatillon nicht Fran^kreich als Königreich nach den alten Grenzen an-<lb/>
genommen hat. Wie schnell hätte sich dann nicht das träumende<lb/>
und philosophirende Dentschland im Angesicht des großen ^Feldherrn,<lb/>
dessen harte Mißhandlungen es noch im frischen Andenken hatte, neu<lb/>
und auf eine volksthümliche Weife organisirt! Unse.re jetzige Lage<lb/>
ist aber noch schlimmer als damals. Wir stehen nicht mehr eine^in<lb/>
geschlagenen Soldaten -Kaiser, dessen glänzender Stern auf den Fel-<lb/>
dern von Leipzig und Waterloo verblichen ist, sondern dem ganzen<lb/>
Westen gegenüber, der im Besitz eines öffentlichen Staatslebens und<lb/>
einer nationalen Repräsentation eine unberechenbare Kraft zu ent-</p><lb/><fwplace="bottom"type="sig"> Grenzboten 1844. I.</fw><lb/></div></div></body></text></TEI>
[0009]
Politische Rückblicke.
Deutsche Vor^ und Rückschritte im Jahre 1843.
^^^^^^^^^ .^11^^ .^.^^^.^^ ..^ ^^.^^^ ^^^^^^ ^ ^^^^ ^^l^^ ^^.^ ^^^^ ^^.^^.^^^^^^
Zwei ganz entgegengesetzte Regierungssysteme streiten sieh in En--
ropa um die ^physische und geistige Hegemonie. Während man im
Westen freiwillig, oder durch die Umstände gezwungen, entschieden
dem öffentlichen Staatsleben huldigt, gsaubt man im entfernten Osten
durch eine geheime Regierungsform die größte Macht erzeugen
und zusammenhalten zu können. Beide Systeme stehen sich feindlich
seit langer Zeit gegenüber und es liegt in der Natur der Sache, daß
sie mit der Zeit, wenn eine naturgemäße Ausgleichung nicht eintritt,
in Conflict gerathen .müssen. Mitten in diesem europäischen Dualis--
mus steht nnn Dentschland, das in dem letzten Vierteliahrhundert
seine innere Organisation auffallend vernachlässigt hat, noch immer
schwankend, ob es dem westlichen oder dem östlichen Regierungs-
system folgen soll. Das Volk, d. h. die denkende Masse, neigt sich
unverkennbar zum erstern, während die Beamten der Regierungen,
jeder öffentlichen und volksthümlichen Controle abhold, l^ieber dem
letzteren folgen möchten. Es war für Deutschland ein offenkundiges
Unglück, daß Napoleon nach den Bedingungen des Congresses von
Chatillon nicht Fran^kreich als Königreich nach den alten Grenzen an-
genommen hat. Wie schnell hätte sich dann nicht das träumende
und philosophirende Dentschland im Angesicht des großen ^Feldherrn,
dessen harte Mißhandlungen es noch im frischen Andenken hatte, neu
und auf eine volksthümliche Weife organisirt! Unse.re jetzige Lage
ist aber noch schlimmer als damals. Wir stehen nicht mehr eine^in
geschlagenen Soldaten -Kaiser, dessen glänzender Stern auf den Fel-
dern von Leipzig und Waterloo verblichen ist, sondern dem ganzen
Westen gegenüber, der im Besitz eines öffentlichen Staatslebens und
einer nationalen Repräsentation eine unberechenbare Kraft zu ent-
Grenzboten 1844. I.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:
Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.
Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;
Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/9>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.