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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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Der deutsche Adel als Lesepublicum.



Niemals gab es in der deutschen Literatur so viel Adel als
jetzt, und doch war die deutsche Literatur niemals so wcmg unter dem
Adel als eben wieder jetzt. Ueberschaut die schöngeistigen Produk¬
tionen, unter drei Verfassern ist der eine ein Adeliger; tretet in den
Buchladen, unter zwölf Käufern sind eilf Bürgerliche. Der denk,che
Adel sieht scheel und mürrisch drein, wenn die Regierung irgend
einem närrischen, aber fleißigen Industrien,ann, der dre Schwachheit
hat, mit einem "von" prunken zu wollen, das gewünschte Spielzeug
schenkt, aber er vergißt, daß der neue Eindringling nur Revanche
nimmt dafür, daß so viele Adelige in seinen Stand sich eingedrängt
haben. In den vorigen Jahrhunderten war der Grand Setgmur
Consument; er ließ seinen Reichthum, seine Revenüen unter die flei¬
ßigen Bürger fließen, er war der Käufer für all die LmuSdmgc in
dessen Magazinen; sein waren die kostbaren Gemäldegalerien, die
machtvollen Privatbibliotheken, er Halle seine Musikkapelle, wie er
Wne Hauölieseranten hatte. Er drückte vornehm lächelnd das Auge
5", wenn man ihn einen Gegenstand theurer bezahlen ließ, ja er
suchte seinen Stolz darin, daß'er überzahlte; diesem Grand Seigneur
ließ man seine Grandezza gerne, er war beliebt bei dem fleißigen
Krämer und Handwerker, der von ihm lebte. Nun aber hat er eine
andere Richtung genommen. Er wetteifert mit dem Bürgerlichen an
Sparsamkeit, an Knickerei sogar. Wo man früher von "fürstlicher
Pwcht" sprach, bedient
weit wohlfeiler ist. D,
man die Frau Gräfin i
ihre Einkäufe selbst beso
bei Banquiers n"d Großhändlern. Die Privatkapcllmcilter wcrvcn
u ein Thaler das Billet, angehört, oder noch häufiger gar nicht ge
hört. Noch findet man in den alten Palais die Prachtbibliothelen


Der deutsche Adel als Lesepublicum.



Niemals gab es in der deutschen Literatur so viel Adel als
jetzt, und doch war die deutsche Literatur niemals so wcmg unter dem
Adel als eben wieder jetzt. Ueberschaut die schöngeistigen Produk¬
tionen, unter drei Verfassern ist der eine ein Adeliger; tretet in den
Buchladen, unter zwölf Käufern sind eilf Bürgerliche. Der denk,che
Adel sieht scheel und mürrisch drein, wenn die Regierung irgend
einem närrischen, aber fleißigen Industrien,ann, der dre Schwachheit
hat, mit einem „von" prunken zu wollen, das gewünschte Spielzeug
schenkt, aber er vergißt, daß der neue Eindringling nur Revanche
nimmt dafür, daß so viele Adelige in seinen Stand sich eingedrängt
haben. In den vorigen Jahrhunderten war der Grand Setgmur
Consument; er ließ seinen Reichthum, seine Revenüen unter die flei¬
ßigen Bürger fließen, er war der Käufer für all die LmuSdmgc in
dessen Magazinen; sein waren die kostbaren Gemäldegalerien, die
machtvollen Privatbibliotheken, er Halle seine Musikkapelle, wie er
Wne Hauölieseranten hatte. Er drückte vornehm lächelnd das Auge
5", wenn man ihn einen Gegenstand theurer bezahlen ließ, ja er
suchte seinen Stolz darin, daß'er überzahlte; diesem Grand Seigneur
ließ man seine Grandezza gerne, er war beliebt bei dem fleißigen
Krämer und Handwerker, der von ihm lebte. Nun aber hat er eine
andere Richtung genommen. Er wetteifert mit dem Bürgerlichen an
Sparsamkeit, an Knickerei sogar. Wo man früher von „fürstlicher
Pwcht" sprach, bedient
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ihre Einkäufe selbst beso
bei Banquiers n»d Großhändlern. Die Privatkapcllmcilter wcrvcn
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hört. Noch findet man in den alten Palais die Prachtbibliothelen


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[0027] Der deutsche Adel als Lesepublicum. Niemals gab es in der deutschen Literatur so viel Adel als jetzt, und doch war die deutsche Literatur niemals so wcmg unter dem Adel als eben wieder jetzt. Ueberschaut die schöngeistigen Produk¬ tionen, unter drei Verfassern ist der eine ein Adeliger; tretet in den Buchladen, unter zwölf Käufern sind eilf Bürgerliche. Der denk,che Adel sieht scheel und mürrisch drein, wenn die Regierung irgend einem närrischen, aber fleißigen Industrien,ann, der dre Schwachheit hat, mit einem „von" prunken zu wollen, das gewünschte Spielzeug schenkt, aber er vergißt, daß der neue Eindringling nur Revanche nimmt dafür, daß so viele Adelige in seinen Stand sich eingedrängt haben. In den vorigen Jahrhunderten war der Grand Setgmur Consument; er ließ seinen Reichthum, seine Revenüen unter die flei¬ ßigen Bürger fließen, er war der Käufer für all die LmuSdmgc in dessen Magazinen; sein waren die kostbaren Gemäldegalerien, die machtvollen Privatbibliotheken, er Halle seine Musikkapelle, wie er Wne Hauölieseranten hatte. Er drückte vornehm lächelnd das Auge 5", wenn man ihn einen Gegenstand theurer bezahlen ließ, ja er suchte seinen Stolz darin, daß'er überzahlte; diesem Grand Seigneur ließ man seine Grandezza gerne, er war beliebt bei dem fleißigen Krämer und Handwerker, der von ihm lebte. Nun aber hat er eine andere Richtung genommen. Er wetteifert mit dem Bürgerlichen an Sparsamkeit, an Knickerei sogar. Wo man früher von „fürstlicher Pwcht" sprach, bedient weit wohlfeiler ist. D, man die Frau Gräfin i ihre Einkäufe selbst beso bei Banquiers n»d Großhändlern. Die Privatkapcllmcilter wcrvcn u ein Thaler das Billet, angehört, oder noch häufiger gar nicht ge hört. Noch findet man in den alten Palais die Prachtbibliothelen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/27>, abgerufen am 22.07.2024.