Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.Wiener Aesthcrttcr, Das brannte ästhetische Lericon von JeittelcS hat einen Rivalen bekommen; Der kleine Kaminfcgcr der Königin Victoria, Im Grunde machen unsere theuren Freunde, die Engländer, allzustarken Ge--' Wiener Aesthcrttcr, Das brannte ästhetische Lericon von JeittelcS hat einen Rivalen bekommen; Der kleine Kaminfcgcr der Königin Victoria, Im Grunde machen unsere theuren Freunde, die Engländer, allzustarken Ge--' <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0202" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/267416"/> </div> <div n="2"> <head> Wiener Aesthcrttcr,</head><lb/> <p xml:id="ID_911"> Das brannte ästhetische Lericon von JeittelcS hat einen Rivalen bekommen;<lb/> es istdicß die «Encyklopädie der ästhetischen Wissenschaft von Dr.Hebenstreit," Gleich¬<lb/> falls ein wiener Produkt. Ob von Wien aus das ästhetische Heil überhaupt aus¬<lb/> gehen wird, zwciflen wir sehr. Die wiener Lyriker sind neben den schwäbischen<lb/> offenbar die kernigsten der Nation; das wiener Volksstück ist in Deutschland ohne<lb/> Nebenbuhler, und rS wird erst die Zeit kommen, wo man die Bedeutung des»<lb/> selben erkennen wird. Aber die wiener Kritik kann nie Norm für die ästhetische<lb/> Wissenschaft von ganz Deutschland werden, weil sie von einseitigen Standpunkten,<lb/> von veralteten Traditionen ausgeht, und den localen Verhältnissen nach ausgehen<lb/> muß. Die Aesthetik als Wissenschaft ist uns der Gliederkette einer systematischen<lb/> Philosophie nicht herauszureißen. Wien aber ist bekanntlich kein fruchtbarer Boden<lb/> für die Philosophse überhaupt und für die neuere insbesondere. Es klingt daher<lb/> etwas komisch, wenn der Versasser in einer Buchhändler-Reclame sich auf seine<lb/> Beurtheilung der Müllnerschcn und Z. Wernerschem Dramen beruft (eS ist dieß<lb/> etwas lang her!) und behauptet, daß sie schon vor zwanzig Jahren für die<lb/> Tragödie ein Prinzip in Anspruch nehmen, welches in neuester Zeit von Bischer<lb/> und Hegel als das einzig genügende anerkannt wurde.</p><lb/> </div> <div n="2"> <head> Der kleine Kaminfcgcr der Königin Victoria,</head><lb/> <p xml:id="ID_912"> Im Grunde machen unsere theuren Freunde, die Engländer, allzustarken Ge--'<lb/> brauch von diesem Kaminfeger. Als der kleine, i>n Schlafgemache dcrKönigin versteckte<lb/> John zum Erstenmale in den englischen Jvurnalnotizen erschien, sagte man allent¬<lb/> halben: M, das ist allerliebst!« Viele haben sogar darüber gelacht. Das zweite<lb/> Mal sagte man, wieder:,, «Ho ho, der kleine John ist wieder da; Sonderbar!«<lb/> Man lachte weniger; aber man lachte doch. Das dritte Mal machte man alle mög¬<lb/> liche Anstaltenzum Lachen/ aber es ging nicht mehr. Nichtsdestoweniger, theure In¬<lb/> sulaner, seid Ihr auf dem Wege der Kaminsegerci und Beharrlichkeit fortgeschritten.<lb/> Dank Euren zähen Federn, der kleine John ist erschienen und wiedcrcrschicncn vier¬<lb/> mal, sechsmal, zehnmal, hundertmal. Das ist zu stark! Ihr habt bereits alle<lb/> Formen erschöpft, alle Schubladen des Puffs ausgeleert. Wo hatte sich nicht der<lb/> kleine John überall schon hinversteckt? In eine Garderobe, in einen Ofen, in einen-<lb/> Sccrctair, in eine Marrazzc, in einen Koffer; Ihr habt ihn bereits über ein duz«<lb/> zend Mal arretiren, einkerkern, richten, verurtheilen lassen, ja ich glaube, Ihr habt<lb/> ihn schon nach Botanv-Bav deportirt. ES bleibt Euch nichts übrig als ihn umzu¬<lb/> bringen. Wir bitten inständigst,, bringt ihn doch gefälligst um. Aber Ihr hört<lb/> unsere Bitten nicht, und wir finden so eben wieder den kleinen John Verstecken<lb/> spielen.</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0202]
Wiener Aesthcrttcr,
Das brannte ästhetische Lericon von JeittelcS hat einen Rivalen bekommen;
es istdicß die «Encyklopädie der ästhetischen Wissenschaft von Dr.Hebenstreit," Gleich¬
falls ein wiener Produkt. Ob von Wien aus das ästhetische Heil überhaupt aus¬
gehen wird, zwciflen wir sehr. Die wiener Lyriker sind neben den schwäbischen
offenbar die kernigsten der Nation; das wiener Volksstück ist in Deutschland ohne
Nebenbuhler, und rS wird erst die Zeit kommen, wo man die Bedeutung des»
selben erkennen wird. Aber die wiener Kritik kann nie Norm für die ästhetische
Wissenschaft von ganz Deutschland werden, weil sie von einseitigen Standpunkten,
von veralteten Traditionen ausgeht, und den localen Verhältnissen nach ausgehen
muß. Die Aesthetik als Wissenschaft ist uns der Gliederkette einer systematischen
Philosophie nicht herauszureißen. Wien aber ist bekanntlich kein fruchtbarer Boden
für die Philosophse überhaupt und für die neuere insbesondere. Es klingt daher
etwas komisch, wenn der Versasser in einer Buchhändler-Reclame sich auf seine
Beurtheilung der Müllnerschcn und Z. Wernerschem Dramen beruft (eS ist dieß
etwas lang her!) und behauptet, daß sie schon vor zwanzig Jahren für die
Tragödie ein Prinzip in Anspruch nehmen, welches in neuester Zeit von Bischer
und Hegel als das einzig genügende anerkannt wurde.
Der kleine Kaminfcgcr der Königin Victoria,
Im Grunde machen unsere theuren Freunde, die Engländer, allzustarken Ge--'
brauch von diesem Kaminfeger. Als der kleine, i>n Schlafgemache dcrKönigin versteckte
John zum Erstenmale in den englischen Jvurnalnotizen erschien, sagte man allent¬
halben: M, das ist allerliebst!« Viele haben sogar darüber gelacht. Das zweite
Mal sagte man, wieder:,, «Ho ho, der kleine John ist wieder da; Sonderbar!«
Man lachte weniger; aber man lachte doch. Das dritte Mal machte man alle mög¬
liche Anstaltenzum Lachen/ aber es ging nicht mehr. Nichtsdestoweniger, theure In¬
sulaner, seid Ihr auf dem Wege der Kaminsegerci und Beharrlichkeit fortgeschritten.
Dank Euren zähen Federn, der kleine John ist erschienen und wiedcrcrschicncn vier¬
mal, sechsmal, zehnmal, hundertmal. Das ist zu stark! Ihr habt bereits alle
Formen erschöpft, alle Schubladen des Puffs ausgeleert. Wo hatte sich nicht der
kleine John überall schon hinversteckt? In eine Garderobe, in einen Ofen, in einen-
Sccrctair, in eine Marrazzc, in einen Koffer; Ihr habt ihn bereits über ein duz«
zend Mal arretiren, einkerkern, richten, verurtheilen lassen, ja ich glaube, Ihr habt
ihn schon nach Botanv-Bav deportirt. ES bleibt Euch nichts übrig als ihn umzu¬
bringen. Wir bitten inständigst,, bringt ihn doch gefälligst um. Aber Ihr hört
unsere Bitten nicht, und wir finden so eben wieder den kleinen John Verstecken
spielen.
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