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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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Die Männer der Zeit



II.
Adam Mickiewicz.



G?s war gegen das Ende des Jahres 1829, als ein noch
junger Mann, dessen Haupt aber schon das dreifach strahlende
Diadem des Ruhmes, des Genies und des politischen Märtyrerthums
krönte, durch Deutschland reiste, um sich nach Italien zu begeben,
und so auch durch Weimar kam. Goethe, der greise Dichterkönig,
lebte damals friedlich und in absichtlicher Zurückgezogenheit vom
Tagesgetriebe dem Ende seiner glorreichen Herrschaft über Deutsch¬
lands Geister entgegen. Die Gesänge deö fremden Dichters aber
waren auch bis in seine umfriedete Abgeschlossenheit, gedrungen "ut
er wünschte ihn daher persönlich kennen zu lernen. Diese beiden Apostel
zweier entgegengesetzten Weltanschauungen erkannten einander an
jenem geheimnißvollen, freimaurerischen Zeichen des Genies und
im Namen ihrer gemeinsamen Religion, der Poesie, schlössen sie ein
Bruderbündniß. Der große Dichter des Pantheismus machte dem
katholischen Sänger ein Geschenk mit der Feder, mit der er den
zweiten Theil seines Faust schrieb und batihn als Gegengeschenk um sein
Bild. Und ein dritter hervorragender Dichter, aber ein Dichter der
Plastik, ein Poet nach griechischem Wortsinne -- in Marmor, ein


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Die Männer der Zeit



II.
Adam Mickiewicz.



G?s war gegen das Ende des Jahres 1829, als ein noch
junger Mann, dessen Haupt aber schon das dreifach strahlende
Diadem des Ruhmes, des Genies und des politischen Märtyrerthums
krönte, durch Deutschland reiste, um sich nach Italien zu begeben,
und so auch durch Weimar kam. Goethe, der greise Dichterkönig,
lebte damals friedlich und in absichtlicher Zurückgezogenheit vom
Tagesgetriebe dem Ende seiner glorreichen Herrschaft über Deutsch¬
lands Geister entgegen. Die Gesänge deö fremden Dichters aber
waren auch bis in seine umfriedete Abgeschlossenheit, gedrungen «ut
er wünschte ihn daher persönlich kennen zu lernen. Diese beiden Apostel
zweier entgegengesetzten Weltanschauungen erkannten einander an
jenem geheimnißvollen, freimaurerischen Zeichen des Genies und
im Namen ihrer gemeinsamen Religion, der Poesie, schlössen sie ein
Bruderbündniß. Der große Dichter des Pantheismus machte dem
katholischen Sänger ein Geschenk mit der Feder, mit der er den
zweiten Theil seines Faust schrieb und batihn als Gegengeschenk um sein
Bild. Und ein dritter hervorragender Dichter, aber ein Dichter der
Plastik, ein Poet nach griechischem Wortsinne — in Marmor, ein


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[0545] Die Männer der Zeit II. Adam Mickiewicz. G?s war gegen das Ende des Jahres 1829, als ein noch junger Mann, dessen Haupt aber schon das dreifach strahlende Diadem des Ruhmes, des Genies und des politischen Märtyrerthums krönte, durch Deutschland reiste, um sich nach Italien zu begeben, und so auch durch Weimar kam. Goethe, der greise Dichterkönig, lebte damals friedlich und in absichtlicher Zurückgezogenheit vom Tagesgetriebe dem Ende seiner glorreichen Herrschaft über Deutsch¬ lands Geister entgegen. Die Gesänge deö fremden Dichters aber waren auch bis in seine umfriedete Abgeschlossenheit, gedrungen «ut er wünschte ihn daher persönlich kennen zu lernen. Diese beiden Apostel zweier entgegengesetzten Weltanschauungen erkannten einander an jenem geheimnißvollen, freimaurerischen Zeichen des Genies und im Namen ihrer gemeinsamen Religion, der Poesie, schlössen sie ein Bruderbündniß. Der große Dichter des Pantheismus machte dem katholischen Sänger ein Geschenk mit der Feder, mit der er den zweiten Theil seines Faust schrieb und batihn als Gegengeschenk um sein Bild. Und ein dritter hervorragender Dichter, aber ein Dichter der Plastik, ein Poet nach griechischem Wortsinne — in Marmor, ein 36

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/545>, abgerufen am 26.06.2024.