Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

Bild:
<< vorherige Seite

Es ist min aber nicht blos eine der angenehmsten Zerstreuungen,
Umrisse zu machen, sondern es bereichert sich auch die Einbildungs¬
kraft durch die Beobachtungen und man gewinnt dadurch die Ge¬
wohnheit, seinen Figuren natürliche, ungezwungene Stellungen zu
geben, eine Gewohnheit, die man auf der Akademie mit dem be¬
sten Willen von der Welt nicht immer erlangen kann; denn die
Modelle mißverstehen meist die Absicht dessen, dem sie sitzen, und
bieten fast immer nur gezwungene, unnatürliche Attitüden dar.




Kapitel II.
Von Düsseldorf nach Limburg an der Lenne.



Ausflug von dem Dorfe Mettmann nach der Ncanderhöhle.

Beim Herauskommen aus dem Dorfe Mettmann führte uns
ein Fußsteig durch weithin sich dehnende Kornfelder zu einem wal-
digten Terrain. Wir folgten dem Wege, bald aber auch seiner Ein¬
ladung, die kühle, schattige Frische zu genießen; und auf ein schwel¬
lendes Mooslager am Fuße herrlicher Eichen und Buchen hinge¬
streckt, genossen wir in der friedlich schweigsamen Natur eine kurze
Ruhe. Sodann ergriffen wir unsern Wanderstab wieder und traten
in die Waldung ein. Bald schlug da das Gemurmel eines Wasser¬
falles an unser Ohr und ergriff unsere Seele: wir fühlten uns wie
mit unwiderstehlicher Kraft nach dem Orte hingezogen, von wo das
mit jedem Schritte wachsende Geräusch herkam. Nach und nach
entdeckten wir durch einen, in den Rissen des Felsens schwebenden
Vorhang grünen Gesträuchs hindurch einen silberblinkenden Schein.
Es war dies einer der malerischsten Bäche, der seine krystallklaren
Wellen in mehreren kleinen Wasserfällen in die Düssel ergoß. Wir
folgten nun dem Laufe des Baches und gelangten zu einer Grotte,
die schöner war, als irgend eine, selbst die glänzendste Einbildungskraft
sie malen konnte. Wir befanden uns nun vor einem Wasserfall von
etwa zwanzig Fuß Höhe, welchen der Bach bildete, den wir bei
unserm Eintritt in die Grotte aus dem Auge verloren hatten.


24"

Es ist min aber nicht blos eine der angenehmsten Zerstreuungen,
Umrisse zu machen, sondern es bereichert sich auch die Einbildungs¬
kraft durch die Beobachtungen und man gewinnt dadurch die Ge¬
wohnheit, seinen Figuren natürliche, ungezwungene Stellungen zu
geben, eine Gewohnheit, die man auf der Akademie mit dem be¬
sten Willen von der Welt nicht immer erlangen kann; denn die
Modelle mißverstehen meist die Absicht dessen, dem sie sitzen, und
bieten fast immer nur gezwungene, unnatürliche Attitüden dar.




Kapitel II.
Von Düsseldorf nach Limburg an der Lenne.



Ausflug von dem Dorfe Mettmann nach der Ncanderhöhle.

Beim Herauskommen aus dem Dorfe Mettmann führte uns
ein Fußsteig durch weithin sich dehnende Kornfelder zu einem wal-
digten Terrain. Wir folgten dem Wege, bald aber auch seiner Ein¬
ladung, die kühle, schattige Frische zu genießen; und auf ein schwel¬
lendes Mooslager am Fuße herrlicher Eichen und Buchen hinge¬
streckt, genossen wir in der friedlich schweigsamen Natur eine kurze
Ruhe. Sodann ergriffen wir unsern Wanderstab wieder und traten
in die Waldung ein. Bald schlug da das Gemurmel eines Wasser¬
falles an unser Ohr und ergriff unsere Seele: wir fühlten uns wie
mit unwiderstehlicher Kraft nach dem Orte hingezogen, von wo das
mit jedem Schritte wachsende Geräusch herkam. Nach und nach
entdeckten wir durch einen, in den Rissen des Felsens schwebenden
Vorhang grünen Gesträuchs hindurch einen silberblinkenden Schein.
Es war dies einer der malerischsten Bäche, der seine krystallklaren
Wellen in mehreren kleinen Wasserfällen in die Düssel ergoß. Wir
folgten nun dem Laufe des Baches und gelangten zu einer Grotte,
die schöner war, als irgend eine, selbst die glänzendste Einbildungskraft
sie malen konnte. Wir befanden uns nun vor einem Wasserfall von
etwa zwanzig Fuß Höhe, welchen der Bach bildete, den wir bei
unserm Eintritt in die Grotte aus dem Auge verloren hatten.


24»
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <div n="3">
              <pb facs="#f0363" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/266980"/>
              <p xml:id="ID_984" prev="#ID_983"> Es ist min aber nicht blos eine der angenehmsten Zerstreuungen,<lb/>
Umrisse zu machen, sondern es bereichert sich auch die Einbildungs¬<lb/>
kraft durch die Beobachtungen und man gewinnt dadurch die Ge¬<lb/>
wohnheit, seinen Figuren natürliche, ungezwungene Stellungen zu<lb/>
geben, eine Gewohnheit, die man auf der Akademie mit dem be¬<lb/>
sten Willen von der Welt nicht immer erlangen kann; denn die<lb/>
Modelle mißverstehen meist die Absicht dessen, dem sie sitzen, und<lb/>
bieten fast immer nur gezwungene, unnatürliche Attitüden dar.</p><lb/>
              <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
            </div>
          </div>
          <div n="2">
            <head> Kapitel II.<lb/>
Von Düsseldorf nach Limburg an der Lenne.</head><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
            <div n="3">
              <head> Ausflug von dem Dorfe Mettmann nach der Ncanderhöhle.</head><lb/>
              <p xml:id="ID_985"> Beim Herauskommen aus dem Dorfe Mettmann führte uns<lb/>
ein Fußsteig durch weithin sich dehnende Kornfelder zu einem wal-<lb/>
digten Terrain. Wir folgten dem Wege, bald aber auch seiner Ein¬<lb/>
ladung, die kühle, schattige Frische zu genießen; und auf ein schwel¬<lb/>
lendes Mooslager am Fuße herrlicher Eichen und Buchen hinge¬<lb/>
streckt, genossen wir in der friedlich schweigsamen Natur eine kurze<lb/>
Ruhe. Sodann ergriffen wir unsern Wanderstab wieder und traten<lb/>
in die Waldung ein. Bald schlug da das Gemurmel eines Wasser¬<lb/>
falles an unser Ohr und ergriff unsere Seele: wir fühlten uns wie<lb/>
mit unwiderstehlicher Kraft nach dem Orte hingezogen, von wo das<lb/>
mit jedem Schritte wachsende Geräusch herkam. Nach und nach<lb/>
entdeckten wir durch einen, in den Rissen des Felsens schwebenden<lb/>
Vorhang grünen Gesträuchs hindurch einen silberblinkenden Schein.<lb/>
Es war dies einer der malerischsten Bäche, der seine krystallklaren<lb/>
Wellen in mehreren kleinen Wasserfällen in die Düssel ergoß. Wir<lb/>
folgten nun dem Laufe des Baches und gelangten zu einer Grotte,<lb/>
die schöner war, als irgend eine, selbst die glänzendste Einbildungskraft<lb/>
sie malen konnte. Wir befanden uns nun vor einem Wasserfall von<lb/>
etwa zwanzig Fuß Höhe, welchen der Bach bildete, den wir bei<lb/>
unserm Eintritt in die Grotte aus dem Auge verloren hatten.</p><lb/>
              <fw type="sig" place="bottom"> 24»</fw><lb/>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0363] Es ist min aber nicht blos eine der angenehmsten Zerstreuungen, Umrisse zu machen, sondern es bereichert sich auch die Einbildungs¬ kraft durch die Beobachtungen und man gewinnt dadurch die Ge¬ wohnheit, seinen Figuren natürliche, ungezwungene Stellungen zu geben, eine Gewohnheit, die man auf der Akademie mit dem be¬ sten Willen von der Welt nicht immer erlangen kann; denn die Modelle mißverstehen meist die Absicht dessen, dem sie sitzen, und bieten fast immer nur gezwungene, unnatürliche Attitüden dar. Kapitel II. Von Düsseldorf nach Limburg an der Lenne. Ausflug von dem Dorfe Mettmann nach der Ncanderhöhle. Beim Herauskommen aus dem Dorfe Mettmann führte uns ein Fußsteig durch weithin sich dehnende Kornfelder zu einem wal- digten Terrain. Wir folgten dem Wege, bald aber auch seiner Ein¬ ladung, die kühle, schattige Frische zu genießen; und auf ein schwel¬ lendes Mooslager am Fuße herrlicher Eichen und Buchen hinge¬ streckt, genossen wir in der friedlich schweigsamen Natur eine kurze Ruhe. Sodann ergriffen wir unsern Wanderstab wieder und traten in die Waldung ein. Bald schlug da das Gemurmel eines Wasser¬ falles an unser Ohr und ergriff unsere Seele: wir fühlten uns wie mit unwiderstehlicher Kraft nach dem Orte hingezogen, von wo das mit jedem Schritte wachsende Geräusch herkam. Nach und nach entdeckten wir durch einen, in den Rissen des Felsens schwebenden Vorhang grünen Gesträuchs hindurch einen silberblinkenden Schein. Es war dies einer der malerischsten Bäche, der seine krystallklaren Wellen in mehreren kleinen Wasserfällen in die Düssel ergoß. Wir folgten nun dem Laufe des Baches und gelangten zu einer Grotte, die schöner war, als irgend eine, selbst die glänzendste Einbildungskraft sie malen konnte. Wir befanden uns nun vor einem Wasserfall von etwa zwanzig Fuß Höhe, welchen der Bach bildete, den wir bei unserm Eintritt in die Grotte aus dem Auge verloren hatten. 24»

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/363
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/363>, abgerufen am 23.07.2024.