Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841.

Bild:
<< vorherige Seite

Gewisse Journale verstehen unter Volk diejenigen Leute, die Emeute
machen.

Andere verstehen darunter diejenigen, die keine Emeute machen.

Der Ausdruck "das Land" hat ganz denselben Sinn.

Das Land, wie das Volk, bezeichnet beides diejenigen Leute, die wie
wir denken -- oder diejenigen, durch welche wir die Kastanien aus dem Feuer
holen lassen.

Die republikanischen Journale nennen Volk die zahlreichste Classe.
Es findet eine Emeute statt, und sie sagen: "das Volk ist auf dem Platze."
Die Emeute ist vorbei, man erfährt, daß dabei in Allem 300 Menschen be¬
theiligt waren, worunter 150 Gaffer, 50 Gassenjungen von weniger als 16
Jahren, 40 Diebe, und 60 Polizeiagenten, und etwa zehn ehrliche arme
Teufel, welche meinen für die "Freiheit" zu kämpfen, worin sie bisher un¬
gekränkt gelebt haben, und deren sie nun einige Monate lang entbehren
müssen ......

Den folgenden Tag könnt ihr im Constitutionel lesen, das glückliche Re¬
sultat von dem Allen werde sein, daß Herr Passy wieder ans Ruder kom¬
men werde.

Der Courrier Francais gibt Herrn Dufaure den Vorzug.

Das Volk -- -- ist eine glückliche Erfindung.

Die Presse.

O ihr Moralisten, ihr Philosophen, ihr Dichter, die ihr saget: die Ge¬
sellschaft gehe ihrer Auflösung entgegen, weil der Glaube verschwunden sei,
weil man an Nichts mehr glaube. --

Ihr guten Leute! "Kein Glaube mehr?" Niemals war man so gläubig,
wie jetzt! Niemals waren die Menschen solche dummgläubige Glaubenswesen
und Fliegenschnäpper, und die Völker, die den Mist des Dalai Lama anbeten,
sind, im Vergleich mit uns, Ungläubige und Voltairianer.

"Kein Glaube mehr!" Man glaubt ja Alles, man streitet ja für Alles,
man schlägt sich ja für Alles!

Kein Glaube wäre vorhanden, in einer Zeit, wo eine so sonderbare Ge¬
walt, wie die der Presse, die einzige Gewalt ist!

Man glaubt Nichts! So hören Sie, Herr Augustin!

Man müßte die Presse mit Gott vergleichen, wenn es keine Pilze gäbe --
die nur durch sich selbst quellen.

Sie ist ein Pilz, der eines schönen Morgens aus dem Schutt aller an¬
dern Gewalt aufgeschossen ist.

Gewisse Journale verstehen unter Volk diejenigen Leute, die Emeute
machen.

Andere verstehen darunter diejenigen, die keine Emeute machen.

Der Ausdruck „das Land“ hat ganz denselben Sinn.

Das Land, wie das Volk, bezeichnet beides diejenigen Leute, die wie
wir denken — oder diejenigen, durch welche wir die Kastanien aus dem Feuer
holen lassen.

Die republikanischen Journale nennen Volk die zahlreichste Classe.
Es findet eine Emeute statt, und sie sagen: „das Volk ist auf dem Platze.“
Die Emeute ist vorbei, man erfährt, daß dabei in Allem 300 Menschen be¬
theiligt waren, worunter 150 Gaffer, 50 Gassenjungen von weniger als 16
Jahren, 40 Diebe, und 60 Polizeiagenten, und etwa zehn ehrliche arme
Teufel, welche meinen für die „Freiheit“ zu kämpfen, worin sie bisher un¬
gekränkt gelebt haben, und deren sie nun einige Monate lang entbehren
müssen ......

Den folgenden Tag könnt ihr im Constitutionel lesen, das glückliche Re¬
sultat von dem Allen werde sein, daß Herr Passy wieder ans Ruder kom¬
men werde.

Der Courrier Francais gibt Herrn Dufaure den Vorzug.

Das Volk — — ist eine glückliche Erfindung.

Die Presse.

O ihr Moralisten, ihr Philosophen, ihr Dichter, die ihr saget: die Ge¬
sellschaft gehe ihrer Auflösung entgegen, weil der Glaube verschwunden sei,
weil man an Nichts mehr glaube. —

Ihr guten Leute! „Kein Glaube mehr?“ Niemals war man so gläubig,
wie jetzt! Niemals waren die Menschen solche dummgläubige Glaubenswesen
und Fliegenschnäpper, und die Völker, die den Mist des Dalai Lama anbeten,
sind, im Vergleich mit uns, Ungläubige und Voltairianer.

„Kein Glaube mehr!“ Man glaubt ja Alles, man streitet ja für Alles,
man schlägt sich ja für Alles!

Kein Glaube wäre vorhanden, in einer Zeit, wo eine so sonderbare Ge¬
walt, wie die der Presse, die einzige Gewalt ist!

Man glaubt Nichts! So hören Sie, Herr Augustin!

Man müßte die Presse mit Gott vergleichen, wenn es keine Pilze gäbe —
die nur durch sich selbst quellen.

Sie ist ein Pilz, der eines schönen Morgens aus dem Schutt aller an¬
dern Gewalt aufgeschossen ist.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/179481" n="90" facs="#f0098"/>
          <p>Gewisse Journale verstehen unter Volk diejenigen Leute, die Emeute<lb/>
machen.</p><lb/>
          <p>Andere verstehen darunter diejenigen, die keine Emeute machen.</p><lb/>
          <p>Der Ausdruck &#x201E;das Land&#x201C; hat ganz denselben Sinn.</p><lb/>
          <p>Das Land, wie das Volk, bezeichnet beides diejenigen Leute, die wie<lb/>
wir denken &#x2014; oder diejenigen, durch welche wir die Kastanien aus dem Feuer<lb/>
holen lassen.</p><lb/>
          <p>Die republikanischen Journale nennen Volk die zahlreichste Classe.<lb/>
Es findet eine Emeute statt, und sie sagen: &#x201E;das Volk ist auf dem Platze.&#x201C;<lb/>
Die Emeute ist vorbei, man erfährt, daß dabei in Allem 300 Menschen be¬<lb/>
theiligt waren, worunter 150 Gaffer, 50 Gassenjungen von weniger als 16<lb/>
Jahren, 40 Diebe, und 60 Polizeiagenten, und etwa zehn ehrliche arme<lb/>
Teufel, welche meinen für die &#x201E;Freiheit&#x201C; zu kämpfen, worin sie bisher un¬<lb/>
gekränkt gelebt haben, und deren sie nun einige Monate lang entbehren<lb/>
müssen ......</p><lb/>
          <p>Den folgenden Tag könnt ihr im Constitutionel lesen, das glückliche Re¬<lb/>
sultat von dem Allen werde sein, daß Herr Passy wieder ans Ruder kom¬<lb/>
men werde.</p><lb/>
          <p>Der Courrier Francais gibt Herrn Dufaure den Vorzug.</p><lb/>
          <p>Das Volk &#x2014; &#x2014; ist eine glückliche Erfindung.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head>Die Presse.</head><lb/>
          <p>O ihr Moralisten, ihr Philosophen, ihr Dichter, die ihr saget: die Ge¬<lb/>
sellschaft gehe ihrer Auflösung entgegen, weil der Glaube verschwunden sei,<lb/>
weil man an Nichts mehr glaube. &#x2014;</p><lb/>
          <p>Ihr guten Leute! &#x201E;Kein Glaube mehr?&#x201C; Niemals war man so gläubig,<lb/>
wie jetzt! Niemals waren die Menschen solche dummgläubige Glaubenswesen<lb/>
und Fliegenschnäpper, und die Völker, die den Mist des Dalai Lama anbeten,<lb/>
sind, im Vergleich mit uns, Ungläubige und Voltairianer.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Kein Glaube mehr!&#x201C; Man glaubt ja Alles, man streitet ja für Alles,<lb/>
man schlägt sich ja für Alles!</p><lb/>
          <p>Kein Glaube wäre vorhanden, in einer Zeit, wo eine so sonderbare Ge¬<lb/>
walt, wie die der Presse, die einzige Gewalt ist!</p><lb/>
          <p>Man glaubt Nichts!  So hören Sie, Herr Augustin!</p><lb/>
          <p>Man müßte die Presse mit Gott vergleichen, wenn es keine Pilze gäbe &#x2014;<lb/>
die nur durch sich selbst quellen.</p><lb/>
          <p>Sie ist ein Pilz, der eines schönen Morgens aus dem Schutt aller an¬<lb/>
dern Gewalt aufgeschossen ist.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[90/0098] Gewisse Journale verstehen unter Volk diejenigen Leute, die Emeute machen. Andere verstehen darunter diejenigen, die keine Emeute machen. Der Ausdruck „das Land“ hat ganz denselben Sinn. Das Land, wie das Volk, bezeichnet beides diejenigen Leute, die wie wir denken — oder diejenigen, durch welche wir die Kastanien aus dem Feuer holen lassen. Die republikanischen Journale nennen Volk die zahlreichste Classe. Es findet eine Emeute statt, und sie sagen: „das Volk ist auf dem Platze.“ Die Emeute ist vorbei, man erfährt, daß dabei in Allem 300 Menschen be¬ theiligt waren, worunter 150 Gaffer, 50 Gassenjungen von weniger als 16 Jahren, 40 Diebe, und 60 Polizeiagenten, und etwa zehn ehrliche arme Teufel, welche meinen für die „Freiheit“ zu kämpfen, worin sie bisher un¬ gekränkt gelebt haben, und deren sie nun einige Monate lang entbehren müssen ...... Den folgenden Tag könnt ihr im Constitutionel lesen, das glückliche Re¬ sultat von dem Allen werde sein, daß Herr Passy wieder ans Ruder kom¬ men werde. Der Courrier Francais gibt Herrn Dufaure den Vorzug. Das Volk — — ist eine glückliche Erfindung. Die Presse. O ihr Moralisten, ihr Philosophen, ihr Dichter, die ihr saget: die Ge¬ sellschaft gehe ihrer Auflösung entgegen, weil der Glaube verschwunden sei, weil man an Nichts mehr glaube. — Ihr guten Leute! „Kein Glaube mehr?“ Niemals war man so gläubig, wie jetzt! Niemals waren die Menschen solche dummgläubige Glaubenswesen und Fliegenschnäpper, und die Völker, die den Mist des Dalai Lama anbeten, sind, im Vergleich mit uns, Ungläubige und Voltairianer. „Kein Glaube mehr!“ Man glaubt ja Alles, man streitet ja für Alles, man schlägt sich ja für Alles! Kein Glaube wäre vorhanden, in einer Zeit, wo eine so sonderbare Ge¬ walt, wie die der Presse, die einzige Gewalt ist! Man glaubt Nichts! So hören Sie, Herr Augustin! Man müßte die Presse mit Gott vergleichen, wenn es keine Pilze gäbe — die nur durch sich selbst quellen. Sie ist ein Pilz, der eines schönen Morgens aus dem Schutt aller an¬ dern Gewalt aufgeschossen ist.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-11-19T17:23:38Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Bayerische Staatbibliothek: Bereitstellung der Bilddigitalisate (Signatur Per 61 k-1). (2013-11-19T17:23:38Z)

Weitere Informationen:

Art der Texterfassung: OCR.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_179382_282158
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_179382_282158/98
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_179382_282158/98>, abgerufen am 22.12.2024.