Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841.

Bild:
<< vorherige Seite
Von der Literatur.

Lassen Sie uns einmal, Herr Augustin, von der Literatur, als einer
gesellschaftlichen Macht, reden.

Als Macht ist sie nicht mehr vorhanden, und sie ist auf dem Wege,
auch als Literatur nicht mehr zu existiren.

Die Presse, das heißt die Journale! hat sich eines Tages selbst erfun¬
den; -- sie hat den Schein angenommen, die Literatur zu sein, so lange
als dieß ihren Plänen günstig war. Sie hat sich der Literatur bedient, in
der Art, wie gewisse Intriganten es versucht haben, sich gewisser Ludwige
der Siebenzehnten zu bedienen.

Die Literatur dient jetzt unten an den Journalen dazu, an der Thüre
zu paradiren, als Feuilleton -- sie ist der Strohsack der Truppe.

Ein Dichter, der nichts als Dichter ist, wird in der Armuth leben,
Hungers sterben, und unbekannt bleiben.

Er kann nicht, wie Malesherbes, von sich sagen: -- "Ich bin immer
so vorsichtig gewesen, über die Leitung eines Schiffes zu schweigen, auf dem
ich bloß Passagier bin."

Er muß sich einer politischen Partei anschließen; vornehmlich muß er
einige Phrasen gegen die Tyrannen und die Sclaverei schreiben -- weil die
Journale der Regierung von Niemandem gelesen werden. Man hat kein
Beispiel, daß ein Zeitblatt, ohne hämische Einschränkung, einen Schriftsteller
von einer andern Partei gelobt hätte.



Die Regierung ihrerseits legt einzig und allein auf die Zeitblätter Ge¬
wicht. -- Ein Roman, ein Theaterstück, schaden weiter nichts, als daß sie
die Gesellschaft verderben; aber was liegt daran? -- Ein Journal dagegen
stürzt ein Ministerium über den Haufen, und das ist ein schwerer Fall.



Die Ehrenkreuze, welche man der Literatur bewilligt -- was ich Ih¬
nen sage, ist kein Scherz, sondern eine Thatsache, Herr Augustin -- die Eh-
renkreuze, welche man der Literatur bewilligt, kommen nicht vom Minister
des öffentlichen Unterrichts, sondern vom Minister des Innern, und noch
häufiger von dem Minister der auswärtigen Angelegenheiten, welcher gemein-
lich auch der Conseilspräsident ist.

Die Literatur ist in unsern Tagen unabhängig; -- man verachtet Boi-
leau und Racine, weil sie von Ludwig dem Vierzehnten Jahrgehalte em¬
pfingen. -- Ludwig der Vierzehnte fände heute nicht einen einzigen Schrift¬
steller, der einen Jahrgehalt von ihm annähme. -- Nur den einen Flecken
hat diese Unabhängigkeit, -- daß die Schriftsteller den Direktoren und Ei¬
genthümern der Journale aufwarten.

Von der Literatur.

Lassen Sie uns einmal, Herr Augustin, von der Literatur, als einer
gesellschaftlichen Macht, reden.

Als Macht ist sie nicht mehr vorhanden, und sie ist auf dem Wege,
auch als Literatur nicht mehr zu existiren.

Die Presse, das heißt die Journale! hat sich eines Tages selbst erfun¬
den; — sie hat den Schein angenommen, die Literatur zu sein, so lange
als dieß ihren Plänen günstig war. Sie hat sich der Literatur bedient, in
der Art, wie gewisse Intriganten es versucht haben, sich gewisser Ludwige
der Siebenzehnten zu bedienen.

Die Literatur dient jetzt unten an den Journalen dazu, an der Thüre
zu paradiren, als Feuilleton — sie ist der Strohsack der Truppe.

Ein Dichter, der nichts als Dichter ist, wird in der Armuth leben,
Hungers sterben, und unbekannt bleiben.

Er kann nicht, wie Malesherbes, von sich sagen: — „Ich bin immer
so vorsichtig gewesen, über die Leitung eines Schiffes zu schweigen, auf dem
ich bloß Passagier bin.“

Er muß sich einer politischen Partei anschließen; vornehmlich muß er
einige Phrasen gegen die Tyrannen und die Sclaverei schreiben — weil die
Journale der Regierung von Niemandem gelesen werden. Man hat kein
Beispiel, daß ein Zeitblatt, ohne hämische Einschränkung, einen Schriftsteller
von einer andern Partei gelobt hätte.



Die Regierung ihrerseits legt einzig und allein auf die Zeitblätter Ge¬
wicht. — Ein Roman, ein Theaterstück, schaden weiter nichts, als daß sie
die Gesellschaft verderben; aber was liegt daran? — Ein Journal dagegen
stürzt ein Ministerium über den Haufen, und das ist ein schwerer Fall.



Die Ehrenkreuze, welche man der Literatur bewilligt — was ich Ih¬
nen sage, ist kein Scherz, sondern eine Thatsache, Herr Augustin — die Eh-
renkreuze, welche man der Literatur bewilligt, kommen nicht vom Minister
des öffentlichen Unterrichts, sondern vom Minister des Innern, und noch
häufiger von dem Minister der auswärtigen Angelegenheiten, welcher gemein-
lich auch der Conseilspräsident ist.

Die Literatur ist in unsern Tagen unabhängig; — man verachtet Boi-
leau und Racine, weil sie von Ludwig dem Vierzehnten Jahrgehalte em¬
pfingen. — Ludwig der Vierzehnte fände heute nicht einen einzigen Schrift¬
steller, der einen Jahrgehalt von ihm annähme. — Nur den einen Flecken
hat diese Unabhängigkeit, — daß die Schriftsteller den Direktoren und Ei¬
genthümern der Journale aufwarten.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/179477" n="86" facs="#f0094"/>
        <div n="2">
          <head>Von der Literatur.</head><lb/>
          <p>Lassen Sie uns einmal, Herr Augustin, von der Literatur, als einer<lb/>
gesellschaftlichen Macht, reden.</p><lb/>
          <p>Als Macht ist sie nicht mehr vorhanden, und sie ist auf dem Wege,<lb/>
auch als Literatur nicht mehr zu existiren.</p><lb/>
          <p>Die Presse, das heißt die Journale! hat sich eines Tages selbst erfun¬<lb/>
den; &#x2014; sie hat den Schein angenommen, die Literatur zu sein, so lange<lb/>
als dieß ihren Plänen günstig war. Sie hat sich der Literatur bedient, in<lb/>
der Art, wie gewisse Intriganten es versucht haben, sich gewisser Ludwige<lb/>
der Siebenzehnten zu bedienen.</p><lb/>
          <p>Die Literatur dient jetzt unten an den Journalen dazu, an der Thüre<lb/>
zu paradiren, als Feuilleton &#x2014; sie ist der Strohsack der Truppe.</p><lb/>
          <p>Ein Dichter, der nichts als Dichter ist, wird in der Armuth leben,<lb/>
Hungers sterben, und unbekannt bleiben.</p><lb/>
          <p>Er kann nicht, wie Malesherbes, von sich sagen: &#x2014; &#x201E;Ich bin immer<lb/>
so vorsichtig gewesen, über die Leitung eines Schiffes zu schweigen, auf dem<lb/>
ich bloß Passagier bin.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Er muß sich einer politischen Partei anschließen; vornehmlich muß er<lb/>
einige Phrasen gegen die Tyrannen und die Sclaverei schreiben &#x2014; weil die<lb/>
Journale der Regierung von Niemandem gelesen werden. Man hat kein<lb/>
Beispiel, daß ein Zeitblatt, ohne hämische Einschränkung, einen Schriftsteller<lb/>
von einer andern Partei gelobt hätte.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p>Die Regierung ihrerseits legt einzig und allein auf die Zeitblätter Ge¬<lb/>
wicht. &#x2014; Ein Roman, ein Theaterstück, schaden weiter nichts, als daß sie<lb/>
die Gesellschaft verderben; aber was liegt daran? &#x2014; Ein Journal dagegen<lb/>
stürzt ein Ministerium über den Haufen, und das ist ein schwerer Fall.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p>Die Ehrenkreuze, welche man der Literatur bewilligt &#x2014; was ich Ih¬<lb/>
nen sage, ist kein Scherz, sondern eine Thatsache, Herr Augustin &#x2014; die Eh-<lb/>
renkreuze, welche man der Literatur bewilligt, kommen nicht vom Minister<lb/>
des öffentlichen Unterrichts, sondern vom Minister des Innern, und noch<lb/>
häufiger von dem Minister der auswärtigen Angelegenheiten, welcher gemein-<lb/>
lich auch der Conseilspräsident ist.</p><lb/>
          <p>Die Literatur ist in unsern Tagen unabhängig; &#x2014; man verachtet Boi-<lb/>
leau und Racine, weil sie von Ludwig dem Vierzehnten Jahrgehalte em¬<lb/>
pfingen. &#x2014; Ludwig der Vierzehnte fände heute nicht einen einzigen Schrift¬<lb/>
steller, der einen Jahrgehalt von ihm annähme. &#x2014; Nur den einen Flecken<lb/>
hat diese Unabhängigkeit, &#x2014; daß die Schriftsteller den Direktoren und Ei¬<lb/>
genthümern der Journale aufwarten.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[86/0094] Von der Literatur. Lassen Sie uns einmal, Herr Augustin, von der Literatur, als einer gesellschaftlichen Macht, reden. Als Macht ist sie nicht mehr vorhanden, und sie ist auf dem Wege, auch als Literatur nicht mehr zu existiren. Die Presse, das heißt die Journale! hat sich eines Tages selbst erfun¬ den; — sie hat den Schein angenommen, die Literatur zu sein, so lange als dieß ihren Plänen günstig war. Sie hat sich der Literatur bedient, in der Art, wie gewisse Intriganten es versucht haben, sich gewisser Ludwige der Siebenzehnten zu bedienen. Die Literatur dient jetzt unten an den Journalen dazu, an der Thüre zu paradiren, als Feuilleton — sie ist der Strohsack der Truppe. Ein Dichter, der nichts als Dichter ist, wird in der Armuth leben, Hungers sterben, und unbekannt bleiben. Er kann nicht, wie Malesherbes, von sich sagen: — „Ich bin immer so vorsichtig gewesen, über die Leitung eines Schiffes zu schweigen, auf dem ich bloß Passagier bin.“ Er muß sich einer politischen Partei anschließen; vornehmlich muß er einige Phrasen gegen die Tyrannen und die Sclaverei schreiben — weil die Journale der Regierung von Niemandem gelesen werden. Man hat kein Beispiel, daß ein Zeitblatt, ohne hämische Einschränkung, einen Schriftsteller von einer andern Partei gelobt hätte. Die Regierung ihrerseits legt einzig und allein auf die Zeitblätter Ge¬ wicht. — Ein Roman, ein Theaterstück, schaden weiter nichts, als daß sie die Gesellschaft verderben; aber was liegt daran? — Ein Journal dagegen stürzt ein Ministerium über den Haufen, und das ist ein schwerer Fall. Die Ehrenkreuze, welche man der Literatur bewilligt — was ich Ih¬ nen sage, ist kein Scherz, sondern eine Thatsache, Herr Augustin — die Eh- renkreuze, welche man der Literatur bewilligt, kommen nicht vom Minister des öffentlichen Unterrichts, sondern vom Minister des Innern, und noch häufiger von dem Minister der auswärtigen Angelegenheiten, welcher gemein- lich auch der Conseilspräsident ist. Die Literatur ist in unsern Tagen unabhängig; — man verachtet Boi- leau und Racine, weil sie von Ludwig dem Vierzehnten Jahrgehalte em¬ pfingen. — Ludwig der Vierzehnte fände heute nicht einen einzigen Schrift¬ steller, der einen Jahrgehalt von ihm annähme. — Nur den einen Flecken hat diese Unabhängigkeit, — daß die Schriftsteller den Direktoren und Ei¬ genthümern der Journale aufwarten.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-11-19T17:23:38Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Bayerische Staatbibliothek: Bereitstellung der Bilddigitalisate (Signatur Per 61 k-1). (2013-11-19T17:23:38Z)

Weitere Informationen:

Art der Texterfassung: OCR.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_179382_282158
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_179382_282158/94
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_179382_282158/94>, abgerufen am 23.11.2024.