II. Eine Sitzung der königlichen Akademie der Wissenschaften in Brüssel
Die Akademie der Wissenschaften, hielt diesen Monat ihre jährliche öffentliche Sitzung, und da dies würdige Institut bisher noch im nomadischen Zustande, ohne bestimmten Wohnsitz lebt, so hatte diesmal der neue Saal der philharmonischen Gesellschaft die Ehre, das doctum corpus aufzunehmen. Ich wollte anfangs meinen Augen nicht trauen, daß ich mich am rechten Orte befände, denn als ich ankam, war nicht nur noch kein einziger Akademiker da, sondern nicht einmal ein Fauteuil! Ein Akademiker ohne Fauteuil ist wie ein Criminalrichter ohne Allongenperücke. "ES freut mich," sagte ein deutscher Reisender, der neben mir auf einer der Bänke saß, daß die, Akademie, ich weiß zwar nicht aus welcher Ursache, diesmal von dem Schlendrian ab¬ gewichen ist, grade am Geburtstage des Landesfürsten ihre Apparatsitzung zu hal¬ ten. Ich weiß zwar wohl, daß ein Tag so gut wie der andere dazu ist, und räume sogar ein, daß einem aufgeklärten deutschen Fürsten diese Ehre zukömmt, vou einem Institut, das von einer trefflichen deutschen Fürstin (Marie Therese) unter den Auspi¬ zien eines wackern deutschen Kanzlers (Graf von Kobenzl) 1775 gestiftet worden, wenn auch die Akademie sonst gar nichts deutsches an sich hat, und sich unerhörter Weise nicht einmal mit dem deutschen Dialekt, flämische Sprache genannt, abgiebt, welchen fast die Hälfte ihrer Mitglieder, wie überhaupt des ganzen Landes, dessen Honneurs sie bei der gelehrten Welt macht, als ihre Muttersprache betrachtet. Der Eintritt der Akademiker unterbrach in diesem Augenblicke die Bemerkungen meines Nach¬ bars, uns erst nachdem die gelehrten Herren ihre Plätze eingenommen, fand der Red¬ selige seine Sprache wieder. Es ist ein Glück, sagte er, daß in der Kirche und in den Hallen der Gelehrsamkeit, alle Menschen gleich sind. Welche Classeneintheilung müßte man sonst in dieser Versammlung machen, hier wo der belgischeMinister Herr Nothomb, und der niederländische Gesandte, Herr Falck, so mir nichts dir nichts nebeneinander sitzen, und der rector magnificus der katholischen Universität, Herr Canonicus Deram, ohne Weiteres seinen Sitz nimmt neben dem ersten besten Laienbruder, der wie ehemals der präsidirende Direktor Gott weiß, in welcher Freimaurerloge Meister vom Stuhle ist. Da sitzen gar ein fremder Diplomat vom ersten Range, Herrn De Rumigny und die Staatsminister Baron Evain und Detheur wie unser Eins unter den Zuhörern. Ich mußte im Stillen über die Bemerkungen dieses Landsmannes lächeln, der von so ächtem deutschen Vollblute war, daß ihm die Idee der Gleichheit, sogar in Mitten einer gelehrten Versammlung ungewöhnlich und auffallend war ; aber glücklicher Weise hub jetzt der Direktor, Herr Baron de Stassart seine Rede an, welche sowie der Rapport des Secretaire perpetuel, Herrn Quetelet, mit großer Andacht an-
II. Eine Sitzung der königlichen Akademie der Wissenschaften in Brüssel
Die Akademie der Wissenschaften, hielt diesen Monat ihre jährliche öffentliche Sitzung, und da dies würdige Institut bisher noch im nomadischen Zustande, ohne bestimmten Wohnsitz lebt, so hatte diesmal der neue Saal der philharmonischen Gesellschaft die Ehre, das doctum corpus aufzunehmen. Ich wollte anfangs meinen Augen nicht trauen, daß ich mich am rechten Orte befände, denn als ich ankam, war nicht nur noch kein einziger Akademiker da, sondern nicht einmal ein Fauteuil! Ein Akademiker ohne Fauteuil ist wie ein Criminalrichter ohne Allongenperücke. „ES freut mich,“ sagte ein deutscher Reisender, der neben mir auf einer der Bänke saß, daß die, Akademie, ich weiß zwar nicht aus welcher Ursache, diesmal von dem Schlendrian ab¬ gewichen ist, grade am Geburtstage des Landesfürsten ihre Apparatsitzung zu hal¬ ten. Ich weiß zwar wohl, daß ein Tag so gut wie der andere dazu ist, und räume sogar ein, daß einem aufgeklärten deutschen Fürsten diese Ehre zukömmt, vou einem Institut, das von einer trefflichen deutschen Fürstin (Marie Therese) unter den Auspi¬ zien eines wackern deutschen Kanzlers (Graf von Kobenzl) 1775 gestiftet worden, wenn auch die Akademie sonst gar nichts deutsches an sich hat, und sich unerhörter Weise nicht einmal mit dem deutschen Dialekt, flämische Sprache genannt, abgiebt, welchen fast die Hälfte ihrer Mitglieder, wie überhaupt des ganzen Landes, dessen Honneurs sie bei der gelehrten Welt macht, als ihre Muttersprache betrachtet. Der Eintritt der Akademiker unterbrach in diesem Augenblicke die Bemerkungen meines Nach¬ bars, uns erst nachdem die gelehrten Herren ihre Plätze eingenommen, fand der Red¬ selige seine Sprache wieder. Es ist ein Glück, sagte er, daß in der Kirche und in den Hallen der Gelehrsamkeit, alle Menschen gleich sind. Welche Classeneintheilung müßte man sonst in dieser Versammlung machen, hier wo der belgischeMinister Herr Nothomb, und der niederländische Gesandte, Herr Falck, so mir nichts dir nichts nebeneinander sitzen, und der rector magnificus der katholischen Universität, Herr Canonicus Deram, ohne Weiteres seinen Sitz nimmt neben dem ersten besten Laienbruder, der wie ehemals der präsidirende Direktor Gott weiß, in welcher Freimaurerloge Meister vom Stuhle ist. Da sitzen gar ein fremder Diplomat vom ersten Range, Herrn De Rumigny und die Staatsminister Baron Evain und Detheur wie unser Eins unter den Zuhörern. Ich mußte im Stillen über die Bemerkungen dieses Landsmannes lächeln, der von so ächtem deutschen Vollblute war, daß ihm die Idee der Gleichheit, sogar in Mitten einer gelehrten Versammlung ungewöhnlich und auffallend war ; aber glücklicher Weise hub jetzt der Direktor, Herr Baron de Stassart seine Rede an, welche sowie der Rapport des Secrétaire perpétuel, Herrn Quetelet, mit großer Andacht an-
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II.
Eine Sitzung der königlichen Akademie der Wissenschaften
in Brüssel
Die Akademie der Wissenschaften, hielt diesen Monat ihre jährliche öffentliche
Sitzung, und da dies würdige Institut bisher noch im nomadischen Zustande, ohne
bestimmten Wohnsitz lebt, so hatte diesmal der neue Saal der philharmonischen
Gesellschaft die Ehre, das doctum corpus aufzunehmen. Ich wollte anfangs meinen
Augen nicht trauen, daß ich mich am rechten Orte befände, denn als ich ankam, war
nicht nur noch kein einziger Akademiker da, sondern nicht einmal ein Fauteuil! Ein
Akademiker ohne Fauteuil ist wie ein Criminalrichter ohne Allongenperücke. „ES freut
mich,“ sagte ein deutscher Reisender, der neben mir auf einer der Bänke saß, daß die,
Akademie, ich weiß zwar nicht aus welcher Ursache, diesmal von dem Schlendrian ab¬
gewichen ist, grade am Geburtstage des Landesfürsten ihre Apparatsitzung zu hal¬
ten. Ich weiß zwar wohl, daß ein Tag so gut wie der andere dazu ist, und räume
sogar ein, daß einem aufgeklärten deutschen Fürsten diese Ehre zukömmt, vou einem
Institut, das von einer trefflichen deutschen Fürstin (Marie Therese) unter den Auspi¬
zien eines wackern deutschen Kanzlers (Graf von Kobenzl) 1775 gestiftet worden, wenn
auch die Akademie sonst gar nichts deutsches an sich hat, und sich unerhörter Weise nicht
einmal mit dem deutschen Dialekt, flämische Sprache genannt, abgiebt, welchen
fast die Hälfte ihrer Mitglieder, wie überhaupt des ganzen Landes, dessen Honneurs sie
bei der gelehrten Welt macht, als ihre Muttersprache betrachtet. Der Eintritt
der Akademiker unterbrach in diesem Augenblicke die Bemerkungen meines Nach¬
bars, uns erst nachdem die gelehrten Herren ihre Plätze eingenommen, fand der Red¬
selige seine Sprache wieder. Es ist ein Glück, sagte er, daß in der Kirche und in den
Hallen der Gelehrsamkeit, alle Menschen gleich sind. Welche Classeneintheilung müßte
man sonst in dieser Versammlung machen, hier wo der belgischeMinister Herr Nothomb,
und der niederländische Gesandte, Herr Falck, so mir nichts dir nichts nebeneinander
sitzen, und der rector magnificus der katholischen Universität, Herr Canonicus Deram,
ohne Weiteres seinen Sitz nimmt neben dem ersten besten Laienbruder, der wie ehemals der
präsidirende Direktor Gott weiß, in welcher Freimaurerloge Meister vom Stuhle ist.
Da sitzen gar ein fremder Diplomat vom ersten Range, Herrn De Rumigny und die
Staatsminister Baron Evain und Detheur wie unser Eins unter den Zuhörern. Ich
mußte im Stillen über die Bemerkungen dieses Landsmannes lächeln, der von so ächtem
deutschen Vollblute war, daß ihm die Idee der Gleichheit, sogar in Mitten einer
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hub jetzt der Direktor, Herr Baron de Stassart seine Rede an, welche sowie
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Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841, S. 276. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_179382_282158/284>, abgerufen am 21.11.2024.
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