Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841.

Bild:
<< vorherige Seite

ser Gelegenheit einen Beweis schöner Humanität an den Tag gelegt. Sie hat dem
auf Leben und Tod Angeklagten gestattet, sich in das Haus seiner Mutter zu begeben
und mehrere Stunden bei ihr zuzubringen. Die Wachen hielten vor der Thüre, um
die letzte Unterhaltung der sterbenden Frau mit ihrem Sohne nicht zu stören. -- Das
heißt mit menschlichen Händen das Schwerdt des Gesetzes geführt. Die Gerechtigkeit
ist keine Rachegöttin! Wie wenige Gerichte, und namentlich wie wenige politische Ge¬
richte geben ein solches Beispiel.



Raumers Taschenbuch von 1842 und Herr Arendt in Löwen.

Der so eben erschienene Jahrgang bringt einige historische Arbeiten von Interesse
und Wichtigkeit. Das Raumer'sche Taschenbuch, das, seiner Anlage nnd Tendenz nach,
sehr bedeutend ist, fing in den letzten Jahren an die Flügel hängen zu lassen, und
ziemlich matt zu werden. Der frische nationale Sinn aber, der in der letzten Zeit in
der ganzen deutschen Presse sich geltend zu machen begann, hat auch diesem Jahrgang
einen lebensvollem Pulsschlag gebracht. Der historische Aufsatz über den armen Gecken-
krieg, über den Verlust der Bisthümer Metz, Toul und Verdun, sind wichtige
Beiträge zur deutschen Nationalgeschichte. Besonders interessant ist der Aufsatz über
den großen Aufstand der Genter unter Karl V. Diese Arbeit erhellt ein Feld, wel¬
ches in Deutschland noch sehr wenig bebaut und gekannt ist. Die Geschichte Flanderns
ist ein Gebiet, wo das Interesse Deutschlands und Belgiens mit gleicher Wärme sich
berührt. Herr Arendt (Professor an der Universität zu Löwen) könnte durch seine
doppelte Beziehung zur deutschen und zur belgischen Literatur ein unberechenbares Ver¬
dienst um die Geschichte beider Lande sich erwerben, wenn er die Anknüpfungspunkte,
die, von dem Schutte der Zeit bedeckt, in den Hintergrund getreten sind, wieder her¬
vorheben würde. Der freie Geist und die geschmackvolle Darstellung dieses Gelehrten,
würden das reiche Material beleben, das ihm zu Gebote stehet. Wir werde[n] auf den
Inhalt dieses Taschenbuchs in einer ausführlichen Beurtheilung zurückkommen.



Unpolitische Lieder.

Hoffmann von Fallersleben, der in Belgien durch seine horae Belgicae und durch
Vielfache persönliche Beziehungen zahlreiche Freunde zählt, ist seiner Professur vor der
Hand in Breslau enthoben worden. Als Grund dieser überraschenden Maßregel wer¬
den dessen in Hamburg erschienene "Unpolitische Lieder", denen ein zweiter Band
unlängst folgte -- angegeben. Wir glauben an diese Ursache nicht. Diese Lieder sind,
ohngeachtet ihres satirischen Elementes, wahrlich nicht so bedeutend, um eine Maßregel
zu provoziren, die so viel Aufsehen erregt. Folgendes Lied mag als Probe dienen:

Wie ist doch die Zeitung interessant!
Wie ist doch die Zeitung interessant
Für unser liebes Vaterland!
Was haben wir heute nicht Alles vernommen!
Die Fürstin ist gestern niedergekommen,
Und morgen wird der Herzog kommen,
Hier ist der König heimgekommen,

ser Gelegenheit einen Beweis schöner Humanität an den Tag gelegt. Sie hat dem
auf Leben und Tod Angeklagten gestattet, sich in das Haus seiner Mutter zu begeben
und mehrere Stunden bei ihr zuzubringen. Die Wachen hielten vor der Thüre, um
die letzte Unterhaltung der sterbenden Frau mit ihrem Sohne nicht zu stören. — Das
heißt mit menschlichen Händen das Schwerdt des Gesetzes geführt. Die Gerechtigkeit
ist keine Rachegöttin! Wie wenige Gerichte, und namentlich wie wenige politische Ge¬
richte geben ein solches Beispiel.



Raumers Taschenbuch von 1842 und Herr Arendt in Löwen.

Der so eben erschienene Jahrgang bringt einige historische Arbeiten von Interesse
und Wichtigkeit. Das Raumer'sche Taschenbuch, das, seiner Anlage nnd Tendenz nach,
sehr bedeutend ist, fing in den letzten Jahren an die Flügel hängen zu lassen, und
ziemlich matt zu werden. Der frische nationale Sinn aber, der in der letzten Zeit in
der ganzen deutschen Presse sich geltend zu machen begann, hat auch diesem Jahrgang
einen lebensvollem Pulsschlag gebracht. Der historische Aufsatz über den armen Gecken-
krieg, über den Verlust der Bisthümer Metz, Toul und Verdun, sind wichtige
Beiträge zur deutschen Nationalgeschichte. Besonders interessant ist der Aufsatz über
den großen Aufstand der Genter unter Karl V. Diese Arbeit erhellt ein Feld, wel¬
ches in Deutschland noch sehr wenig bebaut und gekannt ist. Die Geschichte Flanderns
ist ein Gebiet, wo das Interesse Deutschlands und Belgiens mit gleicher Wärme sich
berührt. Herr Arendt (Professor an der Universität zu Löwen) könnte durch seine
doppelte Beziehung zur deutschen und zur belgischen Literatur ein unberechenbares Ver¬
dienst um die Geschichte beider Lande sich erwerben, wenn er die Anknüpfungspunkte,
die, von dem Schutte der Zeit bedeckt, in den Hintergrund getreten sind, wieder her¬
vorheben würde. Der freie Geist und die geschmackvolle Darstellung dieses Gelehrten,
würden das reiche Material beleben, das ihm zu Gebote stehet. Wir werde[n] auf den
Inhalt dieses Taschenbuchs in einer ausführlichen Beurtheilung zurückkommen.



Unpolitische Lieder.

Hoffmann von Fallersleben, der in Belgien durch seine horae Belgicae und durch
Vielfache persönliche Beziehungen zahlreiche Freunde zählt, ist seiner Professur vor der
Hand in Breslau enthoben worden. Als Grund dieser überraschenden Maßregel wer¬
den dessen in Hamburg erschienene „Unpolitische Lieder“, denen ein zweiter Band
unlängst folgte — angegeben. Wir glauben an diese Ursache nicht. Diese Lieder sind,
ohngeachtet ihres satirischen Elementes, wahrlich nicht so bedeutend, um eine Maßregel
zu provoziren, die so viel Aufsehen erregt. Folgendes Lied mag als Probe dienen:

Wie ist doch die Zeitung interessant!
Wie ist doch die Zeitung interessant
Für unser liebes Vaterland!
Was haben wir heute nicht Alles vernommen!
Die Fürstin ist gestern niedergekommen,
Und morgen wird der Herzog kommen,
Hier ist der König heimgekommen,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/179554" facs="#f0171" n="163"/>
ser Gelegenheit einen Beweis schöner Humanität an den Tag gelegt. Sie hat dem<lb/>
auf Leben und Tod Angeklagten gestattet, sich in das Haus seiner Mutter zu begeben<lb/>
und mehrere Stunden bei ihr zuzubringen. Die Wachen hielten <hi rendition="#g">vor</hi> der Thüre, um<lb/>
die letzte Unterhaltung der sterbenden Frau mit ihrem Sohne nicht zu stören. &#x2014; Das<lb/>
heißt mit menschlichen Händen das Schwerdt des Gesetzes geführt. Die Gerechtigkeit<lb/>
ist keine Rachegöttin! Wie wenige Gerichte, und namentlich wie wenige politische Ge¬<lb/>
richte geben ein solches Beispiel.</p>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#g">Raumers Taschenbuch von 1842 und Herr Arendt in Löwen.</hi> </head><lb/>
          <p>Der so eben erschienene Jahrgang bringt einige historische Arbeiten von Interesse<lb/>
und Wichtigkeit. Das Raumer'sche Taschenbuch, das, seiner Anlage nnd Tendenz nach,<lb/>
sehr bedeutend ist, fing in den letzten Jahren an die Flügel hängen zu lassen, und<lb/>
ziemlich matt zu werden. Der frische nationale Sinn aber, der in der letzten Zeit in<lb/>
der ganzen deutschen Presse sich geltend zu machen begann, hat auch diesem Jahrgang<lb/>
einen lebensvollem Pulsschlag gebracht. Der historische Aufsatz über den armen Gecken-<lb/>
krieg, über den Verlust der Bisthümer Metz, Toul und Verdun, sind wichtige<lb/>
Beiträge zur deutschen Nationalgeschichte. Besonders interessant ist der Aufsatz über<lb/>
den großen Aufstand der Genter unter Karl V. Diese Arbeit erhellt ein Feld, wel¬<lb/>
ches in Deutschland noch sehr wenig bebaut und gekannt ist. Die Geschichte Flanderns<lb/>
ist ein Gebiet, wo das Interesse Deutschlands und Belgiens mit gleicher Wärme sich<lb/>
berührt. Herr <hi rendition="#g">Arendt</hi> (Professor an der Universität zu Löwen) könnte durch seine<lb/>
doppelte Beziehung zur deutschen und zur belgischen Literatur ein unberechenbares Ver¬<lb/>
dienst um die Geschichte beider Lande sich erwerben, wenn er die Anknüpfungspunkte,<lb/>
die, von dem Schutte der Zeit bedeckt, in den Hintergrund getreten sind, wieder her¬<lb/>
vorheben würde. Der freie Geist und die geschmackvolle Darstellung dieses Gelehrten,<lb/>
würden das reiche Material beleben, das ihm zu Gebote stehet. Wir werde<supplied>n</supplied> auf den<lb/>
Inhalt dieses Taschenbuchs in einer ausführlichen Beurtheilung zurückkommen.</p>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#g">Unpolitische Lieder.</hi> </head><lb/>
          <p>Hoffmann von Fallersleben, der in Belgien durch seine <hi rendition="#aq">horae Belgicae</hi> und durch<lb/>
Vielfache persönliche Beziehungen zahlreiche Freunde zählt, ist seiner Professur vor der<lb/>
Hand in Breslau enthoben worden. Als Grund dieser überraschenden Maßregel wer¬<lb/>
den dessen in Hamburg erschienene &#x201E;Unpolitische Lieder&#x201C;, denen ein zweiter Band<lb/>
unlängst folgte &#x2014; angegeben. Wir glauben an diese Ursache nicht. Diese Lieder sind,<lb/>
ohngeachtet ihres satirischen Elementes, wahrlich nicht so bedeutend, um eine Maßregel<lb/>
zu provoziren, die so viel Aufsehen erregt. Folgendes Lied mag als Probe dienen:</p><lb/>
          <lg type="poem" n="1">
            <head> <hi rendition="#g">Wie ist doch die Zeitung interessant!</hi> </head><lb/>
            <l>Wie ist doch die Zeitung interessant</l><lb/>
            <l>Für unser liebes Vaterland!</l><lb/>
            <l>Was haben wir heute nicht Alles vernommen!</l><lb/>
            <l>Die Fürstin ist gestern niedergekommen,</l><lb/>
            <l>Und morgen wird der Herzog kommen,</l><lb/>
            <l>Hier ist der König heimgekommen,</l>
          </lg><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[163/0171] ser Gelegenheit einen Beweis schöner Humanität an den Tag gelegt. Sie hat dem auf Leben und Tod Angeklagten gestattet, sich in das Haus seiner Mutter zu begeben und mehrere Stunden bei ihr zuzubringen. Die Wachen hielten vor der Thüre, um die letzte Unterhaltung der sterbenden Frau mit ihrem Sohne nicht zu stören. — Das heißt mit menschlichen Händen das Schwerdt des Gesetzes geführt. Die Gerechtigkeit ist keine Rachegöttin! Wie wenige Gerichte, und namentlich wie wenige politische Ge¬ richte geben ein solches Beispiel. Raumers Taschenbuch von 1842 und Herr Arendt in Löwen. Der so eben erschienene Jahrgang bringt einige historische Arbeiten von Interesse und Wichtigkeit. Das Raumer'sche Taschenbuch, das, seiner Anlage nnd Tendenz nach, sehr bedeutend ist, fing in den letzten Jahren an die Flügel hängen zu lassen, und ziemlich matt zu werden. Der frische nationale Sinn aber, der in der letzten Zeit in der ganzen deutschen Presse sich geltend zu machen begann, hat auch diesem Jahrgang einen lebensvollem Pulsschlag gebracht. Der historische Aufsatz über den armen Gecken- krieg, über den Verlust der Bisthümer Metz, Toul und Verdun, sind wichtige Beiträge zur deutschen Nationalgeschichte. Besonders interessant ist der Aufsatz über den großen Aufstand der Genter unter Karl V. Diese Arbeit erhellt ein Feld, wel¬ ches in Deutschland noch sehr wenig bebaut und gekannt ist. Die Geschichte Flanderns ist ein Gebiet, wo das Interesse Deutschlands und Belgiens mit gleicher Wärme sich berührt. Herr Arendt (Professor an der Universität zu Löwen) könnte durch seine doppelte Beziehung zur deutschen und zur belgischen Literatur ein unberechenbares Ver¬ dienst um die Geschichte beider Lande sich erwerben, wenn er die Anknüpfungspunkte, die, von dem Schutte der Zeit bedeckt, in den Hintergrund getreten sind, wieder her¬ vorheben würde. Der freie Geist und die geschmackvolle Darstellung dieses Gelehrten, würden das reiche Material beleben, das ihm zu Gebote stehet. Wir werden auf den Inhalt dieses Taschenbuchs in einer ausführlichen Beurtheilung zurückkommen. Unpolitische Lieder. Hoffmann von Fallersleben, der in Belgien durch seine horae Belgicae und durch Vielfache persönliche Beziehungen zahlreiche Freunde zählt, ist seiner Professur vor der Hand in Breslau enthoben worden. Als Grund dieser überraschenden Maßregel wer¬ den dessen in Hamburg erschienene „Unpolitische Lieder“, denen ein zweiter Band unlängst folgte — angegeben. Wir glauben an diese Ursache nicht. Diese Lieder sind, ohngeachtet ihres satirischen Elementes, wahrlich nicht so bedeutend, um eine Maßregel zu provoziren, die so viel Aufsehen erregt. Folgendes Lied mag als Probe dienen: Wie ist doch die Zeitung interessant! Wie ist doch die Zeitung interessant Für unser liebes Vaterland! Was haben wir heute nicht Alles vernommen! Die Fürstin ist gestern niedergekommen, Und morgen wird der Herzog kommen, Hier ist der König heimgekommen,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-11-19T17:23:38Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Bayerische Staatbibliothek: Bereitstellung der Bilddigitalisate (Signatur Per 61 k-1). (2013-11-19T17:23:38Z)

Weitere Informationen:

Art der Texterfassung: OCR.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_179382_282158
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_179382_282158/171
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_179382_282158/171>, abgerufen am 22.12.2024.