Ueber die neueste politische Poesie der Deutschen. Eine Glosse von Th. Creizenach.
"Ein garstig Lied! Pfui, ein politisch Lied."
"Dankt Gott jeden Morgen, daß ihr nicht braucht für's römische Reich zu sorgen!" So spricht Göthe, und obwohl er diese Worte einem lüderlichen Gesellen in den Mund legt, so ist doch nicht zu bezweifeln, daß seine eigene Ansicht darin ausgedrückt sei. Auch später tadelte er, wie uns Eckermann berichtet, die von andern hochgepriesene politische Richtung Uhlands. So weit die Lehre vom "unmittelbaren Genie" noch ausschließliche Geltung hat, wird man dieses Credo vielleicht noch beschwören; denn jede Beimischung einer Tendenz, sie sei noch so edel, gibt dem Gedicht einen Zweck, und man weiß, wie fatal dieses Wort in der Poesie klingt. Die neueste Zeit urtheilt anders. Viele Productionen, die vor der ästhetischen Kritik nicht bestehen können, sind durch ihre Gesinnung zu großer Anerkennung gekom¬ men. Gervinus schließt die Vorrede zum vierten Bande seiner Literatur¬ geschichte mit den Worten des Percy Heißsporn: "Dichten? ich wäre ein Kätzchen lieber und schrie Miau, als einer von den Versballadenkrämern. Lieben! Ist dies 'ne Welt zum Puppenspielen und mit Lippen fechten?" -- Gervinus, von der "jungen Literatur" eben so stark angefochten, als -- geplündert, hat gewiß in dem eben genannten Buche ein Werk geliefert, das ein Geschenk für die Nation genannt werden kann. Die dunkelsten Zeiten, die verworrensten Richtungen, weiß er durch großartig gefaßte histo¬ rische Prinzipien zu beleben; es sind wenig deutsche Gelehrten durch so viel
Literatur.
Ueber die neueste politische Poesie der Deutschen. Eine Glosse von Th. Creizenach.
„Ein garstig Lied! Pfui, ein politisch Lied.“
„Dankt Gott jeden Morgen, daß ihr nicht braucht für's römische Reich zu sorgen!“ So spricht Göthe, und obwohl er diese Worte einem lüderlichen Gesellen in den Mund legt, so ist doch nicht zu bezweifeln, daß seine eigene Ansicht darin ausgedrückt sei. Auch später tadelte er, wie uns Eckermann berichtet, die von andern hochgepriesene politische Richtung Uhlands. So weit die Lehre vom „unmittelbaren Genie“ noch ausschließliche Geltung hat, wird man dieses Credo vielleicht noch beschwören; denn jede Beimischung einer Tendenz, sie sei noch so edel, gibt dem Gedicht einen Zweck, und man weiß, wie fatal dieses Wort in der Poesie klingt. Die neueste Zeit urtheilt anders. Viele Productionen, die vor der ästhetischen Kritik nicht bestehen können, sind durch ihre Gesinnung zu großer Anerkennung gekom¬ men. Gervinus schließt die Vorrede zum vierten Bande seiner Literatur¬ geschichte mit den Worten des Percy Heißsporn: „Dichten? ich wäre ein Kätzchen lieber und schrie Miau, als einer von den Versballadenkrämern. Lieben! Ist dies 'ne Welt zum Puppenspielen und mit Lippen fechten?“ — Gervinus, von der „jungen Literatur“ eben so stark angefochten, als — geplündert, hat gewiß in dem eben genannten Buche ein Werk geliefert, das ein Geschenk für die Nation genannt werden kann. Die dunkelsten Zeiten, die verworrensten Richtungen, weiß er durch großartig gefaßte histo¬ rische Prinzipien zu beleben; es sind wenig deutsche Gelehrten durch so viel
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Literatur.
Ueber die neueste politische Poesie der Deutschen.
Eine Glosse von Th. Creizenach.
„Ein garstig Lied! Pfui, ein politisch Lied.“
„Dankt Gott jeden Morgen, daß ihr nicht braucht für's römische
Reich zu sorgen!“ So spricht Göthe, und obwohl er diese Worte einem
lüderlichen Gesellen in den Mund legt, so ist doch nicht zu bezweifeln, daß
seine eigene Ansicht darin ausgedrückt sei. Auch später tadelte er, wie uns
Eckermann berichtet, die von andern hochgepriesene politische Richtung Uhlands.
So weit die Lehre vom „unmittelbaren Genie“ noch ausschließliche Geltung
hat, wird man dieses Credo vielleicht noch beschwören; denn jede Beimischung
einer Tendenz, sie sei noch so edel, gibt dem Gedicht einen Zweck, und
man weiß, wie fatal dieses Wort in der Poesie klingt. Die neueste Zeit
urtheilt anders. Viele Productionen, die vor der ästhetischen Kritik nicht
bestehen können, sind durch ihre Gesinnung zu großer Anerkennung gekom¬
men. Gervinus schließt die Vorrede zum vierten Bande seiner Literatur¬
geschichte mit den Worten des Percy Heißsporn: „Dichten? ich wäre ein
Kätzchen lieber und schrie Miau, als einer von den Versballadenkrämern.
Lieben! Ist dies 'ne Welt zum Puppenspielen und mit Lippen fechten?“ —
Gervinus, von der „jungen Literatur“ eben so stark angefochten, als —
geplündert, hat gewiß in dem eben genannten Buche ein Werk geliefert,
das ein Geschenk für die Nation genannt werden kann. Die dunkelsten
Zeiten, die verworrensten Richtungen, weiß er durch großartig gefaßte histo¬
rische Prinzipien zu beleben; es sind wenig deutsche Gelehrten durch so viel
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Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841, S. 159. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_179382_282158/167>, abgerufen am 23.07.2024.
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