Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730.

Bild:
<< vorherige Seite
Des II Theils VII Capitel
IV. Nach dem Französischen des Boursault.
Madrigal.
MAn fragt mich, ob ich liebe?
Ja; ich bekenne meine Triebe.
Jch liebe Doris,
Jch liebe Chloris,
Jch liebe Flavien,
Jch lieb Aspasien,
Jch liebe Cölestinen,
Jch liebe Carolinen,
Kurtz, Fritzchen, Lottchen, Hannchen,
Sophiechen und Susannchen,
Und hundert andre mehr.
Heißt das nicht recht geliebt? O nein! Woran gebrichts?
Jch liebe gar zu viel, das heist, ich liebe nichts.
V. Gleichfalls aus dem Frantzösischen an eine Spröde.
Madrigal.
JCh bin nicht mehr dein Unterthan,
Jch will dich nicht zu meinem Leitstern wehlen.
Dein Auge, das so reitzen kan,
Soll mich hinführo nicht mehr quälen.
Du bist zwar artig, klug und schön,
Was wollt ich mehr als deine Gunst gewinnen?
Allein du bist von Felsenharten Sinnen,
Die aller Reitzung wiederstehn.
Da nun dein Hertz so unerbittlich ist,
So schwer und langsam zu bewegen:
Wohlan; so bleibe was du bist;
Der Schluß ist schon gemacht.
Jch werde mich um dich nicht in die Grube legen.
VI. An die Frau von Marschall,
Als sie mich vor die Zuschrifft eines Buches mit einem
silbernen Schreibzeuge beschencket hatte.

Madrigal.
OGönnerin, wenn ich bedencke,
Wie wenig dich mein Kiel verehrt,
So hat dein köstliches Geschencke
Mich gantz beschämt, mir alle Lust gestört.
Jch
Des II Theils VII Capitel
IV. Nach dem Franzoͤſiſchen des Bourſault.
Madrigal.
MAn fragt mich, ob ich liebe?
Ja; ich bekenne meine Triebe.
Jch liebe Doris,
Jch liebe Chloris,
Jch liebe Flavien,
Jch lieb Aſpaſien,
Jch liebe Coͤleſtinen,
Jch liebe Carolinen,
Kurtz, Fritzchen, Lottchen, Hannchen,
Sophiechen und Suſannchen,
Und hundert andre mehr.
Heißt das nicht recht geliebt? O nein! Woran gebrichts?
Jch liebe gar zu viel, das heiſt, ich liebe nichts.
V. Gleichfalls aus dem Frantzoͤſiſchen an eine Sproͤde.
Madrigal.
JCh bin nicht mehr dein Unterthan,
Jch will dich nicht zu meinem Leitſtern wehlen.
Dein Auge, das ſo reitzen kan,
Soll mich hinfuͤhro nicht mehr quaͤlen.
Du biſt zwar artig, klug und ſchoͤn,
Was wollt ich mehr als deine Gunſt gewinnen?
Allein du biſt von Felſenharten Sinnen,
Die aller Reitzung wiederſtehn.
Da nun dein Hertz ſo unerbittlich iſt,
So ſchwer und langſam zu bewegen:
Wohlan; ſo bleibe was du biſt;
Der Schluß iſt ſchon gemacht.
Jch werde mich um dich nicht in die Grube legen.
VI. An die Frau von Marſchall,
Als ſie mich vor die Zuſchrifft eines Buches mit einem
ſilbernen Schreibzeuge beſchencket hatte.

Madrigal.
OGoͤnnerin, wenn ich bedencke,
Wie wenig dich mein Kiel verehrt,
So hat dein koͤſtliches Geſchencke
Mich gantz beſchaͤmt, mir alle Luſt geſtoͤrt.
Jch
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0522" n="494"/>
            <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Des <hi rendition="#aq">II</hi> Theils <hi rendition="#aq">VII</hi> Capitel</hi> </fw><lb/>
            <div n="4">
              <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">IV.</hi> Nach dem Franzo&#x0364;&#x017F;i&#x017F;chen des Bour&#x017F;ault.</hi><lb/> <hi rendition="#fr">Madrigal.</hi> </head><lb/>
              <lg type="poem">
                <l><hi rendition="#in">M</hi>An fragt mich, ob ich liebe?</l><lb/>
                <l>Ja; ich bekenne meine Triebe.</l><lb/>
                <l>Jch liebe Doris,</l><lb/>
                <l>Jch liebe Chloris,</l><lb/>
                <l>Jch liebe Flavien,</l><lb/>
                <l>Jch lieb A&#x017F;pa&#x017F;ien,</l><lb/>
                <l>Jch liebe Co&#x0364;le&#x017F;tinen,</l><lb/>
                <l>Jch liebe Carolinen,</l><lb/>
                <l>Kurtz, Fritzchen, Lottchen, Hannchen,</l><lb/>
                <l>Sophiechen und Su&#x017F;annchen,</l><lb/>
                <l>Und hundert andre mehr.</l><lb/>
                <l>Heißt das nicht recht geliebt? O nein! Woran gebrichts?</l><lb/>
                <l>Jch liebe gar zu viel, das hei&#x017F;t, ich liebe nichts.</l>
              </lg>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">V.</hi> Gleichfalls aus dem Frantzo&#x0364;&#x017F;i&#x017F;chen an eine Spro&#x0364;de.</hi><lb/> <hi rendition="#fr">Madrigal.</hi> </head><lb/>
              <lg type="poem">
                <l><hi rendition="#in">J</hi>Ch bin nicht mehr dein Unterthan,</l><lb/>
                <l>Jch will dich nicht zu meinem Leit&#x017F;tern wehlen.</l><lb/>
                <l>Dein Auge, das &#x017F;o reitzen kan,</l><lb/>
                <l>Soll mich hinfu&#x0364;hro nicht mehr qua&#x0364;len.</l><lb/>
                <l>Du bi&#x017F;t zwar artig, klug und &#x017F;cho&#x0364;n,</l><lb/>
                <l>Was wollt ich mehr als deine Gun&#x017F;t gewinnen?</l><lb/>
                <l>Allein du bi&#x017F;t von Fel&#x017F;enharten Sinnen,</l><lb/>
                <l>Die aller Reitzung wieder&#x017F;tehn.</l><lb/>
                <l>Da nun dein Hertz &#x017F;o unerbittlich i&#x017F;t,</l><lb/>
                <l>So &#x017F;chwer und lang&#x017F;am zu bewegen:</l><lb/>
                <l>Wohlan; &#x017F;o bleibe was du bi&#x017F;t;</l><lb/>
                <l>Der Schluß i&#x017F;t &#x017F;chon gemacht.</l><lb/>
                <l>Jch werde mich um dich nicht in die Grube legen.</l>
              </lg>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">VI.</hi> An die Frau von Mar&#x017F;chall,<lb/>
Als &#x017F;ie mich vor die Zu&#x017F;chrifft eines Buches mit einem<lb/>
&#x017F;ilbernen Schreibzeuge be&#x017F;chencket hatte.</hi><lb/> <hi rendition="#fr">Madrigal.</hi> </head><lb/>
              <lg type="poem">
                <l><hi rendition="#in">O</hi>Go&#x0364;nnerin, wenn ich bedencke,</l><lb/>
                <l>Wie wenig dich mein Kiel verehrt,</l><lb/>
                <l>So hat dein ko&#x0364;&#x017F;tliches Ge&#x017F;chencke</l><lb/>
                <l>Mich gantz be&#x017F;cha&#x0364;mt, mir alle Lu&#x017F;t ge&#x017F;to&#x0364;rt.</l><lb/>
                <fw place="bottom" type="catch">Jch</fw><lb/>
              </lg>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[494/0522] Des II Theils VII Capitel IV. Nach dem Franzoͤſiſchen des Bourſault. Madrigal. MAn fragt mich, ob ich liebe? Ja; ich bekenne meine Triebe. Jch liebe Doris, Jch liebe Chloris, Jch liebe Flavien, Jch lieb Aſpaſien, Jch liebe Coͤleſtinen, Jch liebe Carolinen, Kurtz, Fritzchen, Lottchen, Hannchen, Sophiechen und Suſannchen, Und hundert andre mehr. Heißt das nicht recht geliebt? O nein! Woran gebrichts? Jch liebe gar zu viel, das heiſt, ich liebe nichts. V. Gleichfalls aus dem Frantzoͤſiſchen an eine Sproͤde. Madrigal. JCh bin nicht mehr dein Unterthan, Jch will dich nicht zu meinem Leitſtern wehlen. Dein Auge, das ſo reitzen kan, Soll mich hinfuͤhro nicht mehr quaͤlen. Du biſt zwar artig, klug und ſchoͤn, Was wollt ich mehr als deine Gunſt gewinnen? Allein du biſt von Felſenharten Sinnen, Die aller Reitzung wiederſtehn. Da nun dein Hertz ſo unerbittlich iſt, So ſchwer und langſam zu bewegen: Wohlan; ſo bleibe was du biſt; Der Schluß iſt ſchon gemacht. Jch werde mich um dich nicht in die Grube legen. VI. An die Frau von Marſchall, Als ſie mich vor die Zuſchrifft eines Buches mit einem ſilbernen Schreibzeuge beſchencket hatte. Madrigal. OGoͤnnerin, wenn ich bedencke, Wie wenig dich mein Kiel verehrt, So hat dein koͤſtliches Geſchencke Mich gantz beſchaͤmt, mir alle Luſt geſtoͤrt. Jch

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/522
Zitationshilfe: Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 494. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/522>, abgerufen am 21.11.2024.