Gotthelf, Jeremias [d. i. Albert Bitzius]: Kurt von Koppigen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 12. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–194. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Die Gestalt der Erde geht vorüber, gleich bleibt sich das Menschenherz für und für. Es wechseln über dem Schooße der Erde die Jahreszeiten, aber es wandelt sich nicht der Schooß der Erde. Lieblich ist's im weichen, warmen Frühlingswehen, aber wer des Eises gewohnt ist, sehnt nach des Nordpols eisigen Winden sich. Wer gewohnt ist an milde Sitten, an ein weichlich Leben, den schaudert vor der Rauhheit vergangener Zeiten; wer in jenen Zeiten gelebt, den würde, in unsere Zeit versetzt, der Ekel tödten, gleich dem Fische des Meeres das süße Wasser. So hat Gott es geordnet, der Mensch wird es nicht ändern. Aber Gott will auch, daß der Mensch betrachte die vergangenen Zeiten; nicht als Eintagsfliege ohne Zukunft hat Gott den Menschen geschaffen, und wer die ihm geordnete Zukunft genießen will, muß sich dazu stärken an der Vergangenheit. Wie jede Jahreszeit ihre Vorzüge hat und ihre Einflüsse, so jede Zeit im Weltenlauf. Aus den vergangenen Zeiten soll der Mensch das Gute nehmen und damit bessern sich und seine Die Gestalt der Erde geht vorüber, gleich bleibt sich das Menschenherz für und für. Es wechseln über dem Schooße der Erde die Jahreszeiten, aber es wandelt sich nicht der Schooß der Erde. Lieblich ist's im weichen, warmen Frühlingswehen, aber wer des Eises gewohnt ist, sehnt nach des Nordpols eisigen Winden sich. Wer gewohnt ist an milde Sitten, an ein weichlich Leben, den schaudert vor der Rauhheit vergangener Zeiten; wer in jenen Zeiten gelebt, den würde, in unsere Zeit versetzt, der Ekel tödten, gleich dem Fische des Meeres das süße Wasser. So hat Gott es geordnet, der Mensch wird es nicht ändern. Aber Gott will auch, daß der Mensch betrachte die vergangenen Zeiten; nicht als Eintagsfliege ohne Zukunft hat Gott den Menschen geschaffen, und wer die ihm geordnete Zukunft genießen will, muß sich dazu stärken an der Vergangenheit. Wie jede Jahreszeit ihre Vorzüge hat und ihre Einflüsse, so jede Zeit im Weltenlauf. Aus den vergangenen Zeiten soll der Mensch das Gute nehmen und damit bessern sich und seine <TEI> <text> <front> <div type="preface"> <pb facs="#f0008"/> </div> </front> <body> <div type="chapter" n="0"> <p>Die Gestalt der Erde geht vorüber, gleich bleibt sich das Menschenherz für und für. Es wechseln über dem Schooße der Erde die Jahreszeiten, aber es wandelt sich nicht der Schooß der Erde. Lieblich ist's im weichen, warmen Frühlingswehen, aber wer des Eises gewohnt ist, sehnt nach des Nordpols eisigen Winden sich. Wer gewohnt ist an milde Sitten, an ein weichlich Leben, den schaudert vor der Rauhheit vergangener Zeiten; wer in jenen Zeiten gelebt, den würde, in unsere Zeit versetzt, der Ekel tödten, gleich dem Fische des Meeres das süße Wasser. So hat Gott es geordnet, der Mensch wird es nicht ändern. Aber Gott will auch, daß der Mensch betrachte die vergangenen Zeiten; nicht als Eintagsfliege ohne Zukunft hat Gott den Menschen geschaffen, und wer die ihm geordnete Zukunft genießen will, muß sich dazu stärken an der Vergangenheit. Wie jede Jahreszeit ihre Vorzüge hat und ihre Einflüsse, so jede Zeit im Weltenlauf. Aus den vergangenen Zeiten soll der Mensch das Gute nehmen und damit bessern sich und seine<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0008]
Die Gestalt der Erde geht vorüber, gleich bleibt sich das Menschenherz für und für. Es wechseln über dem Schooße der Erde die Jahreszeiten, aber es wandelt sich nicht der Schooß der Erde. Lieblich ist's im weichen, warmen Frühlingswehen, aber wer des Eises gewohnt ist, sehnt nach des Nordpols eisigen Winden sich. Wer gewohnt ist an milde Sitten, an ein weichlich Leben, den schaudert vor der Rauhheit vergangener Zeiten; wer in jenen Zeiten gelebt, den würde, in unsere Zeit versetzt, der Ekel tödten, gleich dem Fische des Meeres das süße Wasser. So hat Gott es geordnet, der Mensch wird es nicht ändern. Aber Gott will auch, daß der Mensch betrachte die vergangenen Zeiten; nicht als Eintagsfliege ohne Zukunft hat Gott den Menschen geschaffen, und wer die ihm geordnete Zukunft genießen will, muß sich dazu stärken an der Vergangenheit. Wie jede Jahreszeit ihre Vorzüge hat und ihre Einflüsse, so jede Zeit im Weltenlauf. Aus den vergangenen Zeiten soll der Mensch das Gute nehmen und damit bessern sich und seine
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_koppingen_1910 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_koppingen_1910/8 |
Zitationshilfe: | Gotthelf, Jeremias [d. i. Albert Bitzius]: Kurt von Koppigen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 12. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–194. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_koppingen_1910/8>, abgerufen am 22.02.2025. |