Goethe, Johann Wolfgang von: Die Leiden des jungen Werthers. Bd. 2. Leipzig, 1774.am 30. Oktober. Wenn ich nicht schon hundertmal auf dem Punkte am 3. November. Weis Gott, ich lege mich so oft zu Bette mit liegt,
am 30. Oktober. Wenn ich nicht ſchon hundertmal auf dem Punkte am 3. November. Weis Gott, ich lege mich ſo oft zu Bette mit liegt,
<TEI> <text> <body> <div type="diaryEntry"> <div type="diaryEntry"> <pb facs="#f0044" n="156"/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div type="diaryEntry"> <dateline> <hi rendition="#et">am 30. Oktober.</hi> </dateline><lb/> <p><hi rendition="#in">W</hi>enn ich nicht ſchon hundertmal auf dem Punkte<lb/> geſtanden bin ihr um den Hals zu fallen.<lb/> Weis der große Gott, wie einem das thut, ſo viel<lb/> Liebenswuͤrdigkeit vor ſich herumkreuzen zu ſehn und<lb/> nicht zugreifen zu duͤrfen. Und das Zugreifen iſt<lb/> doch der natuͤrlichſte Trieb der Menſchheit. Grei-<lb/> fen die Kinder nicht nach allem was ihnen in Sinn<lb/> faͤllt? Und ich?</p><lb/> </div> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div type="diaryEntry"> <dateline> <hi rendition="#et">am 3. November.</hi> </dateline><lb/> <p><hi rendition="#in">W</hi>eis Gott, ich lege mich ſo oft zu Bette mit<lb/> dem Wunſche, ja manchmal mit der Hof-<lb/> nung, nicht wieder zu erwachen, und Morgens<lb/> ſchlag ich die Augen auf, ſehe die Sonne wieder,<lb/> und bin elend. O daß ich launiſch ſeyn koͤnnte,<lb/> koͤnnte die Schuld auf’s Wetter, auf einen drit-<lb/> ten, auf eine fehlgeſchlagene Unternehmung ſchie-<lb/> hen; ſo wuͤrde die unertraͤgliche Laſt des Unwillens<lb/> doch nur halb auf mir ruhen. Weh mir, ich<lb/> fuͤhle zu wahr, daß an mir allein alle Schuld<lb/> <fw place="bottom" type="catch">liegt,</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [156/0044]
am 30. Oktober.
Wenn ich nicht ſchon hundertmal auf dem Punkte
geſtanden bin ihr um den Hals zu fallen.
Weis der große Gott, wie einem das thut, ſo viel
Liebenswuͤrdigkeit vor ſich herumkreuzen zu ſehn und
nicht zugreifen zu duͤrfen. Und das Zugreifen iſt
doch der natuͤrlichſte Trieb der Menſchheit. Grei-
fen die Kinder nicht nach allem was ihnen in Sinn
faͤllt? Und ich?
am 3. November.
Weis Gott, ich lege mich ſo oft zu Bette mit
dem Wunſche, ja manchmal mit der Hof-
nung, nicht wieder zu erwachen, und Morgens
ſchlag ich die Augen auf, ſehe die Sonne wieder,
und bin elend. O daß ich launiſch ſeyn koͤnnte,
koͤnnte die Schuld auf’s Wetter, auf einen drit-
ten, auf eine fehlgeſchlagene Unternehmung ſchie-
hen; ſo wuͤrde die unertraͤgliche Laſt des Unwillens
doch nur halb auf mir ruhen. Weh mir, ich
fuͤhle zu wahr, daß an mir allein alle Schuld
liegt,
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_werther02_1774 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_werther02_1774/44 |
Zitationshilfe: | Goethe, Johann Wolfgang von: Die Leiden des jungen Werthers. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_werther02_1774/44>, abgerufen am 22.02.2025. |