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Goethe, Johann Wolfgang von: Die Leiden des jungen Werthers. Bd. 2. Leipzig, 1774.

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Vorhaben, er widerrieth mir's, und es müßte bey
mir mehr Leidenschaft als Grille gewesen seyn,
wenn ich seinen Gründen nicht hätte Gehör geben
wollen.




Sag was Du willst, ich kann nicht länger blei-
ben. Was soll ich hier? Die Zeit wird
mir lang. Der Fürst hält mich wie seines Glei-
chen gut, und doch bin ich nicht in meiner Lage.
Und dann, wir haben im Grunde nichts gemeines
mit einander. Er ist ein Mann von Verstande,
aber von ganz gemeinem Verstande, sein Umgang
unterhält mich nicht mehr, als wenn ich ein wohl-
geschrieben Buch lese. Noch acht Tage bleib ich,
und dann zieh ich wieder in der Jrre herum. Das
beste, was ich hier gethan habe, ist mein Zeichnen.
Und der Fürst fühlt in der Kunst, und würde noch
stärker fühlen, wenn er nicht durch das garstige,
wissenschaftliche Wesen, und durch die gewöhnliche
Terminologie eingeschränkt wäre. Manchmal
knirsch ich mit den Zähnen, wenn ich ihn mit war-
mer Jmagination so an Natur und Kunst herum

führe



Vorhaben, er widerrieth mir’s, und es muͤßte bey
mir mehr Leidenſchaft als Grille geweſen ſeyn,
wenn ich ſeinen Gruͤnden nicht haͤtte Gehoͤr geben
wollen.




Sag was Du willſt, ich kann nicht laͤnger blei-
ben. Was ſoll ich hier? Die Zeit wird
mir lang. Der Fuͤrſt haͤlt mich wie ſeines Glei-
chen gut, und doch bin ich nicht in meiner Lage.
Und dann, wir haben im Grunde nichts gemeines
mit einander. Er iſt ein Mann von Verſtande,
aber von ganz gemeinem Verſtande, ſein Umgang
unterhaͤlt mich nicht mehr, als wenn ich ein wohl-
geſchrieben Buch leſe. Noch acht Tage bleib ich,
und dann zieh ich wieder in der Jrre herum. Das
beſte, was ich hier gethan habe, iſt mein Zeichnen.
Und der Fuͤrſt fuͤhlt in der Kunſt, und wuͤrde noch
ſtaͤrker fuͤhlen, wenn er nicht durch das garſtige,
wiſſenſchaftliche Weſen, und durch die gewoͤhnliche
Terminologie eingeſchraͤnkt waͤre. Manchmal
knirſch ich mit den Zaͤhnen, wenn ich ihn mit war-
mer Jmagination ſo an Natur und Kunſt herum

fuͤhre
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[143/0031] Vorhaben, er widerrieth mir’s, und es muͤßte bey mir mehr Leidenſchaft als Grille geweſen ſeyn, wenn ich ſeinen Gruͤnden nicht haͤtte Gehoͤr geben wollen. am 11. Juni. Sag was Du willſt, ich kann nicht laͤnger blei- ben. Was ſoll ich hier? Die Zeit wird mir lang. Der Fuͤrſt haͤlt mich wie ſeines Glei- chen gut, und doch bin ich nicht in meiner Lage. Und dann, wir haben im Grunde nichts gemeines mit einander. Er iſt ein Mann von Verſtande, aber von ganz gemeinem Verſtande, ſein Umgang unterhaͤlt mich nicht mehr, als wenn ich ein wohl- geſchrieben Buch leſe. Noch acht Tage bleib ich, und dann zieh ich wieder in der Jrre herum. Das beſte, was ich hier gethan habe, iſt mein Zeichnen. Und der Fuͤrſt fuͤhlt in der Kunſt, und wuͤrde noch ſtaͤrker fuͤhlen, wenn er nicht durch das garſtige, wiſſenſchaftliche Weſen, und durch die gewoͤhnliche Terminologie eingeſchraͤnkt waͤre. Manchmal knirſch ich mit den Zaͤhnen, wenn ich ihn mit war- mer Jmagination ſo an Natur und Kunſt herum fuͤhre

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Die Leiden des jungen Werthers. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 143. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_werther02_1774/31>, abgerufen am 21.12.2024.