Man denke sich Wilhelms Zustand, als er von dieser Unterredung nach Hause kam. Alle seine alten Wunden waren wieder auf¬ gerissen, und das Gefühl, daß sie seiner Liebe nicht ganz unwürdig gewesen, wieder lebhaft geworden; denn in dem Interesse des Alten, in dem Lobe, das er ihr wider Willen geben mußte, war unserm Freunde ihre ganze Lie¬ benswürdigkeit wieder erschienen; ja selbst die heftige Anklage des leidenschaftlichen Mannes enthielt nichts, das sie vor Wil¬ helms Augen hätte herabsetzen können. Denn dieser bekannte sich selbst als Mitschuldigen ihrer Vergehungen, und ihr Schweigen zu¬ letzt schien ihm nicht tadelhaft, er machte sich vielmehr nur traurige Gedanken darüber,
sah
Achtes Capitel.
Man denke ſich Wilhelms Zuſtand, als er von dieſer Unterredung nach Hauſe kam. Alle ſeine alten Wunden waren wieder auf¬ geriſſen, und das Gefühl, daß ſie ſeiner Liebe nicht ganz unwürdig geweſen, wieder lebhaft geworden; denn in dem Intereſſe des Alten, in dem Lobe, das er ihr wider Willen geben mußte, war unſerm Freunde ihre ganze Lie¬ benswürdigkeit wieder erſchienen; ja ſelbſt die heftige Anklage des leidenſchaftlichen Mannes enthielt nichts, das ſie vor Wil¬ helms Augen hätte herabſetzen können. Denn dieſer bekannte ſich ſelbſt als Mitſchuldigen ihrer Vergehungen, und ihr Schweigen zu¬ letzt ſchien ihm nicht tadelhaft, er machte ſich vielmehr nur traurige Gedanken darüber,
ſah
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Achtes Capitel.
Man denke ſich Wilhelms Zuſtand, als er
von dieſer Unterredung nach Hauſe kam.
Alle ſeine alten Wunden waren wieder auf¬
geriſſen, und das Gefühl, daß ſie ſeiner Liebe
nicht ganz unwürdig geweſen, wieder lebhaft
geworden; denn in dem Intereſſe des Alten,
in dem Lobe, das er ihr wider Willen geben
mußte, war unſerm Freunde ihre ganze Lie¬
benswürdigkeit wieder erſchienen; ja ſelbſt
die heftige Anklage des leidenſchaftlichen
Mannes enthielt nichts, das ſie vor Wil¬
helms Augen hätte herabſetzen können. Denn
dieſer bekannte ſich ſelbſt als Mitſchuldigen
ihrer Vergehungen, und ihr Schweigen zu¬
letzt ſchien ihm nicht tadelhaft, er machte ſich
vielmehr nur traurige Gedanken darüber,
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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 1. Berlin, 1795, S. 288. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre01_1795/296>, abgerufen am 21.11.2024.
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