"Um mich einmal gründlich von der wahrhaften Ursache der Farben und von dem was ihren Unter- schied macht zu unterrichten, glaubte ich nichts besseres thun zu können, als deshalb die Natur zu befragen, indem ich mit Sorgfalt die vorzüglichsten Verände- rungen bemerkte, die sich zeigen, wenn Farben her- vortreten und wechseln, damit ich nachher ein System feststellen könnte, das auf gründlichen Untersuchungen ruhte, welche klar und unzweydeutig die Wahrheit be- zeugten. Und so bemerkte ich"
"Erstlich, daß alle Farben in der Finsterniß ver- schwanden. Daraus war ich berechtigt zu schließen, daß das Licht zu den Farben wesentlich erforder- lich sey."
"Zweytens, daß keine Farben entstehen in einem völlig durchsichtigen Mittel, so sehr es auch erleuchtet sey, eben weil darin nichts zugegen ist als Licht ohne Schatten. Daraus mußte ich schließen, daß der Schatten eben so wesentlich den Farben sey als das Licht."
"Drittens bemerkte ich, daß verschiedene Farben entstehen gerade in der Gegend, wo Licht und Schatten sich verschiedentlich vermischen, z. B. wenn die Licht- strahlen auf irgend einen dunklen Körper fielen oder
Nuͤguet’s Farbenſyſtem.
„Um mich einmal gruͤndlich von der wahrhaften Urſache der Farben und von dem was ihren Unter- ſchied macht zu unterrichten, glaubte ich nichts beſſeres thun zu koͤnnen, als deshalb die Natur zu befragen, indem ich mit Sorgfalt die vorzuͤglichſten Veraͤnde- rungen bemerkte, die ſich zeigen, wenn Farben her- vortreten und wechſeln, damit ich nachher ein Syſtem feſtſtellen koͤnnte, das auf gruͤndlichen Unterſuchungen ruhte, welche klar und unzweydeutig die Wahrheit be- zeugten. Und ſo bemerkte ich“
„Erſtlich, daß alle Farben in der Finſterniß ver- ſchwanden. Daraus war ich berechtigt zu ſchließen, daß das Licht zu den Farben weſentlich erforder- lich ſey.“
„Zweytens, daß keine Farben entſtehen in einem voͤllig durchſichtigen Mittel, ſo ſehr es auch erleuchtet ſey, eben weil darin nichts zugegen iſt als Licht ohne Schatten. Daraus mußte ich ſchließen, daß der Schatten eben ſo weſentlich den Farben ſey als das Licht.“
„Drittens bemerkte ich, daß verſchiedene Farben entſtehen gerade in der Gegend, wo Licht und Schatten ſich verſchiedentlich vermiſchen, z. B. wenn die Licht- ſtrahlen auf irgend einen dunklen Koͤrper fielen oder
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0366"n="332"/><divn="2"><head><hirendition="#g">Nuͤguet’s<lb/>
Farbenſyſtem</hi>.</head><lb/><p>„Um mich einmal gruͤndlich von der wahrhaften<lb/>
Urſache der Farben und von dem was ihren Unter-<lb/>ſchied macht zu unterrichten, glaubte ich nichts beſſeres<lb/>
thun zu koͤnnen, als deshalb die Natur zu befragen,<lb/>
indem ich mit Sorgfalt die vorzuͤglichſten Veraͤnde-<lb/>
rungen bemerkte, die ſich zeigen, wenn Farben her-<lb/>
vortreten und wechſeln, damit ich nachher ein Syſtem<lb/>
feſtſtellen koͤnnte, das auf gruͤndlichen Unterſuchungen<lb/>
ruhte, welche klar und unzweydeutig die Wahrheit be-<lb/>
zeugten. Und ſo bemerkte ich“</p><lb/><p>„Erſtlich, daß alle Farben in der Finſterniß ver-<lb/>ſchwanden. Daraus war ich berechtigt zu ſchließen,<lb/>
daß das Licht zu den Farben weſentlich erforder-<lb/>
lich ſey.“</p><lb/><p>„Zweytens, daß keine Farben entſtehen in einem<lb/>
voͤllig durchſichtigen Mittel, ſo ſehr es auch erleuchtet<lb/>ſey, eben weil darin nichts zugegen iſt als Licht ohne<lb/>
Schatten. Daraus mußte ich ſchließen, daß der<lb/>
Schatten eben ſo weſentlich den Farben ſey als<lb/>
das Licht.“</p><lb/><p>„Drittens bemerkte ich, daß verſchiedene Farben<lb/>
entſtehen gerade in der Gegend, wo Licht und Schatten<lb/>ſich verſchiedentlich vermiſchen, z. B. wenn die Licht-<lb/>ſtrahlen auf irgend einen dunklen Koͤrper fielen oder<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[332/0366]
Nuͤguet’s
Farbenſyſtem.
„Um mich einmal gruͤndlich von der wahrhaften
Urſache der Farben und von dem was ihren Unter-
ſchied macht zu unterrichten, glaubte ich nichts beſſeres
thun zu koͤnnen, als deshalb die Natur zu befragen,
indem ich mit Sorgfalt die vorzuͤglichſten Veraͤnde-
rungen bemerkte, die ſich zeigen, wenn Farben her-
vortreten und wechſeln, damit ich nachher ein Syſtem
feſtſtellen koͤnnte, das auf gruͤndlichen Unterſuchungen
ruhte, welche klar und unzweydeutig die Wahrheit be-
zeugten. Und ſo bemerkte ich“
„Erſtlich, daß alle Farben in der Finſterniß ver-
ſchwanden. Daraus war ich berechtigt zu ſchließen,
daß das Licht zu den Farben weſentlich erforder-
lich ſey.“
„Zweytens, daß keine Farben entſtehen in einem
voͤllig durchſichtigen Mittel, ſo ſehr es auch erleuchtet
ſey, eben weil darin nichts zugegen iſt als Licht ohne
Schatten. Daraus mußte ich ſchließen, daß der
Schatten eben ſo weſentlich den Farben ſey als
das Licht.“
„Drittens bemerkte ich, daß verſchiedene Farben
entſtehen gerade in der Gegend, wo Licht und Schatten
ſich verſchiedentlich vermiſchen, z. B. wenn die Licht-
ſtrahlen auf irgend einen dunklen Koͤrper fielen oder
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 332. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/366>, abgerufen am 21.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.