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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810.

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Alchymisten.

Auf eben diesem Wege gingen die Alchymisten fort
und mußten sich, weil darunter wenig originelle Gei-
ster, hingegen viele Nachahmer sich befanden, immer
tiefer zur Geheimnißkrämerey ihre Zuflucht nehmen, de-
ren Dunkelheiten aus dem vorigen Jahrhundert herüber
gekommen waren. Daher die Monotonie aller dieser
Schriften.

Betrachtet man die Alchymie überhaupt; so fin-
det man an ihr dieselbe Entstehung, die wir oben bey
anderer Art Aberglauben bemerkt haben. Es ist der
Misbrauch des Aechten und Wahren, ein Sprung
von der Idee, vom Möglichen, zur Wirklichkeit, eine
falsche Anwendung ächter Gefühle, ein lügenhaftes
Zusagen, wodurch unsern liebsten Hoffnungen und
Wünschen geschmeichelt wird.

Hat man jene drey erhabenen unter einander im
innigsten Bezug stehenden Ideen, Gott, Tugend und
Unsterblichkeit, die höchsten Forderungen der Vernunft
genannt; so giebt es offenbar drey ihnen entsprechende
Forderungen der höheren Sinnlichkeit, Gold, Gesund-
heit und langes Leben. Gold ist so unbedingt mäch-
tig auf der Erde, wie wir uns Gott im Weltall den-
ken. Gesundheit und Tauglichkeit fallen zusammen.
Wir wünschen einen gesunden Geist in einem gesunden
Körper. Und das lange Leben tritt an die Stelle der
Unsterblichkeit. Wenn es nun edel ist, jene drey

Alchymiſten.

Auf eben dieſem Wege gingen die Alchymiſten fort
und mußten ſich, weil darunter wenig originelle Gei-
ſter, hingegen viele Nachahmer ſich befanden, immer
tiefer zur Geheimnißkraͤmerey ihre Zuflucht nehmen, de-
ren Dunkelheiten aus dem vorigen Jahrhundert heruͤber
gekommen waren. Daher die Monotonie aller dieſer
Schriften.

Betrachtet man die Alchymie uͤberhaupt; ſo fin-
det man an ihr dieſelbe Entſtehung, die wir oben bey
anderer Art Aberglauben bemerkt haben. Es iſt der
Misbrauch des Aechten und Wahren, ein Sprung
von der Idee, vom Moͤglichen, zur Wirklichkeit, eine
falſche Anwendung aͤchter Gefuͤhle, ein luͤgenhaftes
Zuſagen, wodurch unſern liebſten Hoffnungen und
Wuͤnſchen geſchmeichelt wird.

Hat man jene drey erhabenen unter einander im
innigſten Bezug ſtehenden Ideen, Gott, Tugend und
Unſterblichkeit, die hoͤchſten Forderungen der Vernunft
genannt; ſo giebt es offenbar drey ihnen entſprechende
Forderungen der hoͤheren Sinnlichkeit, Gold, Geſund-
heit und langes Leben. Gold iſt ſo unbedingt maͤch-
tig auf der Erde, wie wir uns Gott im Weltall den-
ken. Geſundheit und Tauglichkeit fallen zuſammen.
Wir wuͤnſchen einen geſunden Geiſt in einem geſunden
Koͤrper. Und das lange Leben tritt an die Stelle der
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[207/0241] Alchymiſten. Auf eben dieſem Wege gingen die Alchymiſten fort und mußten ſich, weil darunter wenig originelle Gei- ſter, hingegen viele Nachahmer ſich befanden, immer tiefer zur Geheimnißkraͤmerey ihre Zuflucht nehmen, de- ren Dunkelheiten aus dem vorigen Jahrhundert heruͤber gekommen waren. Daher die Monotonie aller dieſer Schriften. Betrachtet man die Alchymie uͤberhaupt; ſo fin- det man an ihr dieſelbe Entſtehung, die wir oben bey anderer Art Aberglauben bemerkt haben. Es iſt der Misbrauch des Aechten und Wahren, ein Sprung von der Idee, vom Moͤglichen, zur Wirklichkeit, eine falſche Anwendung aͤchter Gefuͤhle, ein luͤgenhaftes Zuſagen, wodurch unſern liebſten Hoffnungen und Wuͤnſchen geſchmeichelt wird. Hat man jene drey erhabenen unter einander im innigſten Bezug ſtehenden Ideen, Gott, Tugend und Unſterblichkeit, die hoͤchſten Forderungen der Vernunft genannt; ſo giebt es offenbar drey ihnen entſprechende Forderungen der hoͤheren Sinnlichkeit, Gold, Geſund- heit und langes Leben. Gold iſt ſo unbedingt maͤch- tig auf der Erde, wie wir uns Gott im Weltall den- ken. Geſundheit und Tauglichkeit fallen zuſammen. Wir wuͤnſchen einen geſunden Geiſt in einem geſunden Koͤrper. Und das lange Leben tritt an die Stelle der Unſterblichkeit. Wenn es nun edel iſt, jene drey

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 207. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/241>, abgerufen am 21.11.2024.