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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810.

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Prachterscheinung sich in eine graue Dämmerung, und
nach und nach in eine mond- und sternhelle Nacht
verlor.

76.

Einer der schönsten Fälle farbiger Schatten
kann bey dem Vollmonde beobachtet werden. Der
Kerzen- und Mondenschein lassen sich völlig ins Gleich-
gewicht bringen. Beyde Schatten können gleich stark
und deutlich dargestellt werden, so daß beyde Farben
sich vollkommen balanciren. Man setzt die Tafel dem
Scheine des Vollmondes entgegen, das Kerzenlicht ein
wenig an die Seite, in gehöriger Entfernung, vor
die Tafel hält man einen undurchsichtigen Körper;
alsdann entsteht ein doppelter Schatten, und zwar
wird derjenige, den der Mond wirft und das Kerzen-
licht bescheint, gewaltig rothgelb, und umgekehrt der,
den das Licht wirft und der Mond bescheint, vom
schönsten Blau gesehen werden. Wo beyde Schatten zu-
sammentreffen und sich zu einem vereinigen, ist er schwarz.
Der gelbe Schatten läßt sich vielleicht auf keine Weise
auffallender darstellen. Die unmittelbare Nähe des
blauen, der dazwischentretende schwarze Schatten ma-
chen die Erscheinung desto angenehmer. Ja, wenn
der Blick lange auf der Tafel verweilt, so wird das
geforderte Blau das fordernde Gelb wieder gegenseitig
fordernd steigern und ins Gelbrothe treiben, welches
denn wieder seinen Gegensatz, eine Art von Meergrün,
hervorbringt.

I. 3

Prachterſcheinung ſich in eine graue Daͤmmerung, und
nach und nach in eine mond- und ſternhelle Nacht
verlor.

76.

Einer der ſchoͤnſten Faͤlle farbiger Schatten
kann bey dem Vollmonde beobachtet werden. Der
Kerzen- und Mondenſchein laſſen ſich voͤllig ins Gleich-
gewicht bringen. Beyde Schatten koͤnnen gleich ſtark
und deutlich dargeſtellt werden, ſo daß beyde Farben
ſich vollkommen balanciren. Man ſetzt die Tafel dem
Scheine des Vollmondes entgegen, das Kerzenlicht ein
wenig an die Seite, in gehoͤriger Entfernung, vor
die Tafel haͤlt man einen undurchſichtigen Koͤrper;
alsdann entſteht ein doppelter Schatten, und zwar
wird derjenige, den der Mond wirft und das Kerzen-
licht beſcheint, gewaltig rothgelb, und umgekehrt der,
den das Licht wirft und der Mond beſcheint, vom
ſchoͤnſten Blau geſehen werden. Wo beyde Schatten zu-
ſammentreffen und ſich zu einem vereinigen, iſt er ſchwarz.
Der gelbe Schatten laͤßt ſich vielleicht auf keine Weiſe
auffallender darſtellen. Die unmittelbare Naͤhe des
blauen, der dazwiſchentretende ſchwarze Schatten ma-
chen die Erſcheinung deſto angenehmer. Ja, wenn
der Blick lange auf der Tafel verweilt, ſo wird das
geforderte Blau das fordernde Gelb wieder gegenſeitig
fordernd ſteigern und ins Gelbrothe treiben, welches
denn wieder ſeinen Gegenſatz, eine Art von Meergruͤn,
hervorbringt.

I. 3
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[33/0087] Prachterſcheinung ſich in eine graue Daͤmmerung, und nach und nach in eine mond- und ſternhelle Nacht verlor. 76. Einer der ſchoͤnſten Faͤlle farbiger Schatten kann bey dem Vollmonde beobachtet werden. Der Kerzen- und Mondenſchein laſſen ſich voͤllig ins Gleich- gewicht bringen. Beyde Schatten koͤnnen gleich ſtark und deutlich dargeſtellt werden, ſo daß beyde Farben ſich vollkommen balanciren. Man ſetzt die Tafel dem Scheine des Vollmondes entgegen, das Kerzenlicht ein wenig an die Seite, in gehoͤriger Entfernung, vor die Tafel haͤlt man einen undurchſichtigen Koͤrper; alsdann entſteht ein doppelter Schatten, und zwar wird derjenige, den der Mond wirft und das Kerzen- licht beſcheint, gewaltig rothgelb, und umgekehrt der, den das Licht wirft und der Mond beſcheint, vom ſchoͤnſten Blau geſehen werden. Wo beyde Schatten zu- ſammentreffen und ſich zu einem vereinigen, iſt er ſchwarz. Der gelbe Schatten laͤßt ſich vielleicht auf keine Weiſe auffallender darſtellen. Die unmittelbare Naͤhe des blauen, der dazwiſchentretende ſchwarze Schatten ma- chen die Erſcheinung deſto angenehmer. Ja, wenn der Blick lange auf der Tafel verweilt, ſo wird das geforderte Blau das fordernde Gelb wieder gegenſeitig fordernd ſteigern und ins Gelbrothe treiben, welches denn wieder ſeinen Gegenſatz, eine Art von Meergruͤn, hervorbringt. I. 3

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/87>, abgerufen am 21.11.2024.