stärke gemindert wurde. Nur einmal sahen sie den Schatten gelblich, welches, wie wir oben (70.) gesehen haben, ein Schatten ist, der von einem farblosen Ge- genlichte geworfen und von dem färbenden Hauptlichte erleuchtet worden.
75.
Auf einer Harzreise im Winter stieg ich gegen Abend vom Brocken herunter, die weiten Flächen auf- und abwärts waren beschneit, die Heide von Schnee bedeckt, alle zerstreut stehenden Bäume und vorragenden Klip- pen, auch alle Baum- und Felsenmassen völlig bereift, die Sonne senkte sich eben gegen die Oderteiche hin- unter.
Waren den Tag über, bey dem gelblichen Ton des Schnees, schon leise violette Schatten bemerklich gewe- sen, so mußte man sie nun für hochblau ansprechen, als ein gesteigertes Gelb von den beleuchteten Theilen wiederschien.
Als aber die Sonne sich endlich ihrem Niedergang näherte, und ihr durch die stärkeren Dünste höchst ge- mäßigter Strahl die ganze mich umgebende Welt mit der schönsten Purpurfarbe überzog, da verwandelte sich die Schattenfarbe in ein Grün, das nach seiner Klar- heit einem Meergrün, nach seiner Schönheit einem Schmaragdgrün verglichen werden konnte. Die Er- scheinung ward immer lebhafter, man glaubte sich in einer Feenwelt zu befinden, denn alles hatte sich in die zwey lebhaften und so schön übereinstimmenden Farben gekleidet, bis endlich mit dem Sonnenuntergang die
ſtaͤrke gemindert wurde. Nur einmal ſahen ſie den Schatten gelblich, welches, wie wir oben (70.) geſehen haben, ein Schatten iſt, der von einem farbloſen Ge- genlichte geworfen und von dem faͤrbenden Hauptlichte erleuchtet worden.
75.
Auf einer Harzreiſe im Winter ſtieg ich gegen Abend vom Brocken herunter, die weiten Flaͤchen auf- und abwaͤrts waren beſchneit, die Heide von Schnee bedeckt, alle zerſtreut ſtehenden Baͤume und vorragenden Klip- pen, auch alle Baum- und Felſenmaſſen voͤllig bereift, die Sonne ſenkte ſich eben gegen die Oderteiche hin- unter.
Waren den Tag uͤber, bey dem gelblichen Ton des Schnees, ſchon leiſe violette Schatten bemerklich gewe- ſen, ſo mußte man ſie nun fuͤr hochblau anſprechen, als ein geſteigertes Gelb von den beleuchteten Theilen wiederſchien.
Als aber die Sonne ſich endlich ihrem Niedergang naͤherte, und ihr durch die ſtaͤrkeren Duͤnſte hoͤchſt ge- maͤßigter Strahl die ganze mich umgebende Welt mit der ſchoͤnſten Purpurfarbe uͤberzog, da verwandelte ſich die Schattenfarbe in ein Gruͤn, das nach ſeiner Klar- heit einem Meergruͤn, nach ſeiner Schoͤnheit einem Schmaragdgruͤn verglichen werden konnte. Die Er- ſcheinung ward immer lebhafter, man glaubte ſich in einer Feenwelt zu befinden, denn alles hatte ſich in die zwey lebhaften und ſo ſchoͤn uͤbereinſtimmenden Farben gekleidet, bis endlich mit dem Sonnenuntergang die
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ſtaͤrke gemindert wurde. Nur einmal ſahen ſie den
Schatten gelblich, welches, wie wir oben (70.) geſehen
haben, ein Schatten iſt, der von einem farbloſen Ge-
genlichte geworfen und von dem faͤrbenden Hauptlichte
erleuchtet worden.
75.
Auf einer Harzreiſe im Winter ſtieg ich gegen Abend
vom Brocken herunter, die weiten Flaͤchen auf- und
abwaͤrts waren beſchneit, die Heide von Schnee bedeckt,
alle zerſtreut ſtehenden Baͤume und vorragenden Klip-
pen, auch alle Baum- und Felſenmaſſen voͤllig bereift,
die Sonne ſenkte ſich eben gegen die Oderteiche hin-
unter.
Waren den Tag uͤber, bey dem gelblichen Ton des
Schnees, ſchon leiſe violette Schatten bemerklich gewe-
ſen, ſo mußte man ſie nun fuͤr hochblau anſprechen,
als ein geſteigertes Gelb von den beleuchteten Theilen
wiederſchien.
Als aber die Sonne ſich endlich ihrem Niedergang
naͤherte, und ihr durch die ſtaͤrkeren Duͤnſte hoͤchſt ge-
maͤßigter Strahl die ganze mich umgebende Welt mit
der ſchoͤnſten Purpurfarbe uͤberzog, da verwandelte ſich
die Schattenfarbe in ein Gruͤn, das nach ſeiner Klar-
heit einem Meergruͤn, nach ſeiner Schoͤnheit einem
Schmaragdgruͤn verglichen werden konnte. Die Er-
ſcheinung ward immer lebhafter, man glaubte ſich in
einer Feenwelt zu befinden, denn alles hatte ſich in die
zwey lebhaften und ſo ſchoͤn uͤbereinſtimmenden Farben
gekleidet, bis endlich mit dem Sonnenuntergang die
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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/86>, abgerufen am 22.12.2024.
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