Saufsüre sagt in der Beschreibung seiner Reise auf den Montblanc:
"Eine zweyte nicht uninteressante Bemerkung be- trifft die Farben der Schatten, die wir trotz der ge- nausten Beobachtung nie dunkelblau fanden, ob es gleich in der Ebene häufig der Fall gewesen war. Wir sahen sie im Gegentheil von neun und funfzigmal einmal gelblich, sechsmal blaßbläulich, achtzehnmal farbenlos oder schwarz, und vier und dreyßigmal blaßviolet.
Wenn also einige Physiker annehmen, daß diese Farben mehr von zufälligen in der Luft zerstreuten, den Schatten ihre eigenthümlichen Nüancen mittheilenden Dünsten herrühren, nicht aber durch eine bestimmte Luft- oder reflectirte Himmelsfarbe verursacht werden; so scheinen jene Beobachtungen ihrer Meynung günstig zu seyn."
Die von de Saussüre angezeigten Erfahrungen werden wir nun bequem einrangiren können.
Auf der großen Höhe war der Himmel meisten- theils rein von Dünsten. Die Sonne wirkte in ihrer ganzen Kraft auf den weißen Schnee, so daß er dem Auge völlig weiß erschien, und sie sahen bey dieser Ge- legenheit die Schatten völlig farbenlos. War die Luft mit wenigen Dünsten geschwängert und entstand dadurch ein gelblicher Ton des Schnees, so folgten violette Schatten und zwar waren diese die meisten. Auch sa- hen sie bläuliche Schatten, jedoch seltener; und daß die blauen und violetten nur blaß waren, kam von der hellen und heiteren Umgebung, wodurch die Schatten-
74.
Saufſuͤre ſagt in der Beſchreibung ſeiner Reiſe auf den Montblanc:
„Eine zweyte nicht unintereſſante Bemerkung be- trifft die Farben der Schatten, die wir trotz der ge- nauſten Beobachtung nie dunkelblau fanden, ob es gleich in der Ebene haͤufig der Fall geweſen war. Wir ſahen ſie im Gegentheil von neun und funfzigmal einmal gelblich, ſechsmal blaßblaͤulich, achtzehnmal farbenlos oder ſchwarz, und vier und dreyßigmal blaßviolet.
Wenn alſo einige Phyſiker annehmen, daß dieſe Farben mehr von zufaͤlligen in der Luft zerſtreuten, den Schatten ihre eigenthuͤmlichen Nuͤancen mittheilenden Duͤnſten herruͤhren, nicht aber durch eine beſtimmte Luft- oder reflectirte Himmelsfarbe verurſacht werden; ſo ſcheinen jene Beobachtungen ihrer Meynung guͤnſtig zu ſeyn.“
Die von de Sauſſuͤre angezeigten Erfahrungen werden wir nun bequem einrangiren koͤnnen.
Auf der großen Hoͤhe war der Himmel meiſten- theils rein von Duͤnſten. Die Sonne wirkte in ihrer ganzen Kraft auf den weißen Schnee, ſo daß er dem Auge voͤllig weiß erſchien, und ſie ſahen bey dieſer Ge- legenheit die Schatten voͤllig farbenlos. War die Luft mit wenigen Duͤnſten geſchwaͤngert und entſtand dadurch ein gelblicher Ton des Schnees, ſo folgten violette Schatten und zwar waren dieſe die meiſten. Auch ſa- hen ſie blaͤuliche Schatten, jedoch ſeltener; und daß die blauen und violetten nur blaß waren, kam von der hellen und heiteren Umgebung, wodurch die Schatten-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><pbfacs="#f0085"n="31"/><divn="4"><head>74.</head><lb/><p>Saufſuͤre ſagt in der Beſchreibung ſeiner Reiſe auf<lb/>
den Montblanc:</p><lb/><p>„Eine zweyte nicht unintereſſante Bemerkung be-<lb/>
trifft die Farben der Schatten, die wir trotz der ge-<lb/>
nauſten Beobachtung nie dunkelblau fanden, ob es gleich<lb/>
in der Ebene haͤufig der Fall geweſen war. Wir ſahen<lb/>ſie im Gegentheil von neun und funfzigmal einmal<lb/>
gelblich, ſechsmal blaßblaͤulich, achtzehnmal farbenlos<lb/>
oder ſchwarz, und vier und dreyßigmal blaßviolet.</p><lb/><p>Wenn alſo einige Phyſiker annehmen, daß dieſe<lb/>
Farben mehr von zufaͤlligen in der Luft zerſtreuten, den<lb/>
Schatten ihre eigenthuͤmlichen Nuͤancen mittheilenden<lb/>
Duͤnſten herruͤhren, nicht aber durch eine beſtimmte<lb/>
Luft- oder reflectirte Himmelsfarbe verurſacht werden;<lb/>ſo ſcheinen jene Beobachtungen ihrer Meynung guͤnſtig<lb/>
zu ſeyn.“</p><lb/><p>Die von de Sauſſuͤre angezeigten Erfahrungen<lb/>
werden wir nun bequem einrangiren koͤnnen.</p><lb/><p>Auf der großen Hoͤhe war der Himmel meiſten-<lb/>
theils rein von Duͤnſten. Die Sonne wirkte in ihrer<lb/>
ganzen Kraft auf den weißen Schnee, ſo daß er dem<lb/>
Auge voͤllig weiß erſchien, und ſie ſahen bey dieſer Ge-<lb/>
legenheit die Schatten voͤllig farbenlos. War die Luft<lb/>
mit wenigen Duͤnſten geſchwaͤngert und entſtand dadurch<lb/>
ein gelblicher Ton des Schnees, ſo folgten violette<lb/>
Schatten und zwar waren dieſe die meiſten. Auch ſa-<lb/>
hen ſie blaͤuliche Schatten, jedoch ſeltener; und daß die<lb/>
blauen und violetten nur blaß waren, kam von der<lb/>
hellen und heiteren Umgebung, wodurch die Schatten-<lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[31/0085]
74.
Saufſuͤre ſagt in der Beſchreibung ſeiner Reiſe auf
den Montblanc:
„Eine zweyte nicht unintereſſante Bemerkung be-
trifft die Farben der Schatten, die wir trotz der ge-
nauſten Beobachtung nie dunkelblau fanden, ob es gleich
in der Ebene haͤufig der Fall geweſen war. Wir ſahen
ſie im Gegentheil von neun und funfzigmal einmal
gelblich, ſechsmal blaßblaͤulich, achtzehnmal farbenlos
oder ſchwarz, und vier und dreyßigmal blaßviolet.
Wenn alſo einige Phyſiker annehmen, daß dieſe
Farben mehr von zufaͤlligen in der Luft zerſtreuten, den
Schatten ihre eigenthuͤmlichen Nuͤancen mittheilenden
Duͤnſten herruͤhren, nicht aber durch eine beſtimmte
Luft- oder reflectirte Himmelsfarbe verurſacht werden;
ſo ſcheinen jene Beobachtungen ihrer Meynung guͤnſtig
zu ſeyn.“
Die von de Sauſſuͤre angezeigten Erfahrungen
werden wir nun bequem einrangiren koͤnnen.
Auf der großen Hoͤhe war der Himmel meiſten-
theils rein von Duͤnſten. Die Sonne wirkte in ihrer
ganzen Kraft auf den weißen Schnee, ſo daß er dem
Auge voͤllig weiß erſchien, und ſie ſahen bey dieſer Ge-
legenheit die Schatten voͤllig farbenlos. War die Luft
mit wenigen Duͤnſten geſchwaͤngert und entſtand dadurch
ein gelblicher Ton des Schnees, ſo folgten violette
Schatten und zwar waren dieſe die meiſten. Auch ſa-
hen ſie blaͤuliche Schatten, jedoch ſeltener; und daß die
blauen und violetten nur blaß waren, kam von der
hellen und heiteren Umgebung, wodurch die Schatten-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/85>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.