Es tritt hier eine wichtige Betrachtung ein, auf die wir noch öfters zurückkommen werden. Die Far- be selbst ist ein Schattiges (skieron); deswegen Kircher vollkommen recht hat, sie Lumen opacatum zu nen- nen; und wie sie mit dem Schatten verwandt ist, so verbindet sie sich auch gern mit ihm, sie erscheint uns gern in ihm und durch ihn, sobald der Anlaß nur ge- geben ist; und so müssen wir bey Gelegenheit der far- bigen Schatten zugleich eines Phänomens erwähnen, dessen Ableitung und Entwickelung erst später vorge- nommen werden kann.
70.
Man wähle in der Dämmerung den Zeitpunct, wo das einfallende Himmelslicht noch einen Schatten zu werfen im Stande ist, der von dem Kerzenlichte nicht ganz aufgehoben werden kann, so daß vielmehr ein doppelter fällt, einmal vom Kerzenlicht gegen das Himmelslicht, und sodann vom Himmelslicht gegen das Kerzenlicht. Wenn der erstere blau ist, so wird der letztere hochgelb erscheinen. Dieses hohe Gelb ist aber eigentlich nur der über das ganze Papier von dem Ker- zenlicht verbreitete gelbröthliche Schein, der im Schat- ten sichtbar wird.
71.
Hievon kann man sich bey dem obigen Versuche mit zwey Kerzen und farbigen Gläsern am besten über- zeugen, so wie die unglaubliche Leichtigkeit, womit der Schatten eine Farbe annimmt, bey der nähern Betrach-
69.
Es tritt hier eine wichtige Betrachtung ein, auf die wir noch oͤfters zuruͤckkommen werden. Die Far- be ſelbſt iſt ein Schattiges (σκιερόν); deswegen Kircher vollkommen recht hat, ſie Lumen opacatum zu nen- nen; und wie ſie mit dem Schatten verwandt iſt, ſo verbindet ſie ſich auch gern mit ihm, ſie erſcheint uns gern in ihm und durch ihn, ſobald der Anlaß nur ge- geben iſt; und ſo muͤſſen wir bey Gelegenheit der far- bigen Schatten zugleich eines Phaͤnomens erwaͤhnen, deſſen Ableitung und Entwickelung erſt ſpaͤter vorge- nommen werden kann.
70.
Man waͤhle in der Daͤmmerung den Zeitpunct, wo das einfallende Himmelslicht noch einen Schatten zu werfen im Stande iſt, der von dem Kerzenlichte nicht ganz aufgehoben werden kann, ſo daß vielmehr ein doppelter faͤllt, einmal vom Kerzenlicht gegen das Himmelslicht, und ſodann vom Himmelslicht gegen das Kerzenlicht. Wenn der erſtere blau iſt, ſo wird der letztere hochgelb erſcheinen. Dieſes hohe Gelb iſt aber eigentlich nur der uͤber das ganze Papier von dem Ker- zenlicht verbreitete gelbroͤthliche Schein, der im Schat- ten ſichtbar wird.
71.
Hievon kann man ſich bey dem obigen Verſuche mit zwey Kerzen und farbigen Glaͤſern am beſten uͤber- zeugen, ſo wie die unglaubliche Leichtigkeit, womit der Schatten eine Farbe annimmt, bey der naͤhern Betrach-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><pbfacs="#f0083"n="29"/><divn="4"><head>69.</head><lb/><p>Es tritt hier eine wichtige Betrachtung ein, auf<lb/>
die wir noch oͤfters zuruͤckkommen werden. Die Far-<lb/>
be ſelbſt iſt ein Schattiges (σκιερόν); deswegen Kircher<lb/>
vollkommen recht hat, ſie <hirendition="#aq">Lumen opacatum</hi> zu nen-<lb/>
nen; und wie ſie mit dem Schatten verwandt iſt, ſo<lb/>
verbindet ſie ſich auch gern mit ihm, ſie erſcheint uns<lb/>
gern in ihm und durch ihn, ſobald der Anlaß nur ge-<lb/>
geben iſt; und ſo muͤſſen wir bey Gelegenheit der far-<lb/>
bigen Schatten zugleich eines Phaͤnomens erwaͤhnen,<lb/>
deſſen Ableitung und Entwickelung erſt ſpaͤter vorge-<lb/>
nommen werden kann.</p></div><lb/><divn="4"><head>70.</head><lb/><p>Man waͤhle in der Daͤmmerung den Zeitpunct,<lb/>
wo das einfallende Himmelslicht noch einen Schatten<lb/>
zu werfen im Stande iſt, der von dem Kerzenlichte<lb/>
nicht ganz aufgehoben werden kann, ſo daß vielmehr<lb/>
ein doppelter faͤllt, einmal vom Kerzenlicht gegen das<lb/>
Himmelslicht, und ſodann vom Himmelslicht gegen das<lb/>
Kerzenlicht. Wenn der erſtere blau iſt, ſo wird der<lb/>
letztere hochgelb erſcheinen. Dieſes hohe Gelb iſt aber<lb/>
eigentlich nur der uͤber das ganze Papier von dem Ker-<lb/>
zenlicht verbreitete gelbroͤthliche Schein, der im Schat-<lb/>
ten ſichtbar wird.</p></div><lb/><divn="4"><head>71.</head><lb/><p>Hievon kann man ſich bey dem obigen Verſuche<lb/>
mit zwey Kerzen und farbigen Glaͤſern am beſten uͤber-<lb/>
zeugen, ſo wie die unglaubliche Leichtigkeit, womit der<lb/>
Schatten eine Farbe annimmt, bey der naͤhern Betrach-<lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[29/0083]
69.
Es tritt hier eine wichtige Betrachtung ein, auf
die wir noch oͤfters zuruͤckkommen werden. Die Far-
be ſelbſt iſt ein Schattiges (σκιερόν); deswegen Kircher
vollkommen recht hat, ſie Lumen opacatum zu nen-
nen; und wie ſie mit dem Schatten verwandt iſt, ſo
verbindet ſie ſich auch gern mit ihm, ſie erſcheint uns
gern in ihm und durch ihn, ſobald der Anlaß nur ge-
geben iſt; und ſo muͤſſen wir bey Gelegenheit der far-
bigen Schatten zugleich eines Phaͤnomens erwaͤhnen,
deſſen Ableitung und Entwickelung erſt ſpaͤter vorge-
nommen werden kann.
70.
Man waͤhle in der Daͤmmerung den Zeitpunct,
wo das einfallende Himmelslicht noch einen Schatten
zu werfen im Stande iſt, der von dem Kerzenlichte
nicht ganz aufgehoben werden kann, ſo daß vielmehr
ein doppelter faͤllt, einmal vom Kerzenlicht gegen das
Himmelslicht, und ſodann vom Himmelslicht gegen das
Kerzenlicht. Wenn der erſtere blau iſt, ſo wird der
letztere hochgelb erſcheinen. Dieſes hohe Gelb iſt aber
eigentlich nur der uͤber das ganze Papier von dem Ker-
zenlicht verbreitete gelbroͤthliche Schein, der im Schat-
ten ſichtbar wird.
71.
Hievon kann man ſich bey dem obigen Verſuche
mit zwey Kerzen und farbigen Glaͤſern am beſten uͤber-
zeugen, ſo wie die unglaubliche Leichtigkeit, womit der
Schatten eine Farbe annimmt, bey der naͤhern Betrach-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/83>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.