In einem Zimmer, das möglichst verdunkelt worden, habe man im Laden eine runde Oeffnung, etwa drey Zoll im Durchmesser, die man nach Belieben auf- und zude- cken kann; durch selbige lasse man die Sonne auf ein weißes Papier scheinen und sehe in einiger Entfernung starr das erleuchtete Rund an; man schließe darauf die Oeff- nung und blicke nach dem dunkelsten Orte des Zimmers; so wird man eine runde Erscheinung vor sich schweben se- hen. Die Mitte des Kreises wird man hell, farblos, einigermaßen gelb sehen, der Rand aber wird sogleich purpurfarben erscheinen.
Es dauert eine Zeit lang, bis diese Purpurfarbe von außen herein den ganzen Kreis zudeckt, und endlich den hellen Mittelpunct völlig vertreibt. Kaum erscheint aber das ganze Rund purpurfarben, so fängt der Rand an blau zu werden, das Blaue verdrängt nach und nach hereinwärts den Purpur. Ist die Erscheinung vollkom- men blau, so wird der Rand dunkel und unfärbig. Es währet lange, bis der unfärbige Rand völlig das Blaue vertreibt und der ganze Raum unfärbig wird. Das Bild nimmt sodann nach und nach ab und zwar dergestalt, daß es zugleich schwächer und kleiner wird. Hier sehen wir abermals, wie sich die Netzhaut, durch eine Succession von Schwingungen, gegen den gewaltsamen äußern Ein- druck nach und nach wieder herstellt. (25. 26.)
41.
Die Verhältnisse des Zeitmaßes dieser Erscheinung habe ich an meinem Auge, bey mehrern Versuchen über- einstimmend, folgendermaßen gefunden.
40.
In einem Zimmer, das moͤglichſt verdunkelt worden, habe man im Laden eine runde Oeffnung, etwa drey Zoll im Durchmeſſer, die man nach Belieben auf- und zude- cken kann; durch ſelbige laſſe man die Sonne auf ein weißes Papier ſcheinen und ſehe in einiger Entfernung ſtarr das erleuchtete Rund an; man ſchließe darauf die Oeff- nung und blicke nach dem dunkelſten Orte des Zimmers; ſo wird man eine runde Erſcheinung vor ſich ſchweben ſe- hen. Die Mitte des Kreiſes wird man hell, farblos, einigermaßen gelb ſehen, der Rand aber wird ſogleich purpurfarben erſcheinen.
Es dauert eine Zeit lang, bis dieſe Purpurfarbe von außen herein den ganzen Kreis zudeckt, und endlich den hellen Mittelpunct voͤllig vertreibt. Kaum erſcheint aber das ganze Rund purpurfarben, ſo faͤngt der Rand an blau zu werden, das Blaue verdraͤngt nach und nach hereinwaͤrts den Purpur. Iſt die Erſcheinung vollkom- men blau, ſo wird der Rand dunkel und unfaͤrbig. Es waͤhret lange, bis der unfaͤrbige Rand voͤllig das Blaue vertreibt und der ganze Raum unfaͤrbig wird. Das Bild nimmt ſodann nach und nach ab und zwar dergeſtalt, daß es zugleich ſchwaͤcher und kleiner wird. Hier ſehen wir abermals, wie ſich die Netzhaut, durch eine Succeſſion von Schwingungen, gegen den gewaltſamen aͤußern Ein- druck nach und nach wieder herſtellt. (25. 26.)
41.
Die Verhaͤltniſſe des Zeitmaßes dieſer Erſcheinung habe ich an meinem Auge, bey mehrern Verſuchen uͤber- einſtimmend, folgendermaßen gefunden.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><pbfacs="#f0069"n="15"/><divn="4"><head>40.</head><lb/><p>In einem Zimmer, das moͤglichſt verdunkelt worden,<lb/>
habe man im Laden eine runde Oeffnung, etwa drey Zoll<lb/>
im Durchmeſſer, die man nach Belieben auf- und zude-<lb/>
cken kann; durch ſelbige laſſe man die Sonne auf ein<lb/>
weißes Papier ſcheinen und ſehe in einiger Entfernung ſtarr<lb/>
das erleuchtete Rund an; man ſchließe darauf die Oeff-<lb/>
nung und blicke nach dem dunkelſten Orte des Zimmers;<lb/>ſo wird man eine runde Erſcheinung vor ſich ſchweben ſe-<lb/>
hen. Die Mitte des Kreiſes wird man hell, farblos,<lb/>
einigermaßen gelb ſehen, der Rand aber wird ſogleich<lb/>
purpurfarben erſcheinen.</p><lb/><p>Es dauert eine Zeit lang, bis dieſe Purpurfarbe von<lb/>
außen herein den ganzen Kreis zudeckt, und endlich den<lb/>
hellen Mittelpunct voͤllig vertreibt. Kaum erſcheint aber<lb/>
das ganze Rund purpurfarben, ſo faͤngt der Rand an<lb/>
blau zu werden, das Blaue verdraͤngt nach und nach<lb/>
hereinwaͤrts den Purpur. Iſt die Erſcheinung vollkom-<lb/>
men blau, ſo wird der Rand dunkel und unfaͤrbig. Es<lb/>
waͤhret lange, bis der unfaͤrbige Rand voͤllig das Blaue<lb/>
vertreibt und der ganze Raum unfaͤrbig wird. Das Bild<lb/>
nimmt ſodann nach und nach ab und zwar dergeſtalt, daß<lb/>
es zugleich ſchwaͤcher und kleiner wird. Hier ſehen wir<lb/>
abermals, wie ſich die Netzhaut, durch eine Succeſſion<lb/>
von Schwingungen, gegen den gewaltſamen aͤußern Ein-<lb/>
druck nach und nach wieder herſtellt. (25. 26.)</p></div><lb/><divn="4"><head>41.</head><lb/><p>Die Verhaͤltniſſe des Zeitmaßes dieſer Erſcheinung<lb/>
habe ich an meinem Auge, bey mehrern Verſuchen uͤber-<lb/>
einſtimmend, folgendermaßen gefunden.</p><lb/></div></div></div></div></body></text></TEI>
[15/0069]
40.
In einem Zimmer, das moͤglichſt verdunkelt worden,
habe man im Laden eine runde Oeffnung, etwa drey Zoll
im Durchmeſſer, die man nach Belieben auf- und zude-
cken kann; durch ſelbige laſſe man die Sonne auf ein
weißes Papier ſcheinen und ſehe in einiger Entfernung ſtarr
das erleuchtete Rund an; man ſchließe darauf die Oeff-
nung und blicke nach dem dunkelſten Orte des Zimmers;
ſo wird man eine runde Erſcheinung vor ſich ſchweben ſe-
hen. Die Mitte des Kreiſes wird man hell, farblos,
einigermaßen gelb ſehen, der Rand aber wird ſogleich
purpurfarben erſcheinen.
Es dauert eine Zeit lang, bis dieſe Purpurfarbe von
außen herein den ganzen Kreis zudeckt, und endlich den
hellen Mittelpunct voͤllig vertreibt. Kaum erſcheint aber
das ganze Rund purpurfarben, ſo faͤngt der Rand an
blau zu werden, das Blaue verdraͤngt nach und nach
hereinwaͤrts den Purpur. Iſt die Erſcheinung vollkom-
men blau, ſo wird der Rand dunkel und unfaͤrbig. Es
waͤhret lange, bis der unfaͤrbige Rand voͤllig das Blaue
vertreibt und der ganze Raum unfaͤrbig wird. Das Bild
nimmt ſodann nach und nach ab und zwar dergeſtalt, daß
es zugleich ſchwaͤcher und kleiner wird. Hier ſehen wir
abermals, wie ſich die Netzhaut, durch eine Succeſſion
von Schwingungen, gegen den gewaltſamen aͤußern Ein-
druck nach und nach wieder herſtellt. (25. 26.)
41.
Die Verhaͤltniſſe des Zeitmaßes dieſer Erſcheinung
habe ich an meinem Auge, bey mehrern Verſuchen uͤber-
einſtimmend, folgendermaßen gefunden.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/69>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.