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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810.

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seinem Experiment? Er bringt dreymal Gränzen hervor,
damit er beweise, die Gränze sey ohne Bedeutung!

356.

Die erste Gränze ist oben und unten an der Oeff-
nung H im Fensterladen. Er behält noch weißes Licht
in der Mitte, gesteht aber nicht, daß schon Farben an
den beyden Enden sich zeigen. Die zweyte Gränze
wird durch die Ritze H hervorgebracht. Denn warum
wird denn das refrangirte Licht, das weiß auf der Ta-
fel GI ankommt, farbig, als weil die Gränze der
Ritze H oben und unten die prismatischen Farben her-
vorbringt? Nun hält er das dritte Hinderniß, einen
Draht oder sonst einen andern cylindrischen Körper,
vor das Prisma und bringt also dadurch abermals
Gränzen hervor, bringt im Bilde ein Bild, die Fär-
bung an den Rändern des Stäbchens umgekehrt her-
vor. Besonders erscheint die Purpurfarbe in der Mitte,
an der einen Seite das Blaue, an der andern das
Gelbe. Nun bildet er sich ein, mit diesem Stäbchen
farbige Strahlen wegzunehmen, wirft aber dadurch
nur ein ganz gefärbtes schmales Bild auf die Ta-
fel GI. Mit diesem Bilde operirt er denn auch in die
Oeffnung H hinein; verdrängt, verschmutzt die dort
abgebildeten Farben, ja verhindert sogar ihr Werden,
indem sie in der Oeffnung H erst werdend sind, und
setzt denjenigen der die Verhältnisse einsehen lernt, in
Erstaunen, wie man sich so viele unredliche Mühe ge-
ben konnte, ein Phänomen zu verwirren, und wie

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ſeinem Experiment? Er bringt dreymal Graͤnzen hervor,
damit er beweiſe, die Graͤnze ſey ohne Bedeutung!

356.

Die erſte Graͤnze iſt oben und unten an der Oeff-
nung H im Fenſterladen. Er behaͤlt noch weißes Licht
in der Mitte, geſteht aber nicht, daß ſchon Farben an
den beyden Enden ſich zeigen. Die zweyte Graͤnze
wird durch die Ritze H hervorgebracht. Denn warum
wird denn das refrangirte Licht, das weiß auf der Ta-
fel GI ankommt, farbig, als weil die Graͤnze der
Ritze H oben und unten die prismatiſchen Farben her-
vorbringt? Nun haͤlt er das dritte Hinderniß, einen
Draht oder ſonſt einen andern cylindriſchen Koͤrper,
vor das Prisma und bringt alſo dadurch abermals
Graͤnzen hervor, bringt im Bilde ein Bild, die Faͤr-
bung an den Raͤndern des Staͤbchens umgekehrt her-
vor. Beſonders erſcheint die Purpurfarbe in der Mitte,
an der einen Seite das Blaue, an der andern das
Gelbe. Nun bildet er ſich ein, mit dieſem Staͤbchen
farbige Strahlen wegzunehmen, wirft aber dadurch
nur ein ganz gefaͤrbtes ſchmales Bild auf die Ta-
fel GI. Mit dieſem Bilde operirt er denn auch in die
Oeffnung H hinein; verdraͤngt, verſchmutzt die dort
abgebildeten Farben, ja verhindert ſogar ihr Werden,
indem ſie in der Oeffnung H erſt werdend ſind, und
ſetzt denjenigen der die Verhaͤltniſſe einſehen lernt, in
Erſtaunen, wie man ſich ſo viele unredliche Muͤhe ge-
ben konnte, ein Phaͤnomen zu verwirren, und wie

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[531/0585] ſeinem Experiment? Er bringt dreymal Graͤnzen hervor, damit er beweiſe, die Graͤnze ſey ohne Bedeutung! 356. Die erſte Graͤnze iſt oben und unten an der Oeff- nung H im Fenſterladen. Er behaͤlt noch weißes Licht in der Mitte, geſteht aber nicht, daß ſchon Farben an den beyden Enden ſich zeigen. Die zweyte Graͤnze wird durch die Ritze H hervorgebracht. Denn warum wird denn das refrangirte Licht, das weiß auf der Ta- fel GI ankommt, farbig, als weil die Graͤnze der Ritze H oben und unten die prismatiſchen Farben her- vorbringt? Nun haͤlt er das dritte Hinderniß, einen Draht oder ſonſt einen andern cylindriſchen Koͤrper, vor das Prisma und bringt alſo dadurch abermals Graͤnzen hervor, bringt im Bilde ein Bild, die Faͤr- bung an den Raͤndern des Staͤbchens umgekehrt her- vor. Beſonders erſcheint die Purpurfarbe in der Mitte, an der einen Seite das Blaue, an der andern das Gelbe. Nun bildet er ſich ein, mit dieſem Staͤbchen farbige Strahlen wegzunehmen, wirft aber dadurch nur ein ganz gefaͤrbtes ſchmales Bild auf die Ta- fel GI. Mit dieſem Bilde operirt er denn auch in die Oeffnung H hinein; verdraͤngt, verſchmutzt die dort abgebildeten Farben, ja verhindert ſogar ihr Werden, indem ſie in der Oeffnung H erſt werdend ſind, und ſetzt denjenigen der die Verhaͤltniſſe einſehen lernt, in Erſtaunen, wie man ſich ſo viele unredliche Muͤhe ge- ben konnte, ein Phaͤnomen zu verwirren, und wie 34 *

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810, S. 531. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/585>, abgerufen am 21.11.2024.