auslegt, nach der Weise wie er theoretisirt, ist die in der Proposition ausgesprochne Folgerung ganz richtig: denn wenn das farblose Licht divers refrangibel ist; so kann die Farbenerscheinung von der Refraction nicht getrennt werden, jene Aberration ist nicht ins Gleiche zu bringen, die dioptrischen Fernröhre sind nicht zu verbessern.
308.
Jedoch nicht allein dieses, sondern weit mehr folgt aus der Hypothese der diversen Refrangibilität. Un- mittelbar folgt daraus, daß die dioptrischen Fernröhre ganz unbrauchbar seyn müssen, indem wenigstens alles was an den Gegenständen weiß ist, vollkommen bunt erscheinen müßte.
309.
Ja, ganz abgesehen von dioptrischen Fernröhren, Brillen und Lorgnetten, müßte die ganze sichtbare Welt, wäre die Hypothese wahr, in der höchsten Verworren- heit erscheinen. Alle Himmelslichter sehen wir durch Refraction; Sonne, Mond und Sterne zeigen sich uns, indem sie durch ein Mittel hindurchblicken, an einer an- dern Stelle als an der sie sich wirklich befinden; wie bey ihrem Auf- und Untergang die Astronomen beson- ders zu bemerken wissen. Warum sehen wir denn diese sämmtlichen leuchtenden Bilder, diese größern und kleinern Funken, nicht bunt, nicht in die sieben Far- ben aufgelöst? Sie haben die Refraction erlitten, und
33 *
auslegt, nach der Weiſe wie er theoretiſirt, iſt die in der Propoſition ausgeſprochne Folgerung ganz richtig: denn wenn das farbloſe Licht divers refrangibel iſt; ſo kann die Farbenerſcheinung von der Refraction nicht getrennt werden, jene Aberration iſt nicht ins Gleiche zu bringen, die dioptriſchen Fernroͤhre ſind nicht zu verbeſſern.
308.
Jedoch nicht allein dieſes, ſondern weit mehr folgt aus der Hypotheſe der diverſen Refrangibilitaͤt. Un- mittelbar folgt daraus, daß die dioptriſchen Fernroͤhre ganz unbrauchbar ſeyn muͤſſen, indem wenigſtens alles was an den Gegenſtaͤnden weiß iſt, vollkommen bunt erſcheinen muͤßte.
309.
Ja, ganz abgeſehen von dioptriſchen Fernroͤhren, Brillen und Lorgnetten, muͤßte die ganze ſichtbare Welt, waͤre die Hypotheſe wahr, in der hoͤchſten Verworren- heit erſcheinen. Alle Himmelslichter ſehen wir durch Refraction; Sonne, Mond und Sterne zeigen ſich uns, indem ſie durch ein Mittel hindurchblicken, an einer an- dern Stelle als an der ſie ſich wirklich befinden; wie bey ihrem Auf- und Untergang die Aſtronomen beſon- ders zu bemerken wiſſen. Warum ſehen wir denn dieſe ſaͤmmtlichen leuchtenden Bilder, dieſe groͤßern und kleinern Funken, nicht bunt, nicht in die ſieben Far- ben aufgeloͤſt? Sie haben die Refraction erlitten, und
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auslegt, nach der Weiſe wie er theoretiſirt, iſt die in
der Propoſition ausgeſprochne Folgerung ganz richtig:
denn wenn das farbloſe Licht divers refrangibel iſt; ſo
kann die Farbenerſcheinung von der Refraction nicht
getrennt werden, jene Aberration iſt nicht ins Gleiche
zu bringen, die dioptriſchen Fernroͤhre ſind nicht zu
verbeſſern.
308.
Jedoch nicht allein dieſes, ſondern weit mehr folgt
aus der Hypotheſe der diverſen Refrangibilitaͤt. Un-
mittelbar folgt daraus, daß die dioptriſchen Fernroͤhre
ganz unbrauchbar ſeyn muͤſſen, indem wenigſtens alles
was an den Gegenſtaͤnden weiß iſt, vollkommen bunt
erſcheinen muͤßte.
309.
Ja, ganz abgeſehen von dioptriſchen Fernroͤhren,
Brillen und Lorgnetten, muͤßte die ganze ſichtbare Welt,
waͤre die Hypotheſe wahr, in der hoͤchſten Verworren-
heit erſcheinen. Alle Himmelslichter ſehen wir durch
Refraction; Sonne, Mond und Sterne zeigen ſich uns,
indem ſie durch ein Mittel hindurchblicken, an einer an-
dern Stelle als an der ſie ſich wirklich befinden; wie
bey ihrem Auf- und Untergang die Aſtronomen beſon-
ders zu bemerken wiſſen. Warum ſehen wir denn
dieſe ſaͤmmtlichen leuchtenden Bilder, dieſe groͤßern und
kleinern Funken, nicht bunt, nicht in die ſieben Far-
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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810, S. 515. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/569>, abgerufen am 21.11.2024.
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