Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810.

Bild:
<< vorherige Seite

stellung durchaus falsch sey, sagte er ganz naiv und un-
bewunden:

112.

Uebrigens würde dieses Experiment einen völlig gleichen
Erfolg haben, man mag das dritte Prisma gleich hinter die
beyden ersten, oder auch in größere Entfernung stellen, so
daß das Licht im ersten Falle, nachdem es durch die beyden
vordern Prismen gebrochen worden, von dem dritten entweder
weiß und rund, oder gefärbt und länglicht aufgenommen
werde.

113.

Wir haben also hier auf einmal ein durch das
Prisma durchgegangenes und gebrochenes Farbenbild,
das noch weiß und rund ist, da man uns doch bisher
dasselbe durchaus als länglicht auseinander gezogen und
völlig gefärbt dargestellt hatte. Wie kommt nun auf
einmal das Weiße durch die Hinterthür herein? wie ist
es abgeleitet? ja, wie ist es, nach dem bisher vorge-
tragenen, nur möglich? Dieß ist einer von den sehr
schlimmen Advocatenstreichen, wodurch sich die Newto-
nische Optik so sehr auszeichnet. Ein gebrochnes und
doch weißes, ein zusammengesetztes und durch Brechung
in seine Elemente nicht gesondertes Licht, haben wir
nun auf einmal durch eine beyläufige Erwähnung er-
halten. Niemand bemerkt, daß durch die Erscheinung
dieses Weißen der ganze bisherige Vortrag zerstört ist,
daß man ganz wo anders ausgehen, ganz wo anders
anfangen müsse, wenn man zur Wahrheit gelangen will.
Der Verfasser fährt vielmehr auf seinem einmal einge-

ſtellung durchaus falſch ſey, ſagte er ganz naiv und un-
bewunden:

112.

Uebrigens wuͤrde dieſes Experiment einen voͤllig gleichen
Erfolg haben, man mag das dritte Prisma gleich hinter die
beyden erſten, oder auch in groͤßere Entfernung ſtellen, ſo
daß das Licht im erſten Falle, nachdem es durch die beyden
vordern Prismen gebrochen worden, von dem dritten entweder
weiß und rund, oder gefaͤrbt und laͤnglicht aufgenommen
werde.

113.

Wir haben alſo hier auf einmal ein durch das
Prisma durchgegangenes und gebrochenes Farbenbild,
das noch weiß und rund iſt, da man uns doch bisher
daſſelbe durchaus als laͤnglicht auseinander gezogen und
voͤllig gefaͤrbt dargeſtellt hatte. Wie kommt nun auf
einmal das Weiße durch die Hinterthuͤr herein? wie iſt
es abgeleitet? ja, wie iſt es, nach dem bisher vorge-
tragenen, nur moͤglich? Dieß iſt einer von den ſehr
ſchlimmen Advocatenſtreichen, wodurch ſich die Newto-
niſche Optik ſo ſehr auszeichnet. Ein gebrochnes und
doch weißes, ein zuſammengeſetztes und durch Brechung
in ſeine Elemente nicht geſondertes Licht, haben wir
nun auf einmal durch eine beylaͤufige Erwaͤhnung er-
halten. Niemand bemerkt, daß durch die Erſcheinung
dieſes Weißen der ganze bisherige Vortrag zerſtoͤrt iſt,
daß man ganz wo anders ausgehen, ganz wo anders
anfangen muͤſſe, wenn man zur Wahrheit gelangen will.
Der Verfaſſer faͤhrt vielmehr auf ſeinem einmal einge-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0475" n="421"/>
&#x017F;tellung durchaus fal&#x017F;ch &#x017F;ey, &#x017F;agte er ganz naiv und un-<lb/>
bewunden:</p>
              </div><lb/>
              <div n="5">
                <head>112.</head><lb/>
                <p>Uebrigens wu&#x0364;rde die&#x017F;es Experiment einen vo&#x0364;llig gleichen<lb/>
Erfolg haben, man mag das dritte Prisma gleich hinter die<lb/>
beyden er&#x017F;ten, oder auch in gro&#x0364;ßere Entfernung &#x017F;tellen, &#x017F;o<lb/>
daß das Licht im er&#x017F;ten Falle, nachdem es durch die beyden<lb/>
vordern Prismen gebrochen worden, von dem dritten entweder<lb/><hi rendition="#g">weiß</hi> und rund, oder gefa&#x0364;rbt und la&#x0364;nglicht aufgenommen<lb/>
werde.</p>
              </div><lb/>
              <div n="5">
                <head>113.</head><lb/>
                <p>Wir haben al&#x017F;o hier auf einmal ein durch das<lb/>
Prisma durchgegangenes und gebrochenes Farbenbild,<lb/>
das noch weiß und rund i&#x017F;t, da man uns doch bisher<lb/>
da&#x017F;&#x017F;elbe durchaus als la&#x0364;nglicht auseinander gezogen und<lb/>
vo&#x0364;llig gefa&#x0364;rbt darge&#x017F;tellt hatte. Wie kommt nun auf<lb/>
einmal das Weiße durch die Hinterthu&#x0364;r herein? wie i&#x017F;t<lb/>
es abgeleitet? ja, wie i&#x017F;t es, nach dem bisher vorge-<lb/>
tragenen, nur mo&#x0364;glich? Dieß i&#x017F;t einer von den &#x017F;ehr<lb/>
&#x017F;chlimmen Advocaten&#x017F;treichen, wodurch &#x017F;ich die Newto-<lb/>
ni&#x017F;che Optik &#x017F;o &#x017F;ehr auszeichnet. Ein gebrochnes und<lb/>
doch weißes, ein zu&#x017F;ammenge&#x017F;etztes und durch Brechung<lb/>
in &#x017F;eine Elemente nicht ge&#x017F;ondertes Licht, haben wir<lb/>
nun auf einmal durch eine beyla&#x0364;ufige Erwa&#x0364;hnung er-<lb/>
halten. Niemand bemerkt, daß durch die Er&#x017F;cheinung<lb/>
die&#x017F;es Weißen der ganze bisherige Vortrag zer&#x017F;to&#x0364;rt i&#x017F;t,<lb/>
daß man ganz wo anders ausgehen, ganz wo anders<lb/>
anfangen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e, wenn man zur Wahrheit gelangen will.<lb/>
Der Verfa&#x017F;&#x017F;er fa&#x0364;hrt vielmehr auf &#x017F;einem einmal einge-<lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[421/0475] ſtellung durchaus falſch ſey, ſagte er ganz naiv und un- bewunden: 112. Uebrigens wuͤrde dieſes Experiment einen voͤllig gleichen Erfolg haben, man mag das dritte Prisma gleich hinter die beyden erſten, oder auch in groͤßere Entfernung ſtellen, ſo daß das Licht im erſten Falle, nachdem es durch die beyden vordern Prismen gebrochen worden, von dem dritten entweder weiß und rund, oder gefaͤrbt und laͤnglicht aufgenommen werde. 113. Wir haben alſo hier auf einmal ein durch das Prisma durchgegangenes und gebrochenes Farbenbild, das noch weiß und rund iſt, da man uns doch bisher daſſelbe durchaus als laͤnglicht auseinander gezogen und voͤllig gefaͤrbt dargeſtellt hatte. Wie kommt nun auf einmal das Weiße durch die Hinterthuͤr herein? wie iſt es abgeleitet? ja, wie iſt es, nach dem bisher vorge- tragenen, nur moͤglich? Dieß iſt einer von den ſehr ſchlimmen Advocatenſtreichen, wodurch ſich die Newto- niſche Optik ſo ſehr auszeichnet. Ein gebrochnes und doch weißes, ein zuſammengeſetztes und durch Brechung in ſeine Elemente nicht geſondertes Licht, haben wir nun auf einmal durch eine beylaͤufige Erwaͤhnung er- halten. Niemand bemerkt, daß durch die Erſcheinung dieſes Weißen der ganze bisherige Vortrag zerſtoͤrt iſt, daß man ganz wo anders ausgehen, ganz wo anders anfangen muͤſſe, wenn man zur Wahrheit gelangen will. Der Verfaſſer faͤhrt vielmehr auf ſeinem einmal einge-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/475
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810, S. 421. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/475>, abgerufen am 22.12.2024.