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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810.

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110.

Nicht genug aber, daß Newton seine verschieden
refrangibeln Strahlen zwar auseinander zerrt, aber
doch ihre Kreise noch ineinander greifen läßt; er will
sie, weil er wohl sieht, daß die Forderung entsteht,
noch weiter auseinander bringen. Er stellt sie auch
wirklich in einer zweyten Figur abgesondert vor, läßt
aber immer noch die Gränzlinien stehen, so daß sie ge-
trennt und doch zusammenhängend sind. Man sehe die
beyden Figuren, welche Newton auf seiner dritten Tafel
mit 15 bezeichnet. Auf unsrer siebenten gibt die sechste
Figur die Vorstellung dieser vorgeblichen Auseinander-
zerrung der Kreise, worauf wir künftig abermals zurück-
kommen werden.

111.

Worauf wir aber den Forscher aufmerksam zu ma-
chen haben, ist die Stelle, womit der Autor zu dem
folgenden Experiment übergeht. Er hatte nehmlich zwey
Prismen übereinander gestellt, ein Sonnenbild durch
jedes durchfallen lassen, um beyde zugleich durch ein
verticales Prisma aufzufangen und nach der Seite zu
biegen. Wahrscheinlich war dieses letztere nicht lang
genug, um zwey vollendete Spectra aufzufassen; er
rückte also damit nahe an die ersten Prismen heran,
und findet, was wir lange kennen und wissen, auch
nach der Refraction zwey runde und ziemlich farblose
Bilder. Dieß irrt ihn aber gar nicht: denn anstatt
einzusehen und einzugestehen, daß seine bisherige Dar-

110.

Nicht genug aber, daß Newton ſeine verſchieden
refrangibeln Strahlen zwar auseinander zerrt, aber
doch ihre Kreiſe noch ineinander greifen laͤßt; er will
ſie, weil er wohl ſieht, daß die Forderung entſteht,
noch weiter auseinander bringen. Er ſtellt ſie auch
wirklich in einer zweyten Figur abgeſondert vor, laͤßt
aber immer noch die Graͤnzlinien ſtehen, ſo daß ſie ge-
trennt und doch zuſammenhaͤngend ſind. Man ſehe die
beyden Figuren, welche Newton auf ſeiner dritten Tafel
mit 15 bezeichnet. Auf unſrer ſiebenten gibt die ſechſte
Figur die Vorſtellung dieſer vorgeblichen Auseinander-
zerrung der Kreiſe, worauf wir kuͤnftig abermals zuruͤck-
kommen werden.

111.

Worauf wir aber den Forſcher aufmerkſam zu ma-
chen haben, iſt die Stelle, womit der Autor zu dem
folgenden Experiment uͤbergeht. Er hatte nehmlich zwey
Prismen uͤbereinander geſtellt, ein Sonnenbild durch
jedes durchfallen laſſen, um beyde zugleich durch ein
verticales Prisma aufzufangen und nach der Seite zu
biegen. Wahrſcheinlich war dieſes letztere nicht lang
genug, um zwey vollendete Spectra aufzufaſſen; er
ruͤckte alſo damit nahe an die erſten Prismen heran,
und findet, was wir lange kennen und wiſſen, auch
nach der Refraction zwey runde und ziemlich farbloſe
Bilder. Dieß irrt ihn aber gar nicht: denn anſtatt
einzuſehen und einzugeſtehen, daß ſeine bisherige Dar-

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[420/0474] 110. Nicht genug aber, daß Newton ſeine verſchieden refrangibeln Strahlen zwar auseinander zerrt, aber doch ihre Kreiſe noch ineinander greifen laͤßt; er will ſie, weil er wohl ſieht, daß die Forderung entſteht, noch weiter auseinander bringen. Er ſtellt ſie auch wirklich in einer zweyten Figur abgeſondert vor, laͤßt aber immer noch die Graͤnzlinien ſtehen, ſo daß ſie ge- trennt und doch zuſammenhaͤngend ſind. Man ſehe die beyden Figuren, welche Newton auf ſeiner dritten Tafel mit 15 bezeichnet. Auf unſrer ſiebenten gibt die ſechſte Figur die Vorſtellung dieſer vorgeblichen Auseinander- zerrung der Kreiſe, worauf wir kuͤnftig abermals zuruͤck- kommen werden. 111. Worauf wir aber den Forſcher aufmerkſam zu ma- chen haben, iſt die Stelle, womit der Autor zu dem folgenden Experiment uͤbergeht. Er hatte nehmlich zwey Prismen uͤbereinander geſtellt, ein Sonnenbild durch jedes durchfallen laſſen, um beyde zugleich durch ein verticales Prisma aufzufangen und nach der Seite zu biegen. Wahrſcheinlich war dieſes letztere nicht lang genug, um zwey vollendete Spectra aufzufaſſen; er ruͤckte alſo damit nahe an die erſten Prismen heran, und findet, was wir lange kennen und wiſſen, auch nach der Refraction zwey runde und ziemlich farbloſe Bilder. Dieß irrt ihn aber gar nicht: denn anſtatt einzuſehen und einzugeſtehen, daß ſeine bisherige Dar-

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810, S. 420. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/474>, abgerufen am 21.11.2024.