ganz verschiedene Bilder, das eine heraufwärts, das an- dere herunterwärts bewegt, und also gesetzmäßig ver- schieden gefärbt.
98.
Von der Coexistenz dieser zwey verschiedenen Bil- der, wovon das objective heraufwärts, das subjective herunterwärts gefärbt ist, kann man sich auf mancherley Weise überzeugen. Jedoch ist folgender Versuch wohl der bequemste und vollkommenste. Man lasse mittelst einer Oeffnung des Fensterladens von etwa zwey bis drey Zoll das Sonnenbild durch das große Wasser- prisma auf ein weißes feines über einen Rahmen ge- spanntes Papier hinaufwärts gebrochen in der Entfer- nung anlangen, daß die beyden gefärbten Ränder noch von einander abstehen, das Grün noch nicht entstanden, sondern die Mitte noch weiß sey. Man betrachte die- ses Bild hinter dem Rahmen; man wird das Blaue und Violette ganz deutlich oben, das Gelbrothe und Gelbe unten sehen. Nun schaue man neben dem Rah- men hervor, und man wird durch das Prisma das hin- untergerückte Bild der Fensteröffnung umgekehrt gefärbt sehen.
Damit man aber beyde Bilder über- und mit ein- ander erblicke, so bediene man sich folgenden Mittels. Man mache das Wasser im Prisma durch einige Trop- fen Seifenspiritus dergestalt trübe, daß das Bild auf dem Papierrahmen nicht undeutlich, das Sonnenlicht aber dergestalt gemäßigt werde, daß es dem Auge er-
ganz verſchiedene Bilder, das eine heraufwaͤrts, das an- dere herunterwaͤrts bewegt, und alſo geſetzmaͤßig ver- ſchieden gefaͤrbt.
98.
Von der Coexiſtenz dieſer zwey verſchiedenen Bil- der, wovon das objective heraufwaͤrts, das ſubjective herunterwaͤrts gefaͤrbt iſt, kann man ſich auf mancherley Weiſe uͤberzeugen. Jedoch iſt folgender Verſuch wohl der bequemſte und vollkommenſte. Man laſſe mittelſt einer Oeffnung des Fenſterladens von etwa zwey bis drey Zoll das Sonnenbild durch das große Waſſer- prisma auf ein weißes feines uͤber einen Rahmen ge- ſpanntes Papier hinaufwaͤrts gebrochen in der Entfer- nung anlangen, daß die beyden gefaͤrbten Raͤnder noch von einander abſtehen, das Gruͤn noch nicht entſtanden, ſondern die Mitte noch weiß ſey. Man betrachte die- ſes Bild hinter dem Rahmen; man wird das Blaue und Violette ganz deutlich oben, das Gelbrothe und Gelbe unten ſehen. Nun ſchaue man neben dem Rah- men hervor, und man wird durch das Prisma das hin- untergeruͤckte Bild der Fenſteroͤffnung umgekehrt gefaͤrbt ſehen.
Damit man aber beyde Bilder uͤber- und mit ein- ander erblicke, ſo bediene man ſich folgenden Mittels. Man mache das Waſſer im Prisma durch einige Trop- fen Seifenſpiritus dergeſtalt truͤbe, daß das Bild auf dem Papierrahmen nicht undeutlich, das Sonnenlicht aber dergeſtalt gemaͤßigt werde, daß es dem Auge er-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><p><pbfacs="#f0464"n="410"/>
ganz verſchiedene Bilder, das eine heraufwaͤrts, das an-<lb/>
dere herunterwaͤrts bewegt, und alſo geſetzmaͤßig ver-<lb/>ſchieden gefaͤrbt.</p></div><lb/><divn="5"><head>98.</head><lb/><p>Von der Coexiſtenz dieſer zwey verſchiedenen Bil-<lb/>
der, wovon das objective heraufwaͤrts, das ſubjective<lb/>
herunterwaͤrts gefaͤrbt iſt, kann man ſich auf mancherley<lb/>
Weiſe uͤberzeugen. Jedoch iſt folgender Verſuch wohl<lb/>
der bequemſte und vollkommenſte. Man laſſe mittelſt<lb/>
einer Oeffnung des Fenſterladens von etwa zwey bis<lb/>
drey Zoll das Sonnenbild durch das große Waſſer-<lb/>
prisma auf ein weißes feines uͤber einen Rahmen ge-<lb/>ſpanntes Papier hinaufwaͤrts gebrochen in der Entfer-<lb/>
nung anlangen, daß die beyden gefaͤrbten Raͤnder noch<lb/>
von einander abſtehen, das Gruͤn noch nicht entſtanden,<lb/>ſondern die Mitte noch weiß ſey. Man betrachte die-<lb/>ſes Bild hinter dem Rahmen; man wird das Blaue<lb/>
und Violette ganz deutlich oben, das Gelbrothe und<lb/>
Gelbe unten ſehen. Nun ſchaue man neben dem Rah-<lb/>
men hervor, und man wird durch das Prisma das hin-<lb/>
untergeruͤckte Bild der Fenſteroͤffnung umgekehrt gefaͤrbt<lb/>ſehen.</p><lb/><p>Damit man aber beyde Bilder uͤber- und mit ein-<lb/>
ander erblicke, ſo bediene man ſich folgenden Mittels.<lb/>
Man mache das Waſſer im Prisma durch einige Trop-<lb/>
fen Seifenſpiritus dergeſtalt truͤbe, daß das Bild auf<lb/>
dem Papierrahmen nicht undeutlich, das Sonnenlicht<lb/>
aber dergeſtalt gemaͤßigt werde, daß es dem Auge er-<lb/></p></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[410/0464]
ganz verſchiedene Bilder, das eine heraufwaͤrts, das an-
dere herunterwaͤrts bewegt, und alſo geſetzmaͤßig ver-
ſchieden gefaͤrbt.
98.
Von der Coexiſtenz dieſer zwey verſchiedenen Bil-
der, wovon das objective heraufwaͤrts, das ſubjective
herunterwaͤrts gefaͤrbt iſt, kann man ſich auf mancherley
Weiſe uͤberzeugen. Jedoch iſt folgender Verſuch wohl
der bequemſte und vollkommenſte. Man laſſe mittelſt
einer Oeffnung des Fenſterladens von etwa zwey bis
drey Zoll das Sonnenbild durch das große Waſſer-
prisma auf ein weißes feines uͤber einen Rahmen ge-
ſpanntes Papier hinaufwaͤrts gebrochen in der Entfer-
nung anlangen, daß die beyden gefaͤrbten Raͤnder noch
von einander abſtehen, das Gruͤn noch nicht entſtanden,
ſondern die Mitte noch weiß ſey. Man betrachte die-
ſes Bild hinter dem Rahmen; man wird das Blaue
und Violette ganz deutlich oben, das Gelbrothe und
Gelbe unten ſehen. Nun ſchaue man neben dem Rah-
men hervor, und man wird durch das Prisma das hin-
untergeruͤckte Bild der Fenſteroͤffnung umgekehrt gefaͤrbt
ſehen.
Damit man aber beyde Bilder uͤber- und mit ein-
ander erblicke, ſo bediene man ſich folgenden Mittels.
Man mache das Waſſer im Prisma durch einige Trop-
fen Seifenſpiritus dergeſtalt truͤbe, daß das Bild auf
dem Papierrahmen nicht undeutlich, das Sonnenlicht
aber dergeſtalt gemaͤßigt werde, daß es dem Auge er-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810, S. 410. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/464>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.